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Wirtschaft: "Die Rentenfrage ist bis Ende des Jahres geregelt"

TAGESSPIEGEL: Herr Riester, alle halten Sie für einen freundlichen Menschen.Das ist kein Kunststück.

TAGESSPIEGEL: Herr Riester, alle halten Sie für einen freundlichen Menschen.Das ist kein Kunststück.Schließlich haben Sie mit 173 Milliarden Mark das meiste Geld aus dem Bundeshaushalt zu verteilen.

RIESTER: Die 173 Milliarden Mark täuschen über die reale Entwicklung des Sozialhaushalts.Wir haben in diesem Jahr erstmals die Kindererziehungszeiten und die Auffüllbeträge für die Ost-Renten aus der Rentenversicherung herausgenommen und in den Bundeshaushalt eingestellt.Damit haben wir das eingelöst, was jahrelang diskutiert wurde: nämlich versicherungsfremde Leistungen aus der Versicherung herauszunehmen.Das spiegelt sich im Haushalt wider.

TAGESSPIEGEL: Unbestritten ist, daß der Sozialetat sich seit 1990 verdoppelt hat.Soll das so weitergehen?

RIESTER: Ich möchte, daß die entscheidende Frage, wie die Zukunft der Rentenversicherung aussehen wird, bis zum Ende des Jahres politisch entschieden ist.

TAGESSPIEGEL: Und wie wird sie aussehen?

RIESTER: Meine Aufgabe ist es erst einmal, Zeitziele zu setzen und die Eckrahmen zu bestimmen.

TAGESSPIEGEL: Was ist der Rahmen?

RIESTER: Die Lösung darf den Rentenversicherungsbeitrag, der zum ersten April um 0,8 Prozentpunkte gesenkt wird, nicht wieder erhöhen.

TAGESSPIEGEL: Heißt das, daß der demographischen Faktor wieder in die Rentenformel kommt?

RIESTER: Das Problem der Rentenversicherung durch die demographische Entwicklung muß gelöst werden.Und wir werden es lösen.

TAGESSPIEGEL: Wie?

RIESTER: Das werden wir sehr sorgfältig in den nächsten Monaten mit Experten beraten.So, wie es die alte Bundesregierung wollte, können wir es jedenfalls nicht machen.Denn wir dürfen die Kleinrenten nicht unvertretbar absenken.Wir werden also keinen linearen Demographiefaktor einführen können, der Bezieher kleiner und mittlerer Renten in die Sozialhilfe treibt.Damit verschiebe ich nur ein Problem, anstatt es zu lösen.

TAGESSPIEGEL: Und wann lösen Sie es?

RIESTER: Ich setze mich und das Projekt ganz bewußt unter einen zeitlichen Druck.Wir brauchen den Druck, um eine Lösung zu finden.

TAGESSPIEGEL: Wird es die steuerfinanzierte Grundrente geben?

RIESTER: Nein.Aber es wird die bedarfsorientierte Grundsicherung innerhalb des Rentensystems geben.Das ist Bestandteil der Koalitionsvereinbarung.

TAGESSPIEGEL: Und die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente?

RIESTER: Auch dies muß Bestandteil der Rentenstrukturreform sein.Wichtig ist, daß wir Menschen eine Rückkehr in den Arbeitsprozeß ermöglichen.

TAGESSPIEGEL: Warum machen Sie nicht eine Rentenreform aus einem Guß, die auch die unterschiedlichen Arbeitszeitmuster berücksichtigt?

RIESTER: Weil es grundlegende Probleme gibt, die wir nur mittelfristig lösen können.Die Tatsache, daß die Normalarbeitsverhältnisse immer seltener werden, hat für die Sozialversicherungen dramatische Auswirkungen.Es wäre eine Illusion anzunehmen, daß wir das jetzt schnell hinbekommen werden.

TAGESSPIEGEL: Warum?

RIESTER: Weil ich die Kernfrage, ob die Rente sicher ist, mit einem klaren Ja beantworten will, wenn wir die Reform fertighaben.Und zwar bei stabilen Beiträgen.

TAGESSPIEGEL: Aber die 630-Mark-Jobber sollen nur zahlen und nichts bekommen?

RIESTER: Das Problem geringfügiger Beschäftigung ist nicht einfach zu lösen, weil es zu viele verschiedene Erwerbssituationen gibt, in denen Menschen eine geringfügige Beschäftigung aufnehmen.Der Mißbrauch ist gewaltig.Ich glaube, daß wir mit der Lösung, die wir jetzt gefunden haben, an den Rand dessen gelangt sind, was systemmäßig und politisch zu machen ist.

TAGESSPIEGEL: Was heißt das?

RIESTER: Auf die Rentenfrage bezogen machen wir jetzt das Angebot, daß der geringfügig Beschäftigte sich einen vollständigen Anspruch auf Mindestrente, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente und auf eine Kur durch einen eigenen Beitrag sichern kann.Ich meine, daß man sich da nicht beklagen kann.

TAGESSPIEGEL: Sie legen damit den nächsten Sprengsatz in das Rentensystem.

RIESTER: Ich habe nie behauptet, daß das die Probleme bei der Rentenversicherung entspannt.Im Gegenteil: Klar ist, daß es etwas kostet, wenn wir diese Menschen, die ja arbeiten, in das System einbeziehen, anstatt sie der Sozialhilfe zu überantworten.

TAGESSPIEGEL: Und wie lange, glauben Sie, wird die Entlastung des Rentenversicherungsbeitrages von 0,8 Prozent unter den Prämissen zu halten sein?

RIESTER: Das werden wir halten.Das ist Gesetz.Wenn wir eine neue Beitragsänderung machen wollten, könnten wir das frühestens zum kommenden Jahr machen.Und ich kämpfe dafür, daß das nicht passiert.

TAGESSPIEGEL: Die Sachlage hat sich mit dem Urteil des Verfassungsgerichtes, die Steuerfreibeträge für Familien mit Kindern anzuheben, drastisch geändert.

RIESTER: Unabhängig davon, daß wir dafür eine Lösung finden müssen und werden, kann man nun deutlich erkennen, wie unehrlich die Opposition die Steuerdebatte in den vergangenen Monaten geführt hat.Wir werden dafür verprügelt, daß wir nicht die Nettoentlastung realisieren können, die die alte Bundesregierung versprochen hat.Das war schon immer unrealistisch.

TAGESSPIEGEL: Aber die Minen haben Sie doch zum größten Teil selbst gelegt - zum Beispiel mit dem Zurückdrehen der Sozialreformen, der seltsamen Reform der 630-Mark-Jobs.

RIESTER: Ach was.Wir haben keine Nettoentlastungen offeriert, die wir nicht realisieren können.Wir haben trotz allem eine Nettoentlastung von deutlich über 15 Milliarden Mark.

TAGESSPIEGEL: Im Bündnis für Arbeit haben sich die Beteiligten verpflichtet für eine Tarifpolitik zu sorgen, die den Beschäftigungsaufbau unterstützt.Wie soll das aussehen?

RIESTER: Da gibt es viele Möglichkeiten.Wir werden jedenfalls keine Lohnleitlinien vorschlagen.

TAGESSPIEGEL: Warum nicht?

RIESTER: Weil das Prozesse bei den Beteiligten auslöst, die seit Jahrzehnten sehr selbstbewußt und eigenverantwortlich die Tarifverträge aushandeln.Ich war lange genug selbst Tarifpolitiker.Die Politik ist gut beraten, sich da rauszuhalten.

TAGESSPIEGEL: Die Niederlande hat in ihrem Bündnis Lohnleitlinien vorgegeben.

RIESTER: Das ist schon richtig, aber die Niederländer haben 15 Jahre gebraucht, bis ihr Konsens Erfolge brachte.Soviel Zeit haben wir nicht.Die Probleme sind zu drängend.

TAGESSPIEGEL: Wie also soll der Beschäftigungsaufbau aussehen, insbesondere bei Geringqualifizierten?

RIESTER: Es gibt immer mehr Menschen, die aufgrund ihrer Qualifikationen keinen Arbeitsplatz finden.Für diese Menschen müssen wir Tätigkeiten finden und sie dafür qualifizieren.Dann können wir überlegen, wie diese Menschen dabei ein vernünftiges Auskommen erhalten.

TAGESSPIEGEL: Damit schaffen Sie dann ein neues Feld für Dauersubventionen.

RIESTER: Nein.Wir werden die Menschen entsprechend qualifizieren, damit sie später ohne Subventionen auskommen.

TAGESSPIEGEL: Das wird nicht bei allen funktionieren.

RIESTER: Das werden wir dann sehen.Im übrigen läßt sich der Strukturwandel in der deutschen Industrie nicht zurückdrängen.Was wir brauchen, sind Jobs etwa bei den industrie-, produkt- und personennahen Dienstleistungen.

TAGESSPIEGEL: Im Osten werden inzwischen über zwei Drittel der Lehrlingsausbildung und der Beschäftigung vom Staat mitbezahlt.Will die Regierung jetzt die gesamte Ausbildung verstaatlichen?

RIESTER: Ganz sicher nicht.Aber wir müssen akzeptieren, daß sich die neuen Länder in einer Sonderrolle befinden.Dort sind in kurzer Zeit in großem Umfang riesige Strukturen weggebrochen.Das müssen wir auffangen.

TAGESSPIEGEL: Mit unbefristeten Subventionen?

RIESTER: Nein, wir werden auch aus dem Ausbildungs- und Beschäftigungsprogramm für die 100 000 Jugendlichen keine Dauereinrichtung machen.Das Programm ist ein Impuls.Danach muß der Ausbildungsmarkt wieder von alleine laufen können.

TAGESSPIEGEL: Wie wollen Sie die Mittel für den Arbeitsmarkt zielgenauer einsetzen? Häufig übernehmen die ABM-Kräfte sinnlose Tätigkeiten.

RIESTER: Sicherlich sind in Wahlkampfzeiten diese Gelder aus durchsichtigen Motiven sehr stark erhöht worden.Ich kann aber doch diese Mittel nicht einfach streichen.Die Betroffenen fallen ins Bodenlose.Aber wir werden die Maßnahmen sehr genau auf ihre Wirkungen überprüfen.Darauf können Sie sich verlassen.

TAGESSPIEGEL: Und was kommt dann?

RIESTER: Wir müssen diese Mittel zielgerichteter verwenden.Es kann doch nicht sein, daß Lohnkostenzuschüsse bis zu 26 000 Mark gezahlt werden, und damit nur Arbeitsplätze entstehen, die ohnehin entstanden wären.

TAGESSPIEGEL: Wie sieht Ihre Zielrichtung dabei aus?

RIESTER: Ich werde darüber intensive Gespräche mit der Bundesanstalt für Arbeit führen.Und wir wollen - so wie das im Koalitionsvertrag festgelegt ist - das Arbeitsförderungsrecht stärker auf aktive Beschäftigungspolitik ausrichten.

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