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Wirtschaft: Die Russen kommen

Firmen aus dem Osten greifen nach deutschen Unternehmen – dabei treffen sie auf wenig Gegenliebe

Berlin - Die Fans des FC Schalke 04 wissen noch immer nicht, ob sie über ihren neuen Hauptsponsor jubeln oder weinen sollen. Seit der russische Energiekonzern Gasprom vor vier Wochen beim verschuldeten Revierklub eingestiegen ist, streiten viele Fans, ob der Fußballverein „die Kröte schlucken muss“, wie einer es formuliert. „Solange keine Journalisten erschossen werden, weil sie negativ über Schalke oder seinen Hauptsponsor berichten, mag es ja noch erträglich sein“, lästert ein anderer im Fan-Forum. Im an diesem Sonntag erscheinenden Fan-Magazin kommt jedenfalls erst mal ein ungewohnter Interviewgast zu Wort – der Russland-Experte von Amnesty International.

Russische Unternehmen drängen verstärkt nach Westen und treffen nicht nur bei manchem Fußballfan auf offene Ablehnung. Als Mitte vergangener Woche bekannt wurde, dass der Mischkonzern Sistema einen Einstieg bei der Deutschen Telekom sondiert, machte sich am Bonner Unternehmenssitz und in Berlin Panik breit. Aufsichtsratskreise warnten vor dem von Ex-Telekom-Chef Ron Sommer eingefädelten Manöver und sahen in ihm den Boten eines russischen „Industrie-Imperialismus“. Das Unternehmen kommentiert die Angelegenheit offiziell nicht.

Auch der britische Mobilfunker Vodafone geriet in helle Aufregung, als der Chef der russischen Alfa-Gruppe in der Londoner „Times“ über einen Einstieg beim Telekom-Konkurrenten orakelte. „Die Geschichte entbehrt jeder Grundlage“, hieß es umgehend.

An kleineren Unternehmen sind russische Investoren indes schon beteiligt. Der Millionär Rustam Aksenenko hält an der Modefirma Escada 27 Prozent. Die Kosmetikfirma Dr. Scheller aus Württemberg ist in russischem Mehrheitsbesitz, ebenso der Berliner Tanklagerbetreiber Tabeg. Es scheint zudem nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Russen ihr Geld auch in Form spektakulärer Deals in westlichen Unternehmen anlegen.

Denn vor allem die Portemonnaies der Öl- und Gaskonzerne sind dank der zuletzt hohen Preise prall gefüllt. Auch Telekommunikationsunternehmen wie die Sistema-Sparte MTS wissen kaum wohin mit ihrem Geld. Deren „oligopolartige Vorteile“ versprächen auch künftig satte Gewinne, zumal die russische Wirtschaft stark wächst, heißt es in einer Analyse der Handels- und Entwicklungsorganisation der Vereinten Nationen (Unctad). Bereits 2005 stieg die Alfa-Gruppe beim türkischen Mobilfunkanbieter Turkcell ein. Im vergangenen Jahr investierten russische Unternehmen laut Unctad mit gut 13 Milliarden Euro im Ausland, Tendenz klar steigend.

„Die Aktivitäten auf den internationalen Märkten zeigen, dass Russlands Schlüsselindustrien zunehmend selbstbewusster auftreten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ludolf von Wartenberg, dem Tagesspiegel am Sonntag. Der BDI begrüßt die Entwicklung, warnt aber vor voreiligen Zugeständnissen an Investoren. „Die russischen Unternehmen, die unter Einfluss des Staates stehen, bedürfen besonderer Aufmerksamkeit, ob sie den Prinzipien der Marktwirtschaft oder politischen Vorgaben folgen. Das muss von Fall zu Fall sorgfältig hinterfragt werden“, fordert von Wartenberg. An Gasprom etwa ist der russische Staat mehrheitlich beteiligt. Zu den meisten der sogenannten Oligarchen pflegt Staatschef Wladimir Putin ein enges Verhältnis.

Auch Gewerkschaften und Anlegerschützer knüpfen das russische Engagement an Bedingungen. „Es darf nicht sein, dass die Investoren kurzfristige Interessen verfolgen und wenig profitable Teile der Konzerne verscherbeln“, sagt der Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dierk Hirschel. Diese Gefahr bestehe bei der Telekom. Jürgen Kurz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz fordert wie der BDI, den Einfluss des russischen Staates zu prüfen. Prinzipiell mache es aber keinen Unterschied, ob Kapital etwa aus den USA oder aus Russland nach Deutschland komme, betonen Hirschel und Kurz. „Zu viele haben bei Russland immer nur den Wodka trinkenden Oligarchen im Kopf und Putin als Wiedergeburt Iwans des Schrecklichen. Dieses Bild ist schief“, sagt Kurz. Letztlich zählt für ihn Gewinnmaximierung, „der muss alles untergeordnet werden“.

Immer wieder weckt die russische Seite jedoch das Misstrauen westlicher Firmen, was deren Freude auf Russen im eigenen Aufsichtsrat dämpft. So machen die russischen Behörden Shell gegenwärtig das Leben bei der Erschließung eines Gasfeldes bei Sachalin mit strengen Umweltauflagen schwer. Fachleute spekulieren, der Kreml bereite schon den Einstieg Gasproms in das Projekt vor.

Ärger hatte auch die Telekom in Russland: Ihr gelang es 2003 offenbar aufgrund staatlicher Intervention nicht, bei MTS die Mehrheit zu erlangen. „Wenn Russland die Investitionsbedingungen in strategischen Bereichen verschärft, dann müssen russische Unternehmen auch mit Beschränkungen des Zugangs in diesen Bereichen in Europa rechnen“, sagt von Wartenberg. Das hätten auch die EADS-Eigner zu bedenken, wo die Bank WTB (früher: Wneschtorgbank) unlängst einen Anteil von fünf Prozent erwarb.

Die Schalker Fußballfans erwarten derweil, dass die Russen zahlen, sich aber nicht in die Vereinsgeschäfte einmischen. Der Titel der Fanzeitschrift ist diesmal kyrillisch geschrieben, allerdings gleich wieder durchgestrichen. Darüber heißt es in gewohnten lateinischen Lettern: „Schalke Unser“.

Nils-Viktor Sorge

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