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Wirtschaft: Die schleppende Reform der Auto-Ikone

Von Scott Miller, Melfi Der Direktor der hochmodernen Autofabrik im süditalienischen Melfi weiß besser als jeder andere, mit welchen Problemen Fiat zu kämpfen hat. Während die Rahmen von „Puntos“ auf dem grünen Montageband vorbei gleiten, weist Massimo Risi auf ein Diagramm an der Wand.

Von Scott Miller, Melfi

Der Direktor der hochmodernen Autofabrik im süditalienischen Melfi weiß besser als jeder andere, mit welchen Problemen Fiat zu kämpfen hat. Während die Rahmen von „Puntos“ auf dem grünen Montageband vorbei gleiten, weist Massimo Risi auf ein Diagramm an der Wand. Daraus geht hervor, dass die Fehlerquote bei der Herstellung sinkt. Risi weiß aber auch, dass sich Fiat selbst eine große Grube gegraben hat, weil es jahrelang schlampig gearbeitet hat.

Das Turiner Unternehmen ist berüchtigt für die schlechte Qualität seiner Wagen. „Wir haben in der Vergangenheit nicht so sorgfältig gearbeitet wie erforderlich“, sagt er. „Ich denke, das hat zum Teil kulturelle Gründe.“

Risi ist nicht der einzige, der dieser Tage in sich geht. Der von der Regierung verhätschelte Konzern fängt an, seine Fehler einzugestehen. Fiat bezeichnete sein neuestes Modell in aller Öffentlichkeit als „nicht brillant". Das Unternehmen hat einen radikalen Sanierungsplan für die problematische Autosparte angekündigt. Fiat plant zudem, eine der Landesikonen - Ferrari - an die Börse zu bringen. Und vergangene Woche musste der Fiat-Vorstandschef Paolo Cantarella gehen. Sein vorläufiger Nachfolger ist Konzernpräsident Paolo Fresco - der früher Vice Chairman bei General Electric (GE) und Schüler des legendären Managers Jack Welch. Doch bei diesen Veränderungen bleibt es auch. Weitreichendere Reformen sind nicht absehbar.

Das hat auch damit zu tun, dass Fiat in Italien eine Institution ist. Es gebe, so witzelt man in Italien, drei Machtzentren im Land: Den Premierminister, den Papst und die Familie Agnelli, den Fiat-Hauptaktionär.

Das Ferrari Formel 1-Team von Fiat ist außerdem eine Ikone in Italien. Kein Wunder also, dass Veränderungen bei Fiat ganz Italien erschüttern. Und dass der Widerstand gegenüber Veränderungen mitunter so hoch ist, dass er Reformwillige entmutigt. „Das Umfeld in Italien ändert sich, doch noch immer gibt es Machtspiele“, sagt Fresco, „und die sind manch einem wichtiger als der Erfolg auf dem Weltmarkt“.

Im Mittelpunkt der Selbstkritik und Neuorientierung bei Fiat steht die Autosparte. Fiat Auto ist defizitär, der Marktanteil sinkt. Grund sind zu geringe Investitionen, eine zu hohe Abhängigkeit vom inländischen Markt und die schlechte Qualität der Autos. Vielen Angestellten wird immer klarer, dass Fiat Auto keinen Platz in der Zukunftsvision von Fiat hat. Es gibt Spekulationen, dass Fiat schon bald in die Hände von General Motors (GM) übergehen könnte. Vor zwei Jahren war GM mit 20 Prozent bei Fiat Auto eingestiegen. Mit einer so genannten Put-Option könnte Fiat GM zwingen, die restlichen 80 Prozent der Aktien zu kaufen. Der früheste Zeitpunkt dafür ist Januar 2004. Einige Insider schließen aber nicht aus, dass sich Fiat noch früher von seinem Autobereich trennen könnte.

Fresco sollte frischen Wind in den italienischen Autokonzern bringen und mit der Fiat-Vergangenheit brechen. Bevor er 1998 Fiat-Präsident wurde, herrschte bei Fiat ein Managertypus vor, der sein Leben lang auf seinem Posten saß und mit römischen Politikern auf vertrauterem Fuß als mit den New Yorker oder Londoner Finanzmärkten war. Fresco hingegen hat fast vierzig Jahre bei GE gearbeitet. Der weltmännische 68-Jährige, der drei Sprachen spricht, war einer der ersten, der es trotz seiner ausländischen Herkunft an die Spitze des ur-amerikanischen Unternehmens geschafft hatte.

Einigen frischen Wind hat Fresco schon ins Unternehmen gebracht. Seit er im Mai 2000 die Allianz zwischen Fiat und GM eingefädelt hat, versucht er, die Fiat-Unternehmenskultur zu amerikanisieren. Zum Beispiel wurden in den vergangenen zwei Jahren rund 25 Prozent der Führungskräfte aus dem Unternehmen gedrängt oder auf weniger einflussreiche Posten versetzt und dafür 1000 neue Mitarbeiter in den Konzern geholt; einige davon aus dem Ausland. Fresco hat auch den Umgangston im Konzern verändert, meinen Manager. Er habe zum Beispiel mit der italienischen Praxis der förmlichen Anrede gebrochen und angeregt, sich mehr mit dem Vorn anzureden. Nicht zuletzt hat sich der Geschäftsbericht verändert. Der liest sich nun mehr wie ein Überblick über die Geschäftsentwicklung von Fiat. Früher informierte er hingegen ausführlich über die Lage der Weltkonjunktur.

Und dennoch - die bisherigen Veränderungen nehmen sich klein aus, verglichen mit den drastischen und schmerzvollen Reformen, die noch erforderlich sind. Das betrifft vor allem die Auto-Sparte, die im ersten Quartal dieses Jahres 429 Millionen Euro Verlust gemacht hat. Nach Ansicht von Analysten haben die Verluste mit Überkapazitäten, ineffizienten Fabriken und zu geringen Investitionen in das Unternehmen zu tun.

Um die Probleme in den Griff zu bekommen, tauschte Fresco das Management der Auto-Sparte aus. Im vergangenen Dezember machte er einen Manager zum Chef des Sorgenkindes, der im italienischen Auto-Unternehmen einem Rebell am nahesten kommt: Giancarlo Boschetti. Der langjährige Fiat-Angestellte ist die Karriereleiter an der Verkaufs-Seite der Lastwagen-Sparte hochgeklettert. Damit ist seit langer Zeit zum ersten Mal kein Ingenieur an der Spitze von Fiat Auto.

Boschetti hat Mitte Mai einen drastischen Sanierungsplan für Fiat Auto angekündigt. Er streicht 3000 Arbeitsplätze, will Kosten in Höhe von 80 Millionen Euro einsparen und das Händlernetz grundlegend überarbeiten Doch das Unternehmen ist bislang nicht bereit, eine Fabrik zu schließen.

Eine andere Wolke ist die Unsicherheit über GM. Fiat wäre nicht abgeneigt, die Auto-Sparte vor 2004 zu verkaufen, auch wenn das Unternehmen die Umsetzung von Boschettis Sanierungsplan abwarten dürfte, damit es einen höheren Preis verlangen könnte, heißt es aus informierten Kreisen. GM könnte die Put-Option vorziehen. Der US-Konzern ist sich aber im klaren darüber, dass Fiat in einer besseren Lage wäre, den Arbeitsplatzabbau sozial abzuwickeln und Unterstützung bei der italienischen Regierung zu erhalten, meinen diese Kreise.

Es gibt einen weiteren Grund, warum Fiat heute schlechter dasteht als früher. Der italienische Staat hat heutzutage weniger Möglichkeiten, Fiat zu unterstützen - selbst, wenn er wollte. Vor fünf Jahren musste Agnelli nur zum Telefonhörer greifen und der Staat eilte ihm zur Hilfe - etwa mit Prämien für die Ankurbelung des Auto-Absatzes oder mit der Beschränkung von Importen. Doch die Globalisierung der Autobranche und jahrelanges Missmanagement bei Fiat machen die Regierung überwiegend machtlos.

Zurück zu Melfi. Die Fabrikmanager arbeiten mehr mit externen Kunden-Umfragen. Auch die Montagearbeiter versuchen, sich an die neue Fiat-Unternehmenskultur zu gewöhnen. Haben sie Angst um ihren Arbeitsplatz? Denken sie, dass die Reformen nicht ausreichen? Auf jeden Fall haben die Arbeiter über einen Dienstplan ein Photo von Padre Pio gehängt. Der mysteriöse italienische Mönch starb 1968 und wurde am vergangenen Sonntag vom Papst heilig gesprochen. Etwas heilige Inspiration ist genau das, was die Schönheitskur von Fiat braucht.

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