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Wirtschaft: Die Stadt Burg regiert ein Zwangsverwalter

BURG .Eine Stadt steht unter Schock.

BURG .Eine Stadt steht unter Schock.Im Rathaus der 26 000 Einwohner umfassenden Kreisstadt Burg bei Magdeburg werden Fremde mißtrauisch beäugt, die Betroffenheit ist spürbar.Das Schild am Zimmer 2.7 wirkt provisorisch."Sterz" steht darauf, der Name des Zwangsverwalters, der im Auftrag des Landkreises als Kommunalaufsichts-Behörde seit ein paar Tagen die Geschicke der Stadt lenkt und leitet.

Noch vor wenigen Tagen stand dort "Daniel Kohnert" zu lesen.Seit 1991 war Kohnert Oberbürgermeister der Kreisstadt, bei der Wahl 1994 wurde er mit mehr als 70 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.Jetzt ist er tot.Der Stadtvorsteher sah keinen Ausweg mehr: Die dramatische Zuspitzung eines kommunalen Wirtschaftsskandals, der vor recht genau einem Jahr seinen Anfang nahm, trieb ihn in den Freitod.

Vor einem Jahr hatte der kommissarische Leiter der stadteigenen Entwicklungs- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (EWF), Siegfried Colditz, das Gesamtvollstreckungsverfahren, die ostdeutsche Variante des Konkurses beantragt.Colditz war ein halbes Jahr zuvor als Geschäftsführer der kommunalen Gesellschaft eingesetzt worden, nachdem Kohnert den Vorgänger Andreas Erdmann fristlos gefeuert hatte.Daß ausgerechnet eine kommunale Wirtschaftsförderungsgesellschaft Pleite gehen kann, kommentierte man seinerzeit im Wirtschaftsministerium des Landes mit ungläubigem Kopfschütteln."Normalerweise gehen die Geschäfte gerade bei solchen Gesellschaften so gut, daß aus ihren Einnahmen regelmäßig die städtischen Haushalte saniert werden", meinte eine Sprecherin.

Gegen Erdmann ermittelt seitdem die Staatsanwaltschaft.Betrug, Unterschlagung, Untreue und Konkursverschleppung sind nur einige der Verdachtsmomente, die gegen Erdmann bestehen.Die EWF sollte als Bauträger ein gemeinsames feuerwehrtechnisches Zentrum für Stadt und Landkreis errichten.Irgendwann im Frühjahr 1997 hatte die Baufirma geradezu fluchtartig die Baustelle verlassen, weil kein Geld mehr floß.Unklar ist bis heute, wieviel Geld überhaupt fließen sollte.Denn für den Bau des Feuerwehrzentrums existieren mehrere Verträge.Einer, der dem Aufsichtsrat zur Genehmigung vorlag und mindestens ein weiterer, in dem die Baukosten mehr als zwei Mill.DM höher liegen als in dem vom Aufsichtsrat unter Kohnert genehmigten Kontrakt.Kohnert erklärte sich stets für unschuldig, für den selbst hinters Licht geführten.Als Aufsichtsratsvorsitzender der EWF wollte er von den Finanzmanipulationen nie etwas erfahren haben.

Auf Initiative Kohnerts genehmigte der Stadtrat immer neue Finanzspritzen für die angeschlagene städtische Gesellschaft.Rund zehn Mill.DM.Es hätte noch mehr sein können, wenn der Landrat als Kommunal-Aufsichtsbehörde nicht irgendwann die Notbremse gezogen hätte.Die Stadträte wollten im Frühjahr 1997 die erneut drohende Überschuldung der EWF verhindern und ein städtisches Darlehen in Höhe von sechs Mill.DM in einen verlorenen Zuschuß umwandeln.Auf dem freien Markt wäre die Gesellschaft damit wieder eine Weile kreditwürdig gewesen.Landrat Detlef Lehmann, wie Kohnert Sozialdemokrat, zog die Notbremse."Da ist jetzt schon viel zu viel Geld hineingeflossen, das eigentlich für ganz andere Vorhaben gedacht war", sagte Lehmann damals.Daß die Summen, die die EWF wie ein ausgetrockener Schwamm in sich aufgesogen hat, noch sehr viel höher liegen könnten als es vor einem Jahr selbst Pessimisten vermutet haben, kam erst nach und nach durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen heraus.

Die Tragik der Geschichte spitzte sich vor rund zwei Wochen dramatisch zu.Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen in Sachen EWF kurz zuvor auf Kohnert erweitert.Vor zehn Tagen wurde er vorläufig festgenommen.Zuvor war den Ermittlern bekanntgeworden, daß er nachgeordnete Mitarbeiter mit der Vernichtung belastenden Aktenmaterials beauftragt hatte.Nach dem vor dem Haftrichter abgelegten Geständnis Kohnerts, zur Rettung der Liquidität der EWF am Stadtrat vorbei unrechtmäßig Bürgschaftsverpflichtungen zulasten der Stadt in Höhe von mindestens weiteren vier Mill.DM eingegangen zu sein, wurde Kohnert wieder auf freien Fuß gesetzt."Die Verdunkelungsgefahr war durch das Geständnis beseitigt, damit bestand kein Haftgrund mehr", befand Oberstaatsanwalt Wolfram Klein.Doch Kohnert stand nun vor den Trümmern dessen, was in den letzten Jahren sein Leben bedeutete.Dann setzte er seinem Leben im Keller seines Hauses schließlich selbst ein Ende.

Landrat Lehmann verteidigt seinen Schritt, Kohnert vorübergehend des Amtes zu entheben und einen Zwangsverwalter für die Stadt zu bestimmen."Nach seinem Geständnis war ich zu diesem Schritt gezwungen", sagt er.Eine dienstrechtliche Vorverurteilung sei die Beurlaubung nicht gewesen.Halt übliche Praxis bei Ermittlungen gegen einen Beamten.Daß Kohnert sich selbst habe bereichern wollen, unterstellen ihm nicht einmal eingefleischte Gegner.Und seine Anhänger glauben den ganzen Vorwürfen ohnehin nicht."Ich kann mir nicht vorstellen, daß der Herr Kohnert etwas Unrechtes getan hat", weigert sich eine junge Mutter auf der Straße, das zu glauben, was im dürren Juristendeutsch "Verdacht der Untreue im Amt" heißt.Die Staatsanwaltschaft wird die Ermittlungen gegen Kohnert routinemäßig einstellen.Gegen Tote wird nicht ermittelt.Als Schuldeingeständnis will Oberstaatsanwalt Wolfram Klein den Freitod des Burger Stadtvorstehers nicht werten.Aber die vom bundesdeutschen Strafrecht verlangte Unschuldsvermutung bis zum konkreten Nachweis einer Schuld bleibt im Falle Kohnert theoretisch."Wenn der nichts zu verbergen gehabt hätte, hätte er sich doch der Justiz stellen können und nicht diesen Weg gehen müssen", meint ein Rentner.Der Vorsitzende des Stadtrates, Bernhard Polefka (Neues Forum), ist angesichts der Entwicklung bis heute fassungslos.Polefka spricht von "einer langen Kampagne" gegen Kohnert, "die jetzt zu einem schrecklichen Ende geführt hat".Er ist nicht der einzige, der "für sehr wahrscheinlich" hält, daß der in der Bevölkerung ausgesprochen beliebte Oberbürgermeister Opfer einer politischen Intrige geworden ist.Von wem die ausgegangen sein soll, mag aber auch Polefka nicht benennen.Aber er ist der einzige, der offen ausspricht: "Ich hätte nie gedacht, daß Politik so dreckig sein kann."

Zumindest bis zur Wahl eines neuen Oberbürgermeisters bleibt Burg unter der Fuchtel des Zwangsverwalters Bernhard Sterz.Wenn die Machenschaften um die EWF zur Zahlungsunfähigkeit der Stadt geführt haben, wird sich Sterz allerdings auf ein längeres Verweilen in der Kreisstadt einrichten müssen.

EBERHARD LÖBLICH

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