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Wirtschaft: Die Steuerreform bringt den Berlinern nichts

BERLIN (fbe/uwe).Die Große Steuerreform - für Berliner Haushalte wird sie wohl zum Rohrkrepierer.

BERLIN (fbe/uwe).Die Große Steuerreform - für Berliner Haushalte wird sie wohl zum Rohrkrepierer.Die von Finanzminister Oskar Lafontaine (SPD) versprochene Nettoentlastung um rund drei Mrd.DM wird jedenfalls weder in der ersten Stufe zum 1.Januar noch in der zweiten Stufe zum 1.April Bewegung auf die Lohn- und Gehaltsabrechnungen der Berliner Bürger bringen.Das ist das traurige Fazit der Berechnungen, die das Karl-Bräuer-Institut für den Tagesspiegel anstellte.

Als sich Wirtschaftsminister Werner Müller über Weihnachten so seine Gedanken über die kommenden Tarifabschlüsse machte, kam er zu dem Schluß, daß die Gewerkschaften bei ihrer Lohnforderung doch bitte berücksichtigen möchten, daß die Lohntüten der Bürger durch die Steuer- und Abgabenentlastung in 1999 ohnehin dicker würden.Deshalb sei Zurückhaltung angebracht, meinte Müller.

Schade nur, daß er nicht genau gerechnet hat.Denn kritischer als die Frage, ob sich ein Wirtschaftsminister in die Tarifverhandlungen einmischen darf, ist in diesem Jahr die Rechnung, wer durch die Steuerreform wirklich entlastet wird.Von "übrigbleiben" nämlich kann für viele Haushalte kaum gesprochen werden."Für die meisten ist es ein Nullsummenspiel", kritisiert Steuerexperte Volker Stern vom Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler.Niemand könne nachvollziehen, wie eine Nettoentlastung überhaupt zustandekomme.

So werde zwar die Ökosteuer zum 1.April die Sozialversicherungen um 0,8 Prozentpunkte kräftig entlasten - aber erst, nachdem die Beitragsbemessungsgrenzen für Renten-, Kranken-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung zum 1.Januar drastisch angehoben wurden.Vor allem ostdeutsche Haushalte trifft das so stark, daß unter dem Strich nur die Kindergelderhöhung - eine eigentlich steuerfremde Sozialleistung - die Bilanz der Steuerbürger wieder in die schwarzen Zahlen rückt (siehe Musterrechnung).

Rechnet man alle Steuern und Abgaben - also auch kommunale Gebühren für Wasser, Straßenreinigung, Müll und den Hund (in der Grafik nicht aufgeführt) - zusammen, ergibt sich für den Tagesspiegel-Spitzenverdienerhaushalt im Dezember 1998 eine Gesamtbelastung von 12 452,32 DM im Monat - das sind stolze 62,10 Prozent vom Bruttogehalt von 17 000 DM.Zum Januar hat die West-Berliner Familie noch einmal knapp 40 DM weniger in der Tasche - und zwar nur deshalb, weil die Pflichtversicherungen und die Steuerbehörden zulangen.An den Berliner Gebühren ändert sich zum 1.Januar nichts.

Nun will die Regierungskoalition diesen Haushalt ohnehin nicht schonen.Doch warum die Kinderfreibeträge, die bei Besserverdienenden das Kindergeld ersetzen, nicht auch angehoben werden, ist keine reine Umverteilungsfrage von oben nach unten mehr.Vor allem dann nicht, wenn das Ehegattensplitting in Zukunft beschränkt wird.Denn Familienförderung wollte die rot-grüne Bundesregierung unabhängig vom Einkommen der Eltern treiben.Und es erklärt auch nicht, warum dann im April genau derselbe Spitzenverdiener-Haushalt wieder entlastet werden soll - "da versteht niemand mehr, wie hin- und herverteilt wird", kritisiert Stern.

Auf den einzelnen Haushalt heruntergerechnet, zeigt sich nun, daß trotz des riesigen Aufwandes für Steuerzahler, Steuerbehörden - und künftig wohl auch für die Gerichte - "wohl nur für richtige Niedrigverdiener etwas herauskommt", so Stern.Und da auch nur wegen des Kindergeldes.Bei den anderen wird zwar zwischen Versicherungen, Ökosteuer und Einkommensteuertarif munter hin- und herverteilt, aber netto ändert sich kaum etwas."Zuwenig und zu zaghaft" hatte bereits der Sachverständigenrat vor wenigen Wochen moniert - und vermutet, daß die Steuerreform für die "neue Mitte" wohl ausgehen werde wie das Hornberger Schießen.

Wer aber schon nicht mehr versteht, warum er wie zur Kasse gebeten wird, der drückt sich, wo er kann.Was auch immer Städte und Gemeinden an Ideen entwickeln, um ihre Finanznot durch Gebührenerhöhungen oder neue Abgaben beim Bürger zu lindern, stößt auf erbitterten Widerstand.Trotz aller Anstrengungnen gehen die Gebühreneinnahmen der Kommunen zurück.

Obwohl die Abgabenlast für Berliner zunächst einmal nicht steigt, hat sich die Stadt zu einem gallischen Dorf der Gebührenwiderständler entwickelt - weil die Abgabenlast insgesamt im Vergleich zu westdeutschen Städten Spitzenniveau hat.Vom Mülltonnen-Kidnapping bis zum Wasserrebellentum reicht der Widerstand.Denn dem Ost-Berliner Musterhaushalt bleiben auf dem Gehaltszettel zwar noch fast 70 Prozent des Bruttogehalts übrig: Nach dem Einkauf und der unbemerkten Mehrwertsteuerzahlstelle an Supermarktkasse und Tankstelle und schließlich dem Begleichen der kommunalen Steuer- und Gebührenrechnung läßt die öffentliche Hand aber auch ihm nicht einmal mehr die Hälfte seines Einkommens.Verglichen mit dem Single-Haushalt immer noch eine Menge: Denn der zahlt am Ende mit knapp zwei Drittel seines Einkommens für direkte und indirekte Steuern, Sozialversicherungen, Wassergeld und Ökosteuer, Müllabfuhr und Tabaksteuer.

Kein Wunder, daß sich die Bürger abgezockt fühlen.Kein Wunder auch, daß sie immer häufiger vor Gericht ziehen, wenn sie den Verdacht haben, daß die Gegenleistung nicht mehr stimmt.Zum Beispiel wegen der Wasserkosten.Der Streit mehrerer Grundstückseigentümer mit den Berliner Wasserbetrieben (BWB) hat bereits einen Beschluß des Kammergerichts herausgefordert.Ein Gutachten soll klären, ob die Tarife der Wasserbetriebe gerechtfertigt sind.

Die organisierten Kunden geben sich nicht mehr damit zufrieden, daß die Wasserbetriebe fürs Erste keine Gebührenerhöhung planen.Sie wollen den Betrieb zu Preissenkungen zwingen.Schon im vergangenen Dezember hatten auf diesem Wege zwei Hauseigentümer aus Kreuzberg und Reinickendorf die volle Rückzahlung ihrer Wasser-und Abwasserentgelte von 16 000 und 12 000 DM erstritten.

Unterstützt werden die Aufmüpfigen von höchster Stelle.Selbst der Berliner Rechnungshof hat in seinem jüngsten Bericht für das Geschäftsjahr 1996 zu hohe Entgelte der Berliner Versorgungsbetriebe moniert.Es seien nicht betriebsnotwendige und überhöhte Aufwendungen in die Kalkulation eingeflossen.

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