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Wirtschaft: „Die Stimme kenne ich doch“

In Berlin leben und arbeiten die meisten Synchronsprecher. Ein Blick hinter die Kulissen der Branche.

Gerrit Schmidt-Foss brüllt, sein Gesichtsausdruck ist wütend, der Körper angespannt. Leonardo DiCaprio holt gerade mit der Faust aus, packt sein Gegenüber mit der anderen Hand und schreit: „Halten Sie den Mund!“. Wobei, eigentlich ist es Gerrit Schmidt-Foss, der da schreit, in das Mikro im Aufnahmestudio am Hohenzollerndamm. Abwechselnd guckt er auf seinen Text und die kleine Leinwand vor sich mit der Filmszene aus „Der großy Gatsby“, dem neuesten Film von Leonardo DiCaprio. „Meine Aufgabe ist es, dem Original so gerecht wie möglich zu werden“, sagt er. „Und um Emotionen zu erzeugen, sind natürlich Mimik und Gestik dabei, wenn ich hinter dem Mikro stehe und spreche.“ Synchronsprecher lesen nicht einfach nur einen Text ab – sie schauspielern. „Ich muss aber aufpassen, dass ich dabei kein Geräusch mache“, sagt Gerrit Schmidt-Foss. Der Bauch darf nicht knurren, die Kleidung nicht rascheln, die Armbanduhr nicht ticken – sonst ist die Aufnahme hin. Gerrit Schmidt-Foss ist einer von etwa 1100 Synchronsprechern in Deutschland und die Stammstimme von Leonardo DiCaprio.

Werden etwa in skandinvischen Ländern alle ausländischen Filme im Original mit Untertiteln gezeigt, schaut man in Deutschland synchronisierte Fassungen. Zwar gibt es den Trend, englische Produktionen im Original zu sehen. Doch das Massenpublikum bevorzugt deutsche Fassungen. Außerdem bringen Länder wie Belgien, Dänemark, Spanien, Indien oder Frankreich verstärkt Filme und Serien auf den deutschen Markt. Zentrum der Branche ist Berlin, hier leben die meisten Sprecher, in den Studios am Hohenzollerndamm wird der Großteil der deutschen Fassungen produziert. Doch es gibt Nachwuchsprobleme. Zwar klingelt jeden Tag mehrmals das Telefon bei der Synchronfirma Arena Film GmbH & Co., weil sich Menschen als Sprecher bewerben wollen. Doch so einfach ist das nicht. Wer als Synchronsprecher arbeiten möchte, muss eine Schauspielausbildung abgeschlossen haben. „Eine emotionale Intelligenz ist wichtig, eine saubere Aussprache, Teamfähigkeit, Musikalität, um im Takt zu sprechen und natürlich Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit“, sagt Björn Herbing, Geschäftsführer der Arena Film und Vorstandsmitglied des Synchronverband e.V. – Die Gilde. Er beobachtet, dass Synchronsprechen zunehmend ein Teil des Schauspielberufs wird. Die Universität der Künste hat die Disziplin gerade in ihre Studienordnung aufgenommen.

Aber Schauspieltalent allein reicht nicht. Man braucht eine hohe emotionale Auffassungsgabe und muss mit seiner Stimme jede Regung transportieren können. „Ich kann die Augenbraue so hoch ziehen wie ich will – das sieht kein Mensch. Ich muss also zusätzlich versuchen, die hoch gezogene Augenbraue mit dem Mund herzustellen“, sagt Gerrit Schmidt-Foss. Er weiß, selbst ein Atmen kann ein Gefühl in der Stimme verstärken. Synchronsprecher müssen ihre Stimme beherrschen wie ein Werkzeug, nur durch sie wird ihr Schauspiel sichtbar. Dabei stehen sie allein im Studio, nur der Cutter ist im gleichen Raum und achtet darauf, dass die Lippenbewegungen auf der Leinwand und der Ton synchron sind. Durch eine Glasscheibe werden sie von Regisseur und Aufnahmeleiter beobachtet, die gleichzeitig die Film- oder Serienszenen anschauen und penibel darauf achten, dass Emotion und Timing der Sprecher stimmen. Sie geben den Sprechern den Einsatz und leiten sie durch die Szenen. Synchron ist Teamarbeit.

Gerrit Schmidt-Foss gefällt das an seinem Beruf. Der 38-Jährige ist ein alter Hase in der Branche, mit zwölf hat er seinen ersten Film synchronisiert, 1987 war das, „der letzte Kaiser“. Leonardo DiCaprio sprach er zum ersten Mal 1993 in „This Boys Life“. Auch in der Shakespeare-Romanze „Romeo und Julia“ ist Schmidt-Foss zu hören, als schmachtender DiCaprio alias Romeo. 1997 schließlich kam mit „Titanic“ nicht nur der Durchbruch für den Leinwandstar, sondern auch für Schmidt-Foss. Seither ist er DiCaprios feste Stimme, für seine Arbeit in „Titanic“ und „Inception“ bekam er Auszeichnungen als bester deutscher Synchronsprecher.

Doch es ist eine unbekannte Branche, Synchronsprecher sind die verborgenen Stars, Stimmen ohne Gesicht. Dabei startete Schmidt-Foss als Schauspieler, im Kindesalter schon. Die meisten haben ihn gesehen als Sohn von Loriot in „Papa ante Portas“. Über das Drehen kam er schließlich zu Hörspielen und darüber zum Synchron, mit zwölf sprach er seinen ersten großen Film, „Der letzte Kaiser“. „Bei Synchron habe ich die große Freude, mehrere Rollen an einem Tag zu spielen, den romantischen Liebhaber, dann den sadistischen Serienkiller und beim nächsten Termin einen stotternden Zeichentrickfrosch“, erzählt er. Er findet, jede Rolle hat es verdient, zu hundert Prozent Ernst genommen zu werden. „Und man braucht eine große Anerkennung für den Schauspieler“, ergänzt er.

Dem Kinopublikum und dem Fernsehzuschauer ist meist nicht bewusst, was für eine Arbeit hinter einer guten Synchronfassung steckt. „Es ist ein unglaublich unterschätzter Beruf“, sagt Tobias Kluckert, die deutsche Stimme von Bradley Cooper, Gerard Butler und Ryan Gosling. „Ich bin in meinem Spielen sehr körperlich, ich zappele viel rum und spiele jede Bewegung mit, damit es auch in der Stimme organisch wird“, erzählt der 40-Jährige. Kluckert gehört neben Schmidt-Foss und Frauen wie Sandra Schwittau – der deutschen Stimme von Bart Simpson – zu den bekannten und viel beschäftigten Synchronsprechern.

Auch Bianca Krahl haben die meisten deutschen Film- und Fernsehzuschauer schon gehört. Auf der Straße erkennt sie trotzdem keiner. Sogar ihr Mann merkt oft nicht, dass gerade seine Frau aus dem Fernseher spricht, wenn sie abends gemeinsamauf dem Sofa sitzen. „Es ist kein Beruf für eitle Leute“, sagt Binaca Krahl. Sie spricht vor allem Charlize Theron, wie im Film „Snow White and the Huntsman“, Rachel Bilson in der Serie „Hart of Dixie“ und Emilie Blunt, bekannt aus „Der Teufel trägt Prada“, die spricht sie am liebsten.„Die Kunst ist es, den verschiedenen Typen etwas eigenes zu geben“, sagt sie. Wie Schmidt-Foss kam sie als Kind über die Schauspielerei zum Synchron, sie sprach Rollen in Serien wie den „Waltons“ und in Hörspielen wie „Fünf Freunde“. Mehr Popularität für ihren Beruf wünscht sie sich nur, damit die Anerkennung innerhalb und außerhalb der Branche wächst. Krahl genießt es, anonym zu sein und jeden Tag eine andere Rolle zu spielen.

Tobias Kluckert betont: „Man braucht ein gehöriges Maß an Demut für diesen Beruf, denn es geht nie um mich, sondern nur um die Figur und wie der Schauspieler auf der Leinwand diese Figur angelegt hat.“ Wer auf der Straße erkannt werden wolle, sei in der Branche falsch. Trotzdem ärgert es ihn, wenn seine Arbeit im Abspann einfach nur unter „Technical Staff“ genannt wird. Auch die Schauspielstars würdigen nicht immer die Arbeit ihrer Synchronstimmen. Eine Begegnung mit Bradley Cooper bei der Premiere von Hang Over 2 in Berlin war war eher reserviert, erinnert sich Kluckert.

Sechs Jahre hat er gebraucht, bis er seine markante Stimme so einsetzen konnte wie heute. Er nahm Schauspielunterricht, ließ sich in Gesang und Sprecherziehung ausbilden. Angefangen hat er als Mengensprecher, hat Hintergrundszenen synchronisiert. Sein erster Film war „Starship Troopers“ von 1997, drei Tage hat er nur gebrüllt. „Und es har einen riesigen Spaß gemacht“, erinnert er sich. Mittlerweile hat er mehr als 100 Dokumentarfilme gesprochen und mehr als 800 Spielfilme synchronisiert.

Zu seinen liebsten und erfolgreichsten Arbeiten gehört „Walk the Line“, die Verfilmung des Lebens von Jonny Cash. Kluckert sprach Joaquin Phoenix. Den Film sah er sich in der Berliner Waldbühne an, auf einer Riesenleinwand. Er erinnert sich noch genau an den Moment, als er dachte „Krass! Hier sitzen 12 000 Menschen, die mir gerade zuhören – und keiner weiß es“.

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