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Wirtschaft: „Die Verhandlungen werden scheitern“

Norbert Hansen, Chef der Gewerkschaft Transnet, über den Lokführer-Streit und die Gefahr neuer Streiks

Herr Hansen, alle Bahn-Gewerkschaften drohen ständig mit Streik. Ist die Bahn ein so unfreundlicher Arbeitgeber?

Gewiss nicht. Angesichts der Tarifverträge und der Sozialleistungen ist sie vorbildlich, auch durch unseren Druck.

Ist jetzt eine Einigung mit den Lokführern greifbar nahe?

Das ist schwer zu beurteilen, weil bei der GDL scheinbar Führungschaos herrscht. Herr Schell findet Angebote der Bahn verhandlungsfähig, die Stellvertreter bisweilen nicht. Der eine Bezirksleiter will gleich abschließen, der andere unbefristet streiken. Das sieht nach Anarchie aus.

Wird die GDL ihren eigenständigen Tarifvertrag bekommen?

Die GDL-Führung würde niemals fünf Tage lang ein Angebot prüfen, wenn es ohne Substanz wäre. Ich halte es für ziemlich sicher, dass das Angebot sowohl einen eigenständigen Vertrag enthält als auch eine stufenweise Verbesserung der Entgelte sowie eine flexible Arbeitszeitregelung. Meine Befürchtung ist aber, dass die GDL noch eigenständigere Regeln will und die Verhandlungen am Ende daran scheitern werden.

Die Bahn denkt offenbar auch über eine eigene Gesellschaft für die Lokführer nach.

Die GDL findet das toll, ich kann nur davor warnen. Wenn der Arbeitgeber über Outsourcing nachdenkt, hat er bestimmt nicht vor, die Leute ins soziale Paradies zu führen, sondern sich mittel- oder kurzfristig von der Last der Abhängigkeit zu befreien. Höhere Löhne sind dann schnell verfrühstückt.

Der Druck der GDL nützt aber auch Ihnen – am Ende dürfte für alle Gewerkschaften mehr herausspringen.

Das ist falsch. Wir sind siebenmal größer als die GDL und alleine mächtig genug. Ich neige immer stärker dazu, auf diese Revisionsklausel zu verzichten. Die gibt es ohnehin nur, weil es lange klar war, dass die GDL jeden Abschluss zu toppen versuchen würde. Wir sind auf die Hilfe der GDL nicht angewiesen. Dass es mehr Geld geben muss, ist nicht auf ihrem Mist gewachsen. Wir verhandeln schon seit Monaten über eine neue Entgeltstruktur, ohne ständig zu streiken. Das geht in der Öffentlichkeit aber unter, die Leute denken, nur die GDL kämpfe für mehr Geld. Das entspricht aber nicht den Tatsachen.

Wie lange reicht Ihre Geduld?

Die Bahn hat sich schriftlich verpflichtet, die Lohnstruktur in drei Stufen zu verbessern und dafür einen dreistelligen Millionenbetrag aufzuwenden. Wegen des GDL-Streits sind unsere Verhandlungen aber auf ein Nebengleis geschoben worden. Das sehe ich jetzt nicht mehr ein. Wir können jederzeit eine Reihe von Tarifbestimmungen kündigen und wären schon Ende Januar aus der Friedenspflicht heraus. Wir können innerhalb kürzester Zeit Druck ausüben über Streiks, und das so lange, wie es nötig ist. Ich habe jetzt wirklich die Faxen dicke und erwarte, dass unsere Sache jetzt zügig vorankommt.

Wird ein eigenständiger Lokführer-Vertrag Fachberufe wie Fahrdienstleiter nicht animieren, auch Sonderregeln zu fordern?

Ja, wenn wir es nicht schaffen, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Deswegen reden wir über die Lohnstruktur. Es gibt Tätigkeiten, wo wir sagen, die müssen erheblich mehr verdienen – Ingenieure, Handwerker, Bauleute. Das geht aber nicht auf einen Schlag, sondern nur mittelfristig. Und das geht im Rahmen der Einheitsgewerkschaft, da bin ich sicher. Wenn allerdings die Erwartungshaltung der Beschäftigten ist, in immer kleineren Einheiten spezielle Interessen berücksichtigt zu bekommen, muss jede Gewerkschaft darüber nachdenken, ob sie ihre Tarifpolitik neu gestaltet. Nach den Alleingängen der Krankenhausärzte, der Piloten oder nun der Lokführer steht diese Frage an.

Sind die Gewerkschaften schuld an der nächsten Preiserhöhung, wenn es jetzt zweistellige Steigerungen auf breiter Front gibt?

Schauen Sie sich den Anteil des Personals an den gesamten Transportkosten an. Das ist nicht viel. Als Rechtfertigung für höhere Preise taugen unsere Abschlüsse nicht.

Die GDL kocht ihr eigenes Süppchen, weil sie sich von der Transnet übergangen sieht. Was ist Ihr Anteil am Tarifstreit?

Die GDL ist über 130 Jahre alt, wir 110. Es ist doch merkwürdig, dass sie sich so lange unterdrücken lässt und dann plötzlich entdeckt, das geht nicht mehr. Es geht um etwas anderes: Die GDL will sich breiter aufstellen und kümmert sich nun um Servicekräfte, Bus-, Straßenbahn-, U- Bahn-Fahrer. Die hohe Forderung, das radikale Vorgehen – da haben offenbar Berater gesagt, brecht mal einen Großkonflikt vom Zaun, das ist das beste Marketing.

Gibt es einen Weg, alle drei Gewerkschaften unter einen Hut zu bringen?

Wir können unter Wahrung der Eigenständigkeit eine Förderation für alle drei Organisationen gründen und dort unsere gemeinsamen Interessen bündeln. Das will die GDL nicht. Die andere Möglichkeit ist, ein Streikmoratorium zu vereinbaren und neu zu verhandeln, wie wir es angeregt haben. Das will die Bahn wiederum nicht. Es ist anscheinend nicht möglich, alle Parteien an einen Tisch zu bringen.

Wie verändert dieser Konflikt zukünftige Verhandlungen?

Ich bedauere, dass es normal geworden ist, erst einmal dicke Backen zu machen. Die Sozialpartner, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sollten sich zusammensetzen und darüber reden, wie sie neue Regeln finden können. Sonst wird sich unsere Streitkultur in Zukunft grundlegend ändern.

Was bedeutet der Streik für die Privatisierung?

Wenn es überhaupt noch dazu kommt, aber die Tarifeinheit nicht gehalten werden kann, werden Investoren erheblich abgeschreckt.

Das Gespräch führte C. Brönstrup.

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