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Wirtschaft: Die verschobenen Milliarden

Im Zuge der Hartz-Reform überweist der Bund den Kommunen viel Geld – investiert wird es nicht

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Franz Müntefering hat seinen Ärger auf den Punkt gebracht: 2,5 Milliarden Euro, rechnete der SPD-Chef am vergangenen Dienstag vor, würden die Städte und Gemeinden durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV Jahr für Jahr einsparen. Und obendrauf kämen weitere vier Milliarden Euro, die der Bund den Kommunen bis 2007 zum Aus- und Neubau von Ganztagsschulen überweist. „Nun muss das Geld aber auch investiert werden“, forderte Müntefering entnervt. Damit endlich neue Arbeitsplätze entstehen, die Binnenkonjunktur angekurbelt wird – und die SPD aus ihrem Umfragetief herauskommt.

Was sich in den öffentlichen Haushalten abspielt, ist allerdings das Gegenteil: Wie in ein gewaltiges Fass schiebt die Bundesregierung den Kämmerern deutscher Städte und Landkreise Milliardenbeträge zu und muss gleichzeitig mit ansehen, wie das Geld dort versickert, ohne dass spürbare Effekte für Wirtschaftswachstum und Arbeitsmarkt entstehen.

Natürlich reden sich die Kommunalvertreter erst einmal heraus. Schließlich wisse man gut acht Wochen nach dem Start von Hartz IV noch nicht genau, wie viele ehemalige Sozialhilfeempfänger ihren Lebensunterhalt von nun an nicht mehr von den Städten, sondern direkt vom Bund überwiesen bekommen. Daher schmieden die Bürgermeister vorsichtshalber noch keine Investitionspläne mit dem Geld, das sie womöglich am Jahresende gar nicht übrig haben werden. Denn abgerechnet wird zwischen Bund und Kommunen erst im Oktober – bis dahin, heißt es in den Kommunalvereinigungen, „halten wir besser die Taschen zu“. Eine psychologische Investitionsbremse also. „Wir rechnen damit, aus Hartz IV plus minus Null herauszukommen“, sagt Dortmunds SPD-Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer.

Natürlich sieht auch Langemeyer, der im Präsidium des Deutschen Städtetages sitzt, die Notwendigkeit kommunaler Investitionen zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Dafür allerdings fordert er nun noch mehr Geld vom Bund. „Wenn die Regierung schnelle Investitionen will, dann muss der Bund seinen Anteil an den Unterkunftskosten erhöhen.“ Dieser Anteil beträgt im Augenblick 29,1 Prozent, die der Bund den Kommunen dafür überweist, dass sie ab Januar Mieten und Heizungskosten für alle Langzeitarbeitslosen bezahlen. Mit den Landesregierungen, meint Langemeyer, müsste allerdings vereinbart werden, dass das zusätzliche Geld des Bundes ausschließlich für Investitionen benutzt werden darf.

Und damit weist der Dortmunder Oberbürgermeister auf die wohl undichteste Stelle im Milliardengeldstrom zwischen Bund und Kommunen hin. Weil die städtischen Kassen in den meisten Fällen im Dauerminus sind, wirtschaften sie ständig im Dispo-Kredit, dem so genannten Kassenkredit. Auf 20 Milliarden Euro werden diese Kredite insgesamt geschätzt. Sparen die Sozialämter jetzt im Einzelfall durch Hartz IV wirklich Geld ein, weil ihre ehemaligen Hilfeempfänger nun vom Bund versorgt werden, verringert das maximal das Minus auf dem Konto der Stadt. Geld für Investitionen wird damit nicht freigemacht.

Zumal auch die Bundesländer, deren Finanzlage mit den Kommunen verbunden ist, zu allerlei Tricks greifen, um ihre eigenen Haushalte zu sanieren. Zwei Beispiele, wie das seit Jahresbeginn funktioniert: Weil die Kommunen ab Januar sämtliche Miet- und Heizkosten der Langzeitarbeitslosen bezahlen, sparen die Länder den bis dahin fälligen Anteil am früheren Wohngeld ein. Diesen Anteil haben die meisten Landesfinanzminister den Kommunen in diesem Jahr auch gutgeschrieben. Allerdings ergab eine Umfrage des nordrhein-westfälischen Städtetages, dass den Kommunen in gleicher Höhe Zuweisungen an anderer Stelle gekürzt wurden. Schlimmer noch: Vor der Verrechnung hat die nordrhein-westfälische Landesregierung pauschal noch einmal 100 Millionen Euro abgezogen, die den Kommunen eigentlich zugestanden hätten. Das Geld wurde in Richtung Ostdeutschland überwiesen. Als Nachteilsausgleich für Hartz IV, wie es der Vermittlungsausschuss von Bund und Ländern Mitte 2004 vereinbart hatte. „Jetzt zahlen die westdeutschen Städte die Ostförderung ganz allein“, empört sich Dortmunds Stadtoberhaupt Langemeyer.

Ähnlich sieht es auch beim so genannten Ganztagsschulprogramm IZBB aus, in dem der Bund den Kommunen zwischen 2003 und 2007 rund 4 Milliarden Euro Zuschüsse für Sanierung und Neubau von Schulgebäuden zur Verfügung stellt. Auch hier kommt es kaum zu Investitionen. Einmal kürzen Bundesländer die Personalschlüssel für Lehrer; mit der Folge, dass die Kommunen ihre Förderanträge zurückziehen. Ein anderes Mal versickern Anträge im bürokratischen Dickicht der Staatskanzleien, oder die Kommunen können ihren Eigenanteil nicht aufbringen. Alles in allem sind seit 2003 nicht mehr als magere 344 Millionen Euro in Berlin abgerufen worden. Noch nicht mal zehn Prozent dessen, was die Bundesregierung eingeplant hat. „Wir haben einen regelrechten Investitionsstau“, bekennt die verantwortliche SPD-Politikerin und stellvertretende Chefin der Bundestagsfraktion, Nicollete Kressl.

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