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Nach Athen.

© REUTERS

Wirtschaft: Die Währungsunion wetterfest machen

Am kommenden Montag nimmt der Rettungsfonds ESM in Luxemburg seine Arbeit auf - mit einem Deutschen an der Spitze.

Die Adresse des Schirms ist so leicht nicht zu finden. Die Bürotürme oben auf dem Plateau Kirchberg gleichen sich. Hausnummern sind an den Glaspalästen, die die Verwaltung des Europaparlaments, den Europäischen Gerichtshof, Banken, die RTL-Zentrale oder ein neues Ratsgebäude für Ministertreffen beherbergen, nicht leicht zu entdecken. Die Nummer 43 in der Avenue John F. Kennedy liegt neben einem Einkaufszentrum. Es gibt ein schnödes Klingelschild und einen Briefkasten mit dem Firmenlogo des alten Euro-Rettungsschirms.

Understatement und Unscheinbarkeit sind Programm. Im Eingangsbereich hängt ein auf normales Papier gedrucktes Foto einer kleinen Unterschriftenzeremonie. Es zeigt eine Szene aus dem Frühjahr. Zu erkennen sind der RettungsschirmBoss Klaus Regling und Griechenlands damaliger Finanzminister Evangelos Venizelos, die einen Berg Papiere unterschreiben. „Mit 127 Milliarden Euro der größte Kreditvertrag der Geschichte“, sagt ein Mann im Vorübergehen. Es ist Regling.

Willkommen in den Räumen des ESM, wie alle den Europäischen Stabilitätsmechanismus nennen. Mit der Ratifizierungsurkunde aus Deutschland, die Ende vergangener Woche in Brüssel hinterlegt wurde, ist die internationale Finanzorganisation entstanden. Am 8. Oktober kommen die Finanzminister der 17 Eurostaaten zur Gründungsversammlung zusammen. Der ESM kann 500 Milliarden Euro für kriselnde Euroländer bereitstellen, wenn sie sich am Markt kein Geld mehr zu vertretbaren Zinsen leihen können und eine Staatspleite droht. Aus dem vorübergehenden Vorgängertopf namens EFSF wird eine dauerhafte Einrichtung.

Auf einem großen Bildschirm haben die derzeit 60 Mitarbeiter am 12. September die Urteilsverkündung des Bundesverfassungsgerichts live mitverfolgt. Von den deutschen Richtern hing schließlich ab, wie es beruflich mit ihnen weitergehen würde. „Das war ein wichtiger Tag“, erzählt Klaus Regling. „Für mich war an diesem Tag zumindest genauso wichtig die Nachricht des proeuropäischen Wahlausgangs in den Niederlanden, der ja so nicht erwartet worden war.“

Dabei ist es natürlich nicht so, dass ihn, der am Tag der Deutschen Einheit 62 Jahre alt geworden ist, kaltlassen würde, wie sein Herzensthema Europa in Deutschland diskutiert wird. „Ich finde es bedauerlich, dass der ESM so negativ besetzt ist in Deutschland“, sagt der Finanzfachmann, der für den Internationalen Währungsfonds, das Bundesfinanzministerium und die EU-Kommission gearbeitet hat. Regling kennt den Hass, der ihm bei Podiumsdiskussionen schon entgegengeschlagen ist. Jetzt hofft er, dass das Urteil „ein Stück weit Ruhe reinbringt und manche Dinge auch einfach mal abgehakt sind“.

In seinem Büro übt er schon einmal für das Rededuell, das er sich demnächst mit dem Münchner Ökonomen Hans-Werner Sinn liefert, einem der bekanntesten Kritiker der Eurorettungspolitik. „Ich werde ihm sagen, was ich ihm schon immer einmal sagen wollte.“ Zum Beispiel, dass „der ESM nur das macht, was der IWF seit 50 Jahren macht – nämlich Staaten Zeit zu kaufen, bis die eingeleiteten Reformen greifen“. Griechenland ist ein Spezialfall, Irland die Regel, die sich aus Erfahrungen mit der Türkei, Brasilien oder Südkorea ableitet. „Auch dort war es so, dass die Märkte am Anfang nicht an eine wirtschaftspolitische Umkehr glaubten. Rückblickend ist in dieser Phase jedoch der Grundstein für den späteren Erfolg gelegt worden. Und eine solche Brückenfinanzierung gibt es jetzt in Europa auch.“ So zu tun, als wäre das geliehene Geld schon längst weg, sei „Panikmache“: „Die Risiken sind da, doch bisher ist kein Steuergeld geflossen“, sagt Regling.

Er ist im Sommer 2010 der erste Angestellte gewesen. Seit klar ist, dass es nicht beim Provisorium EFSF bleibt, wurden immer mehr Leute angeheuert – Analysten, Ökonomen, Verwaltungsexperten. Mitte nächsten Jahres wird der ESM rund 100 Menschen beschäftigen. Wenn demnächst auch bankrotte Geldhäuser direkt gerettet werden sollten, bräuchten sie in der Avenue Kennedy auch noch Banker.

„Ich helfe etwas aufzubauen, das wichtig ist“, sagt der 44-jährige Este Andres Sutt. Er fühlt sich an die Lage in seiner Heimat erinnert, als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine eigene Währung und eine eigene Zentralbank aus dem Boden gestampft werden mussten und Andres Sutt deren Vizepräsident wurde. „Hier in Luxemburg bin ich noch einmal Pionier geworden“, sagt er und freut sich über die Motivation der Kollegen. „Die Leute sind alles überzeugte Europäer, die versuchen, die europäische Währungsunion wetterfest zu machen.“

Zu dieser Kategorie gehört auch der Spanier Juan Basura, der die Kreditabteilung leitet. Seine erste Aufgabe bestand ausgerechnet darin, die technischen Vertragsdetails mit seinem Heimatland auszuarbeiten. Inzwischen ist alles für die Überweisung der 30 Milliarden Euro an die Regierung in Madrid vorbereitet, damit die ihre Pleitebanken päppeln kann, ohne dabei selbst pleitezugehen.

In der Nähe von Basuras Büro liegt der Handelssaal, wo das Geld reinkommt, das später wieder verliehen wird. Alle zwei Wochen gibt der Rettungsschirm Anleihen aus. Dass er die Schulden zurückzahlen kann, garantieren die 17 Anteilseigner – darunter Deutschland. Ein ESM-Händler starrt auf Zahlenkolonnen auf seinem Bildschirm. 55 Minuten vor Ende der Schuldauktion sind Angebote in Höhe von 2,6 Milliarden eingegangen – mehr als nötig. Und die Zinsen waren sogar negativ – Investoren bezahlen den Rettungsfonds quasi dafür, dort Geld anlegen zu dürfen, weil ihnen andere Staatsanleihen zu riskant erscheinen. „Das zeigt, dass die Finanzströme in Europa nicht gut laufen“, ärgert sich Regling, „es zeigt aber auch, wie stark das Vertrauen der Anleger in unsere Anleihen ist.“

Die größten Kapitalgeber – darunter Pensionskassen und Staatsfonds aus China oder den Golfstaaten – besucht Klaus Regling regelmäßig. Die Hälfte der Zeit ist er auf Reisen. Vor allem zu Beginn musste er auf großen Investorenkonferenzen das Luxemburger Geschäftsmodell erklären und Zweifel an der Zukunft des Euro zu zerstreuen versuchen. „Wenn die Investoren nicht die Anleihen kaufen, die wir hier ausgeben“, sagt Regling, „dann haben wir hier Riesenprobleme.“ Doch danach sieht es derzeit nicht aus.

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