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Wirtschaft: "Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte"

BERLIN (alf/lvt).Was ist der Mensch, was darf er hoffen, was soll er tun?

BERLIN (alf/lvt).Was ist der Mensch, was darf er hoffen, was soll er tun? Das Menschenbild jedenfalls sei die "Achillesferse" aller Überlegungen über die "Zukunft der Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland", meinte der Dresdener Professor Ulrich Blum am Dienstag zum Abschluß eines zweitägigen Kongresses über die sozialen Sicherungssysteme.Blum, Mitglied der Zukunftskommission der Freistaaten Bayern und Sachsen, spricht von einem "Anreizmenschen", den der deutsche Sozialstaat geformt habe.Nach der Devise "Fun privatisieren" und den anschließenden Schaden sozialisieren funktionierten die "Anreizstrukturen".Zum Beispiel der Bungee-Springer, der sich seinen Sprungschaden auf Kosten der Allgemeinheit behandeln lasse.Oliver Lorz von der Uni Kiel griff den Begriff der Anreizsysteme auf, um die "unvermeidliche Lohndifferenzierung" zu erläutern.Lorz unterschied dabei "negative" und "positive" Anreize.Im ersten Fall werden die sozialen Transferleistungen gesenkt, um die Betroffenen auch in schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse zu zwingen.Bei den positiven Anreizen dagegen wird ein Niedriglohn plus Zuschlag (Modell Kombilohn oder negative Einkommenssteuer) gezahlt."Wahrscheinlich", so Lorz, "liegt die Wahrheit irgendwo in der Mitte".

In neun Veranstaltungen wurde auf Einladung der Otto-Brenner-Stiftung und der Senatsverwaltung für Arbeit der Zustand der deutschen Sicherungssysteme diskutiert.Neben einer Bestandsaufnahme standen Entwicklungsperspektiven im Vordergrund.Auch der Blick auf die Währungsunion.Zwei mögliche Szenarien wurden gegeneinander ins Feld geführt.Auf der einen Seite prognostizierte Hugo Dicke vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, daß der Euro die nationalen sozialen Sicherungssysteme nicht direkt beeinflussen werde, mittelbar aber eher zu einer Verbesserung der Situation in den EU-Staaten führe.Das führte Dicke auf sinkende Preise, eine zu erwartende Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktion und auf den daraus resultierenden Anstieg der Beschäftigunszahlen und des Einkommens zurück.Dem widersprach Hans-Jürgen Urban von der IG Metall.Er befürchtet, daß der Euro den Wettbewerb intensivieren, zu Personalabbau führen und über steigende Arbeitslosigkeit negative Auswirkungen auf die Sozialsysteme haben werde.

Ein anderer strittiger Bereich war die Zukunft der Alterssicherung.Andrea Fischer von der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen forderte eine verbesserte Absicherung von Aus- und Weiterbildungszeiten, Kindererziehung, Teilzeit und Arbeitszeitverkürzung.Im Rahmen eines solchen Konzeptes verwies Fischer auf das Modell einer "bedarfsorientierten Grundsicherung"; langfristig sollten höhere Renten gesenkt und niedrigere Renten angehoben werden.Franz Ruland vom Verband der Rentenversicherungsträger wandte sich indes vehement gegen Vorstellungen einer garantierten Mindestsicherung.

Ein Teilnehmer resümierte die Konfliktlinie auf dem Weg zu mehr Beschäftigung: Die einen setzten auf Individualisierung und wollten eine größere soziale Ungleichheit in Kauf nehmen, die anderen beharrten auf dem Recht aller auf ordentlich bezahlte Erwerbsarbeit.Wobei wir wieder beim Menschenbild wären: Die einen wollen die schlecht Qualifizierten in schlecht bezahlte Jobs bringen; die anderen setzen voll auf Aus- und Weiterbildung, um den Geringqualifizierten größere Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu eröffnen.Auch hier dürfte die Wahrheit in der Mitte liegen.

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