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Wirtschaft: Die Wall Street kam nicht bis Büdelsdorf

Mobilcom zahlt nach der Beinahe-Pleite auf Jahre keine Steuern – doch am Stammsitz des Mobilfunkers zählt jeder Arbeitsplatz

Büdelsdorf. Ein „schleswig-holsteinisches Kuhdorf“ nennt Dieter Bohlen Büdelsdorf, Standort des Mobilfunkunternehmens Mobilcom: 11 000 Einwohner, eine Autobahnausfahrt an der A 7, eine Durchfahrtsstraße - kein Dorfplatz, nicht eine historische Sehenswürdigkeit. Seine Berühmtheit verdankt Büdelsdorf alleine Mobilcom. Der Musiker Bohlen schreibt in seinem neuen Buch: „Mitten auf dem platten Land herrschte hier Wall-Street-Feeling.“

Ende der neunziger Jahre hob Mobilcom nicht nur den Bekanntheitsgrad von Büdelsdorf, sondern vor allem die Einnahmen der norddeutschen Gemeinde. Aber das war Ende der Neunziger. „Die fetten Jahre sind leider längst vorbei“, bedauert Bürgermeister Jürgen Hein (parteilos). Mobilcom ist vor einem Jahr nur knapp der Insolvenz entkommen. Jetzt zählt die einst so erfolgreiche Firma zu den 511 Betrieben in Büdelsdorf, die keine Gewerbesteuer mehr zahlen. Nur noch 150 Unternehmen zahlen Gewerbesteuer und ein großer Teil davon nicht einmal 1000 Euro im Jahr.

Traum vom schnellen Aufschwung

Die Büdelsdorfer Schulden liegen bei 570 Euro pro Einwohner. Insgesamt ist Büdelsdorf mit rund 6,2 Millionen Euro im Minus. „Es wird schwer, die laufenden Kosten zu decken“, sagt Hein. Aus der Trägerschaft für das Freibad beispielsweise habe die Stadt bereits austreten müssen. Als Mobilcom 1998 mit 700 Mitarbeitern von Schleswig nach Büdelsdorf zog, waren die Erwartungen hoch. „Als wir anfingen, gab es hier gar nichts“, erinnert sich der Leiter der Abteilung Investor Relations, Patrick Möller. Er war von Anfang an dabei und stammt aus der Gegend von Büdelsdorf. „Erst nach und nach sind andere Unternehmen hier ins Gewerbegebiet gezogen und Mitarbeiter haben in der Umgebung Häuser gebaut.“ Das schnell expandierende Unternehmen versprach den Aufschwung. 1998 und 1999 lagen die Einnahmen von Büdelsdorf jährlich bei rund 40 Millionen Euro pro Jahr. Die acht Millionen Euro Gewerbesteuern von Mobilcom machten somit einen hohen Prozentsatz aus.

Und als Mobilcom dann auch noch eine UMTS-Lizenz ersteigerte, da gab es im Rathaus großen Jubel. Der Aufstieg des Büdelsdorfer Mobilfunkers zu einem der bedeutenden Telekommunikationsunternehmen in Deutschland schien unaufhaltsam. „Es war fast wie eine Goldgräberstimmung“, erinnert sich der Bürgermeister. „Alle rechneten mit enorm hohen Gewerbesteuereinnahmen“. „Aber damals ist keiner durchgedreht“, versichert Hein und zeigt dabei auf den sterilen Dorfmarktplatz vor seinem Fenster. „Dieser künstliche Ortskern hat nichts mit Mobilcom zu tun. Er ist schon in den achtziger Jahren entstanden.“

Aber es gab große Pläne. „Wir zeichneten Straßenpläne und markierten die Abschnitte rot, die als Erstes saniert werden sollten.“ Natürlich hätten neben den Straßen auch Einrichtungen wie Sporthalle, Bibliothek und Schwimmbad saniert werden sollen. Weit ist Büdelsdorf mit der Umsetzung nicht gekommen. Schon im Jahr 2000 brachen Mobilcom die Gewinne weg und damit die Gewerbesteuer.

„Mit dem Geld von Mobilcom haben wir das Stadion saniert, weiter kamen wir nicht“, bedauert Hein. „Dennoch bin ich froh, dass Mobilcom noch in Büdelsdorf ist“, erklärt der Bürgermeister. „Für die Stadt ist der Konzern auch ohne Steuerzahlungen wichtig.“ Denn Mobilcom schafft Arbeitsplätze. Das Auftragsvolumen von Mobilcom an regionale Unternehmen betrug in den vergangenen zwölf Monaten 50 Millionen Euro. In der Konzernzentrale arbeiten derzeit 1600 Menschen, darunter 64 Auszubildende. Im August wurde die Zahl der neuen Lehrlinge auf 30 verdoppelt. Insgesamt kommen rund 250 Angestellte direkt aus Büdelsdorf, die meisten von ihnen arbeiten im Versand und im Call Center. Von den rund 1000 Entlassungen am Hauptsitz der Mobilcom in den vergangenen Monaten waren nur wenige Einheimische betroffen, denn vor allem Fachkräfte mussten gehen. Diese kamen allerdings selten aus der Gegend, sondern waren aus dem gesamten Bundesgebiet zugezogen und packten nach dem Beinahe-Zusammenbruch der Mobilfunkfirma wieder die Koffer. Trotz der massiven Entlassungen bei Mobilcom ist deshalb die Arbeitslosigkeit im Dorf nicht sprunghaft gestiegen – da ist letztendlich alles beim Alten geblieben.

Doch selbst das Ende von Mobilcom hätte nicht zu einer solchen Katastrophe geführt, wie sie das Dorf 1997 erlebt hat. Damals setzte die Pleite des größten Unternehmens vor Ort, der Ahlmann-Carlshütte, 1200 Angestellte von einem Tag auf den anderen auf die Straße. Mobilcom bleibt Büdelsdorf erhalten. Die Zuversicht ist zurückgekehrt. Das Unternehmen gilt als saniert, Firmengründer Gerhard Schmid ist ausgeschieden. Seit dem 30. Oktober beleben einige Mitarbeiter sogar eine alte Industriehalle der Ahlmann-Werke: Mobilcom hat dort auf 4200 Quadratmetern Fläche neue Büros eingerichtet. „Dieses Jahr schreiben wir eine schwarze Null“, versichert Michael Grodd, Vorstand bei Mobilcom. In 2004 würde es voraussichtlich wieder positive Ergebnisse geben. Gewerbesteuer wird Mobilcom aber trotzdem vorerst keine zahlen. Denn die Verlustvorträge betragen über 2,5 Milliarden Euro. „Die lassen sich nicht so schnell abbauen“, sagt Grodd.

Nora Luttmer

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