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Wirtschaft: Die Wirtschaft ärgert sich über die Wähler

Eine große Koalition löst die Probleme nicht, meinen die Verbände / Volkswirte und Analysten sehen die Lage nüchterner

Berlin Die Wirtschaftsverbände haben besorgt auf den Wahlausgang reagiert und sehen eine große Koalition mit Skepsis, Volkswirte und Analysten rechnen aber nicht mit ökonomische Verwerfungen oder größeren Kurseinbrüchen. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Jürgen Thumann, zeigte sich „bitter enttäuscht“. Deutschland werde schwieriger als bisher zu regieren sein.

Auch der Präsident des Bundesverbandes des Groß- und Außenhandels (BGA), Anton Börner, kritisierte, dass es keine Richtungsentscheidung gebe. „So wird auch die Politik sein in einer großen Koalition, um die wir kaum herumkommen werden“, sagte Börner dem Tagesspiegel. Ein einfaches Steuersystem, niedrigere Lohnnebenkosten und eine bezahlbare Gesundheitsreform seien wieder in die Ferne gerückt. „Deutschland ist offensichtlich noch nicht reif für die Modernisierung. Das heißt für die Unternehmen, dass sie ihren Weg allein gehen müssen.“

Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, sprach sich für eine große Koalition aus, da sie die beste aller möglichen Varianten sei. „Nur eine große Koalition hätte eine ausreichend stabile Mehrheit bei allen gesellschaftlichen Kräften.“ Die Differenzen zwischen Union und SPD sind seiner Ansicht nach überschaubar. Eine Ampel-Koalition wäre zu instabil und würde Zimmermann zufolge keine volle Legislaturperiode überdauern.

Auch andere Ökonomen sehen das Wahlergebnis mit gemischten Gefühlen. „Deutschland ist ein Stück instabiler und unsicherer geworden“, sagte der Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA), Thomas Straubhaar. Eine Regierung aus SPD und Union sei ein fragiles Gebilde. „Beide Parteien müssen Acht geben auf ihre kleinen, aber starken Konkurrenten, also die Linkspartei auf der einen und die FDP auf der anderen Seite.“ Konjunkturell werde diese Unsicherheit keine Verbesserung bedeuten, weil die für mehr Wachstum und Beschäftigung wichtigen Reformen nicht entschlossen angegangen würden, meinte Straubhaar.

Auch Michael Heise, Chefvolkswirt der Allianz, kritisierte den Wahlausgang. Für die Kapitalmärkte sei angesichts der Unsicherheit erst einmal nicht mit Gewinnen zu rechnen. Heise riet SPD und Union, nun die Beschlüsse des Jobgipfels vom Frühjahr umzusetzen. „Das wäre vor allem psychologisch ein wichtiges Zeichen“, sagte er. Auch bei der Senkung der Lohnnebenkosten müssten sich die Partner rasch einigen. „Außerdem würde eine Reform des Föderalismus die Wachstumskräfte stärken und Investoren mehr Vertrauen in die Entscheidungskraft der Politik geben.“

Börsenexperten beurteilten das Wahlergebnis weniger skeptisch. Mit dramatischen Kurseinbrüchen ist nach Einschätzung von Rolf Elgeti, Aktienstratege in London für die niederländische Großbank ABN Amro, nicht zu rechnen. „Die große Koalition ist das Szenario, das in der letzten Zeit eingepreist wurde, und das ist ja jetzt auch das wahrscheinlichste“, sagte er dem Tagesspiegel. Er schätze, dass der Dax am heutigen Montag ein Prozent ins Minus rutsche und damit etwas hinter den anderen europäischen Leitindizes liegen werde.

Falls jedoch keine Regierung gebildet werden könne und erneut gewählt werden müsse, sei dies für die Märkte deutlich negativer. „Es wäre ja zu fragen, welche Parteien wie stark werden. Die Union könnte vermutlich kaum profitieren. Internationale Anleger würden schnell denken, dass das wie in Italien ist.“

Dabei interessierten sich Märkte nicht für das Wahlergebnis an sich. „Es geht darum, ob es den deutschen Unternehmen gelingt, die Kosten weiter zu senken und Marktanteile zu gewinnen. Der Refomprozess muss vorangetrieben werden, das ist das, was die Märkte sehen wollen“, sagte der aus Rostock stammende Elgeti. „Eine große Koalition ist eine Verbesserung gegenüber dem Status quo, was die Anleger angeht. Ohne Grün ist viel mehr möglich als mit Grün, zum Beispiel bei den Energiewerten.“

Tammo Greetfeld von der Hypo-Vereinsbank rechnet mit einem nur kurzfristigen Druck auf die Aktienmärkte. „Im vierten Quartal werden wir dann neue Jahreshöchststände erreichen.“ Mittelfristig bleibe es beim Dax-Ziel von 5400 Punkten, sagte er. awm/brö/mod

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