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Wirtschaft: Die Wirtschaftsweisen sehen schwarz

Wachstum bleibt „nahe an Stagnation“ / Experten üben massive Kritik an Regierungspolitik und fordert Reformen

Berlin (brö). Die Deutschen müssen sich auf absehbare Zeit mit geringen Wachstumsraten und weiter steigender Arbeitslosigkeit abfinden. Schuld daran seien die Politik der Bundesregierung und die Spätfolgen der Einheit, erklärte Wolfgang Wiegard, Vorsitzender des Expertengremiums „Fünf Weise“, bei der Vorstellung des Jahresgutachtens am Mittwoch in Berlin. Um mit den Herausforderungen Globalisierung, technischer Wandel und Alterung der Gesellschaft fertig zu werden, seien tief greifende Reformen nötig, mahnte der ProfessorenRat. Derweil äußerte sich auch die EU-Kommission pessimistisch zu den Aussichten Deutschlands und senkte die Prognose.

In diesem Jahr wird das Bruttoinlandsprodukt, also die Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen, nur um 0,2 Prozent steigen, heißt es in dem Gutachten. 2003 werde das Plus bei 1,0 Prozent liegen, die Wirtschaftsleistung wachse „mit angezogener Handbremse“. Die Voraussetzungen dafür sind ein Ende der Börsen-Talfahrt und Frieden am Persischen Golf. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt werde sich noch verschärfen, so dass im Durchschnitt 4,17 Millionen Menschen ohne Job seien, 110 000 mehr als in diesem Jahr. „Die verdeckte Arbeitslosigkeit ist dabei nicht berücksichtigt“, sagte Wiegard. Dazu zählen Experten Personen, die vom Arbeitsamt qualifiziert werden oder Frührente beziehen und daher nicht in der offiziellen Statistik auftauchen.

Die Ursachen der Wachstumsschwäche sind den Wirtschaftsweisen zufolge zum einen die Folgekosten der deutschen Einheit. Zum anderen seien es unflexible Strukturen der Steuer- und Sozialsysteme, weniger die lahme Weltkonjunktur. „Es besteht dringender Handlungsbedarf“, sagte Wiegard. Die Koalitionsvereinbarung sowie das Sparpaket der Regierung zur Stabilisierung von Haushalt und Sozialkassen seien „der falsche Weg“ und nur ein „Kurieren an Symptomen“, heißt es in dem Gutachten. Um die „bedrückend hohe Arbeitslosigkeit“ in den Griff zu bekommen, reiche es nicht, mittels der Hartz-Reformen Arbeitslosen schneller eine neue Stelle zu vermitteln.

Zur Lösung der Wachstums- und Finanzprobleme schlug der Rat einen 20-Punkte-Katalog vor. Die Belastung des Faktors Arbeit vor allem mit Sozialabgaben müsse gesenkt werden, forderten die Weisen. Weitere Punkte sind Lohnzurückhaltung und mehr Flexibilität für die Tarifparteien, eine Verschmelzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die Begrenzung des Arbeitslosengeldes auf generell zwölf Monate sowie mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Daneben solle der Staat die Steuerbelastung verringern.

Zur Stimulierung der Wirtschaft regte der Sachverständigenrat überdies eine Senkung der Leitzinsen an. Der Rats-Vorsitzende Wiegard sagte, in der Prognose sei ein Zinsschritt um 0,25 bis 0,5 Prozentpunkte durch die Europäische Zentralbank berücksichtigt.

Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bezeichnete die Kritik als „nur zum Teil berechtigt". Er zeigte sich davon überzeugt, dass es der Regierung gelingen werde, die Balance zwischen Wachstumsanreizen und der Stabilisierung der Einnahmen zu halten. Die Regierung wolle ihre Prognose nicht absenken.

Noch pessimistischer als der Sachverständigenrat ist die EU-Kommission. Sie nimmt an, dass Deutschland im kommenden Jahr nur noch um 1,4 Prozent wachsen wird. 2002 dürften es nur noch 0,4 Prozent sein, haben die Brüsseler Forscher ausgerechnet.

Die Prognose im Internet:

www.sachverstaendigenrat.org

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