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Wirtschaft: "Die Zeit ist reif für eine neue Ehrlichkeit"

TAGESSPIEGEL: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundesfinanzminister.Was würden Sie sofort tun?

TAGESSPIEGEL: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundesfinanzminister.Was würden Sie sofort tun?

METZGER: Als erstes eine große Einkommensteuerreform, aber eine ohne Nettoentlastung.Denn dafür ist derzeit kein Geld da.Steuerprivilegien müssen weg.Wir brauchen eine breitere Bemessungsgrundlage, um Tarife abzusenken.Das Konzept der Bündnisgrünen sieht 18,5 Prozent Eingangssteuersatz und 45 Prozent Spitzensteuersatz vor.Das ist eine Steuerreform, die verhindert, daß der Staat ausblutet, aber zugleich die Mittelschicht entlastet.Und sie würde es den Unternehmen schmackhaft machen, mehr Steuern als bisher in Deutschland zu zahlen und hier zu investieren.

TAGESSPIEGEL: 45 Prozent ist immer noch eine ganze Menge.

METZGER: Aber deutlich weniger als die 49 Prozent, die die SPD will.

TAGESSPIEGEL: Ist Ihnen die Einkommensteuer wichtiger als die Ökosteuer?

METZGER: Nur die große Einkommensteuerreform ermöglicht uns überhaupt den Einstieg in eine ökologische Steuerreform.Mit der Einkommensteuerreform merkt die Wirtschaft: Hier tut sich tatsächlich etwas.Dann könnten wir die Abgabensenkung mit einem behutsamen Einstieg in die Ökosteuer aufnehmen.

TAGESSPIEGEL: Hat die Ökosteuer nicht für jeden Bundesfinanzminister das Manko, daß sie sich selbst schnell überflüssig macht? Schließlich soll eine solche Steuer doch die Anreize setzen, Energie zu sparen.Dann wäre nichts mehr da an zusätzlichen Einnahmen, um die Arbeitskosten herunterzufahren.

METZGER: Dieses Mißverständnis hält sich hartnäckig.Wir wollen eine Verbrauchsteuer auf Energie.Mit der geht die Gleichung "Weniger Umweltverzehrung - mehr Beschäftigung" tatsächlich auf.Dazu müssen die Einnahmen stärker steigen, als der Verbrauch an Umweltressourcen zurückgeht.Eine Verdopplung des Benzinpreises hätte ja keine Halbierung des Verbrauchs zur Folge.Die Steuereinnahmen würden zunehmen.

TAGESSPIEGEL: Also würden Ihrer Meinung nach weitere Reserven frei?

METZGER: Sogar die weitere Senkung des Einkommensteuer-Spitzensatzes auf 40 Prozent und die Senkung der Rentenbeiträge wären möglich.Das steht so auch im Ökosteuer-Konzept meiner Fraktion.Entscheidend für das Funktionieren ist eine Rentenreform, die die demographische Entwicklung berücksichtigt, sonst könnte man mit dem Aufkommen einer Energiesteuer die Beiträge nicht senken, sondern bräuchte es, um sie stabil zu halten.In Zukunft müssen die Rentenzuwächse der Rentner geringer sein als die Einkommenszuwächse der arbeitenden Bevölkerung.Das wäre kein Problem, wenn die Eigenvorsorge verstärkt wird.

TAGESSPIEGEL: Und das wäre möglich, weil Abgaben und Steuern sinken?

METZGER: Ja.Selbst Familien mit mittlerem Einkommen leisten sich eine Lebensversicherung und stecken 200 bis 300 DM in die Altersvorsorge.Wenn sich herumspricht, daß die neuen Rentnergenerationen keinen Kaufkraftzuwachs mehr aus der Rente haben werden, dann werden die Leute mehr Geld zurücklegen.Die Jungen wissen doch sowieso, daß sie sich nicht mehr auf ihre Rente verlassen können.Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not.

TAGESSPIEGEL: Während die Sozialversicherung weniger ausgeben wird?

METZGER: So ist es.Wir leben heute auf Kosten der jungen Generation.Wir verteilen künftige Einkommenzuwächse unserer Gesellschaft so, als hätten wir die schon erzielt.Die ältere Generation setzt auf einen Generationenvertrag, der tönerne Füße hat.Reformen tun weh.Und die haben erst angefangen.

TAGESSPIEGEL: Das Wort Harmonisierung als Mittel gegen Standortverlagerungen nehmen Sie gar nicht mehr in den Mund.

METZGER: Wenn man von der Harmonisierung erwartet, daß sie auf dem deutschen Niveau stattfinden wird, dann kann ich nur lachen.Am deutschen Wesen muß das Steuerrecht der Welt genesen? Das paßt nun gar nicht in die Wettbewerbslandschaft.Aber zugleich muß klar sein, daß der Staat hier nicht der billige Jakob sein darf.Das Sozialstaatsmodell in Deutschland und Europa dürfen wir nicht zum US-System ummodeln, sonst gehen wir politisch kaputt.

TAGESSPIEGEL: Trägt der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, denn wirklich so viel zum sozialen Frieden bei?

METZGER: Wir merken unserem Sozialstaat an, daß er in Zeiten aufgebaut wurde, als Arbeitslosigkeit kein Problem war.Das Bewußsein ging dabei verloren, daß es auch so etwas wie Eigenverantwortung von Bürgern einer Gesellschaft gibt.Wir erleben das besonders stark in Ostdeutschland, wo die Leute zwar unterdrückt wurden, aber wenn sie sich ruhig verhielten, lebten sie in gesicherten Verhältnissen.Die leiden heute ganz besonders unter Staatsfixiertheit und Obrigkeitsorientierung.Sie sagen, Du Staat, besorge mir eine Lehrstelle, besorge mit einen Arbeitsplatz.Dieses problematische Staatsverständnis gibt es aber nicht nur im Osten.Die große Herausforderung besteht darin, zwei prinzipiell unvereinbare Forderungen zu berücksichtigen: die nach einem hohen Versorgungsniveau und die nach möglichst niedrigen Steuern und Abgaben.Beides zusammen geht nicht.Der Ausweg über die Verschuldung belastet die künftigen Generationen.Dieser Aspekt kommt in der Diskussion um die Zukunft des Sozialstaats immer zu kurz.Dabei muß man den Menschen klipp und klar sagen, daß es Zumutungen geben wird.

TAGESSPIEGEL: Welche?

METZGER: Ich persönlich bin der Meinung, daß der Staat einem Sozialhilfeempfänger eine Arbeit verordnen darf.Wenn er ablehnt, dann werden seine Leistungen eben gekürzt.In Holland zum Beispiel kriegen die Jugendlichen eine Lehrstelle angeboten, und wenn sie die nicht nehmen, dann kriegen sie kein Geld.Die Gemeinschaft bewahrt zwar den einzelnen vor dem Absturz ins Nichts.Aber jeder muß versuchen, seinen Teil dazu beizutragen, aus seiner Situation wieder herauszukommen.Der Staat muß den Leuten auch die Chance geben, sich zu bewähren.

TAGESSPIEGEL: Kriegen Sie keinen Ärger, wenn Sie das so laut sagen?

METZGER: Das ist in der Tat ein Thema, das bei uns ziemlich tabuisiert wird.Aber Disziplinierungsmaßnahmen als Anreizsystem darf man meiner Ansicht nach nicht verteufeln.

TAGESSPIEGEL: Trotzdem: Es ist doch oft nicht politisch korrekt, Probleme unseres Sozialstaats öffentlich anzusprechen und Verbesserungen oder Einschnitte vorzuschlagen.Wie werden Sie damit fertig?

METZGER: Die Grünen haben schon mit vielen Tabus gebrochen.Ich komme ja selbst aus der politischen Linken und habe mich von der einen oder anderen ideologischen Position verabschiedet.Die Ideologie macht oft blind für die gesellschaftlichen Probleme.Jetzt geht es nicht mehr um die staatliche Wohlfahrtspolitik der alten Prägung, sondern um eine Steuerpolitik, die auch angebotsorientierte Elemente enthält, und die Reform der sozialen Sicherungssysteme.Der Faktor Arbeit leidet bei uns zu sehr, während Kapitaleinkünfte vergleichsweise wenig Beitrag leisten.Deswegen müssen wir das private Vermögen künftig wieder besteuern.

TAGESSPIEGEL: Aber wenn Arbeit reichlich vorhanden ist und Kapital knapp ist? So ist das doch bei uns im Land: Wir haben viele Arbeitslose, und es mangelt an Investitionen.

METZGER: Trotzdem brauchen wir die Vermögensteuer als die soziale Flankierung einer Spitzensteuersatz-Senkung, die die Grünen als erste linke Partei eindeutig ins Programm aufgenommen haben.

TAGESSPIEGEL: Was halten Sie von Steuerwettbewerb innerhalb der Bundesrepublik?

METZGER: Der ist eine gute Sache.Wir brauchen ein Anreizsystem, das Bundesländer, die gut wirtschaften, belohnt.

TAGESSPIEGEL: Ist der Finanzausgleich überflüssig?

METZGER: Der Finanzausgleich nivelliert zu stark und ist deshalb reformbedürftig.Reiche Bundesländer haben das Gefühl, sie würden bestraft, etwa wenn sie effizient ihre Steuern eintreiben.Der Finanzausgleich postuliert eine Gleichrangigkeit der Lebensverhältnisse, die es nicht gibt und auch nicht geben darf.Die Starken werden bestraft, und die Schwachen werden nicht dazu angehalten, sich anzustrengen.

TAGESSPIEGEL: Das wird bitter für Berlin.

METZGER: Berlin ist ein Sonderfall, weil es jahrzehntelang darauf angewiesen war, Geld vom Bund zu bekommen.Berlin hat trotz Rot-Schwarz an der Spitze massive Mühe, gegen die Altlasten an Schulden und einer immer noch überbesetzten Verwaltung anzukommen.Würden die jetzt sofort freien Wettbewerb machen, ginge das Land kaputt.Kleine Länder sind nicht überlebensfähig.

TAGESSPIEGEL: Sollte man den Ländern nicht auch Steuerautonomie zugestehen?

METZGER: Eine gute Idee.Man könnte die Einkommensteuer zur reinen Ländersteuer machen, dafür die Umsatzsteuer zur Bundessteuer - oder auch umgekehrt.Hätten die Länder die Einkommensteuer für sich, könnten sie die Höhe ihrer Steuersätze selbst bestimmen, die sie brauchen, um ihre Verwaltung zu finanzieren.Wir müssen Einnahmen und Ausgaben klarer zuordnen und die Mischfinanzierung von Bund, Ländern und Kommunen zurückdrehen.

TAGESSPIEGEL: Das wäre der Weg hin zu einer effizienteren Verwaltung?

METZGER: Ja, denn schwerfällige Bürokratie braucht Wettbewerbsdruck.Mit obrigkeitsstattlicher Beamtenwirtschaft ist kein Staat im 21.Jahrhundert zu machen.Wir brauchen Beamte in der Steuer- und Justizverwaltung.Aber Lehrer müssen keine Beamten sein.Mit Sicherheit könnte die Zahl der Bamten dauerhaft auf ein Drittel der heutigen Zahl zurückgehen.

TAGESSPIEGEL: Wie werden Sie die anderen zwei Drittel los?

METZGER: Tja, das geht leider nicht von heute auf morgen.Aber man muß den Beamten sagen, daß Privilegien zurückgehen, sie zum Beispiel nicht mehr ihre 13.Monatspension kassieren werden.

TAGESSPIEGEL: Aber Ihr Koalitionspartner hätte da was gegen?

METZGER: Trotzdem müssen Sie das Bewußtsein der Leute verändern.Ehrlichkeit wird in der Politik oft bestraft mit Liebesentzug der Wählerinnen und Wähler.Aber die Zeit ist reif für eine neue Ehrlichkeit.Vielleicht bin ich da noch etwas naiv, aber ich habe den Eindruck, die Öffentlichkeit ist viel reifer für unangenehme Wahrheiten als die Politik.

TAGESSPIEGEL: Würden auch CDU/CSU und Grüne zusammenpassen?

METZGER: Schwarz-Grün hätte sogar den Vorteil, daß sie eine Ökosteuer leichter durchsetzen könnten als Rot-Grün.Die CDU ist in der Energiesteuer-Diskussion doch offensichtlich sehr viel weiter als die SPD.Jedenfalls wäre es für die Grünen langfristig strategisch falsch, sich auf nur einen möglichen Partner festzulegen.Aber für diese Bundestagswahl ist das noch keine Option.

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