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Diesel im Visier. Studien weisen seit Jahren darauf hin, dass es Abweichungen zwischen Tests und Realität gibt.

© J. Stratenschulte/dpa

Dieselgate: VW-Kunden haben Anspruch auf Schadensersatz

Vom Abgas-Skandal Betroffene haben nach Meinung von Verbraucherschützern Anspruch auf Schadensersatz. An der schmutzigen Luft ist VW allerdings nicht alleine schuld.

Volkswagen-Kunden, die vom Abgasskandal betroffen sind, können nach Meinung von Verbraucherschützern Schadensersatz verlangen. „Die Verbraucher haben für eine Technik bezahlt, die den Schadstoffausstoß gering halten sollte“, sagte Jürgen Keßler, Verwaltungsratsvorsitzender der Verbraucherzentrale Berlin, dem Tagesspiegel am Mittwoch. Die Enthüllungen der letzten Tage haben nach Meinung Keßlers, der zudem Professor für Zivil-, Wirtschafts- und Kartellrecht an der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin ist, zu einer Wertminderung bei den betroffenen Diesel-Modellen geführt. „Der Wiederverkaufswert ist gesunken“, betonte der Jurist. Zudem sei nicht auszuschließen, dass die Autos nach einer Umrüstung mehr Diesel verbrauchen oder weniger Leistung bringen.  

Schon seit Jahren weisen Studien auf die Abweichungen der Test und realer Emissionen hin

Der Verdacht steht im Raum: Hat wirklich nur VW die Abgasmessungen auf dem Rollenprüfstand manipuliert? Ein Dutzend Studien weist schon seit Jahren regelmäßig darauf hin, dass es zum Teil beträchtliche Abweichungen zwischen Abgastests im Labor und realen Emissionen auf der Straße gibt. „Eigentlich müssten die VW-Konkurrenten doch jetzt mit ihrer ökologischen Überlegenheit werben. Aber man hört irgendwie nichts“, sagt Heiko Balsmeyer vom Verkehrsclub VCD und Projektleiter des Clean-Air-Projektes, eines Zusammenschlusses von neun Nichtregierungsorganisationen aus ganz Europa.

Zu Beginn der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt – vor Bekanntwerden des Mahnschreibens der US-Umweltbehörde EPA an VW – hatte der ICCT (International Council on Clean Transportation) einen Bericht über die großen Abweichungen beim Ausstoß von Stickstoffverbindungen (NOx) in zwei gängigen Testverfahren veröffentlicht. Der Autoclub ADAC hatte 32 Dieselfahrzeuge, die die europäische Abgasnorm Euro 6 einhalten sollten, nach dem noch gültigen „Neuen Europäische Fahrzyklus“ (NEFZ) und dem Test, der ihn wohl ablösen soll, überprüft. Der neue WLTC (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Cycle) ist ebenfalls ein Labortest, allerdings macht er realistischere Vorgaben, die dem Straßenverhalten näher kommen. Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, den WLTC 2017 einzuführen. Dagegen hat offenbar auch die Bundesregierung inzwischen nichts mehr einzuwenden, jedenfalls äußerte das Verkehrsministerium am Montag Zustimmung. Das Ergebnis des Tests war eindeutig: Während die Fahrzeuge den NEFZ bestanden, schaffte bis auf ein BMW-Modell keines die Vorgaben des WLTC. Ein Volvo lag beim NOx-Ausstoß sogar 14,6 Mal höher als erlaubt, Renault überschritt den Grenzwert um das 8,8-Fache und Hyundai um das 6,7-Fache.

"Niedrigere Grenzwerte haben den NOx-Ausstoß nicht gesenkt"

Der zuständige Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, Martin Schmied, sagte dem Tagesspiegel: „Uns ist seit rund fünf Jahren aufgefallen, dass es seit Einführung der Abgasnorm Euro 5 keinen Rückgang der NOx-Immissionsmesswerte im Vergleich zur Euro 4 gegeben hat.“ Seit Einführung der Euro-6-Norm habe es einen leichten Emissionsrückgang gegeben, aber „auch der liegt deutlich über dem Grenzwert“, sagte Schmied. Er bedauert, dass vor Jahren die „Feldüberwachung“ eingestellt worden ist. Nachdem es zwischen den Euro-Normen 3 und 4 kaum noch Abweichungen gegeben habe, sei diese Überwachungsmethode eingespart worden. Das UBA hat aber mit fünf weiteren EU-Ländern und der Schweiz an einem eigenen Testzyklus gearbeitet, der die Schadstoffe in jeder Sekunde eines Testzyklus misst und näher an realen Fahrsituationen dran ist. Dabei sind den Umweltfachleuten schon seit Jahren Diskrepanzen direkt am Auspuff aufgefallen.

Schmied sagt weiter: „Der Grenzwert der Euro-6-Norm ist schon in Ordnung. Er muss halt eingehalten werden.“ Seine Chefin, UBA-Präsidentin Maria Krautzberger, will auf jeden Fall verhindern, dass mit der Einführung neuer Testzyklen auch die Grenzwerte gesenkt werden. Die große Abweichung bei VW hatte auch damit zu tun, dass der Konzern den Autofahrern ersparen wollte, das Additiv zur Reinigung der Abgase selbst nachfüllen zu müssen. Heiko Balsmeyer findet: „Es ist skandalös, dass VW die Bequemlichkeit der Fahrer höher bewertet als die Gesundheit der Allgemeinheit.“ Seit Jahren rechnet die Weltgesundheitsorganisation vor, dass mehrere hunderttausend Menschen jedes Jahr vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung, in den Städten vor allem durch Dieselautos, sterben. Bisher habe diese Zahl aber kaum jemanden aufgeregt.

Auch beim Kohlendioxidausstoß gibt es große Abweichungen

Am Montag hat die Clean-Air-Organisation „Transport & Environment“ (T & E) darüber hinaus eine Studie veröffentlicht, die nachweist, dass auch die Kohlendioxid-Grenzwerte nicht eingehalten werden. Nachdem 2008 erstmals ein CO2-Grenzwert in der EU in Kraft getreten ist, gibt es nach Informationen von T & E Diskrepanzen. In diesem Fall wird der Kraftstoffverbrauch einmal im Labor und zudem auf der Straße verglichen. Im Schnitt liegen die Autos um 40 Prozent über den angegebenen Verbrauchs- und damit auch CO2-Werten. Mit jedem Jahr ist die Abweichung größer geworden, schreibt die Organisation in ihrer Studie. 2001 habe sie noch bei acht Prozent gelegen. Beim CO2 zeigt Mercedes die größte Diskrepanz, mehr als 50 Prozent. Und bei Opel sind die CO2-Emissionen seit 2008 sogar gestiegen, moniert T & E.

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