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Wirtschaft: Drahtlose Wirtschaftsförderung

Ein kleiner Ort in Spanien wird komplett mit dem Internet vernetzt – per Funk

Wohl kaum jemand hätte gedacht, dass die nordspanische Kleinstadt Zamora eines Tages zum High-Tech-Wunder werden könnte. Den 68 000 Einwohnern des mittelalterlichen Städtchens steht eine technische Neuerung der besonderen Art bevor: Als erste Stadt weltweit soll Zamora komplett mit dem Internet verbunden werden, und zwar über ein drahtloses Netzwerk. Das Projekt setzt auf die Wireless-Fidelity-Technologie (WiFi), die in Deutschland auch unter dem Begriff W-Lan-Technik bekannt ist.

Bereits seit einiger Zeit sprießen die Einwahlpunkte für solche Internetverbindungen in Europa und den USA wie Pilze aus dem Boden und ermöglichen den drahtlosen Internet-Zugang in Hotels und auf Flughäfen. Doch im Gegensatz zu diesen örtlich begrenzten „hot spots“ steht bei dem Projekt in Zamora mehr auf dem Spiel als nur die Versorgung von technikbegeisterten Geschäftsreisenden. Es geht um Internet für die Massen.

Die Provinz Castilla-León, in der auch Zamora liegt, hat einen High-Tech-Schub dringend nötig. Lediglich jeder sechste Einwohner hat einen Internet-Zugang. Damit liegt man sogar noch unter dem ohnehin bescheidenen spanischen Landesdurchschnitt von 20 Prozent. Nur in drei Städten der Region gibt es den digitalen Hochgeschwindigkeits-Zugang DSL. Den von der Firma Afitel angebotenen drahtlosen Service haben in Zamora bereits 600 Kunden gebucht. Ab einer Zahl von 2000 Verträgen rentiert sich das Projekt für den Provider, der zum ersten Jahrestag im kommenden September 3000 WiFi-Kunden unter Vertrag haben will.

Das Vorhaben ist ein Gemeinschaftsprojekt von Afitel, einem Start-Up aus Madrid, und dem US-Chiphersteller Intel, der sich die weltweite Verbreitung der WiFi-Technologie auf die Fahnen geschrieben hat. Noch in diesem Jahr geht Intel mit einer neuen Technik an den Markt, die Notebook- und Handheld-Computern das Funken in WiFi-Netzen ermöglicht. Der Einsatz des Chipgiganten im Zamora-Projekt beschränkt sich jedoch auf die Bereitstellung von Hardware-Komponenten.

Niedrige Kosten

Anders als die UMTS-Mobilfunktechnik nutzt der WiFi-Standard freie Funkfrequenzen, die in Spanien nicht reguliert sind. Dadurch kann es zwar zu Komplikationen mit Radiowellen kommen, den Aufbau der technischen Infrastruktur macht es jedoch sehr preiswert. Die Ausgaben pro Kunde gibt Afitel mit lediglich 60 Euro an – ausgehend von Installationskosten von 600 Euro pro Antenne, die einen „hot spot“ für zehn Zugänge liefert. Im Gegensatz zu anderen Technologie-Projekten in europäischen Kleinstädten geht es in Zamora nicht um ein politisches Vorzeigeobjekt, sondern um ein privatwirtschaftliches Projekt, mit dem auch Gewinne erzielt werden sollen. Afitel kommt ganz ohne staatliche Zuschüsse aus. Lediglich bei der Einrichtung der Antennen zeigte sich die Bezirksverwaltung kooperativ und vereinfachte die Genehmigungspraxis. „Wir sind erst in der Anfangsphase, doch die ganze Technologie steht vor einem riesigen Sprung“, sagt Stacy Smith, leitende Geschäftsführerin von Intel in Europa. „Zamora zeigt, dass nicht alles ein Projekt der EU oder der Staatsregierung zu sein braucht.“

Der größte Unterschied zwischen Zamora und den vielen anderen drahtlosen Gemeinden, die derzeit überall zwischen Manchester und Manhattan entstehen, ist der bescheidene Anspruch des spanischen Projekts. Viel gerühmt wird die WiFi-Technologie vor allem für ihre Geschwindigkeit, die Übertragungsraten von bis zu elf Megabit pro Sekunde zulässt – zweihundert Mal so schnell wie eine Modem-Verbindung. Afitel hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass man nicht so hoch hinaus wolle, und begnügte sich zunächst mit einem Zwei-Megabit-Zugang. Manuel Maese, Strategieleiter bei der Afitel- Mutterfirma Wireless & Satellite Networks SA, wollte die Erwartungen von Anfang an dämpfen. Nicht auf die Hand voll Zamoraner High-End-Nutzer hat er es abgesehen, sondern auf den durchschnittlichen Internet-Kunden, der entweder noch keinen Anschluss hat oder mit der Geschwindigkeit der Modem-Verbindungen unzufrieden ist. Und trotz der recht dürftigen Übertragungsrate von 80 Kilobyte pro Sekunde stimmt der Preis: Bei zehn Euro im Monat bekommt der Nutzer immer noch mehr Geschwindigkeit für sein Geld als beim herkömmlichen 16 Euro teuren Pauschalvertrag mit Modem-Zugang. „Von den übertriebenen Ankündigungen haben wir inzwischen genug – wir richten uns lieber auf den Markt ein, der tatsächlich existiert“, sagt Maese.

Mehr als 250 der von Intel gebauten Antennen hat Afitel inzwischen in der Stadt platziert. Die Signale werden an den Hauptknotenpunkt, den so genannten „Backbone“-Anschluss, weitergeleitet, der am Rand der Stadt steht und für die eigentliche Internet-Verbindung sorgt.

„Mit der Senkung der Verbindungskosten wird eine gewaltige Hürde genommen, doch die Massenanwendung steht vor vielen anderen Barrieren“, warnt Lars Godell, Telekom-Analyst bei Forester Research in London. Für das Zamora-Projekt gab es kein Modell. Bevor man ein effektives Netzwerk aufgebaut hatte, zahlte man reichlich Lehrgeld und lernte vor allem aus Fehlern. José Manuel Regiero, örtlicher Repräsentant von Afitel, steht vor seinem Drogeriegeschäft in Zamora und verdeutlicht, was das heißt: Die über die ganze Stadt verteilten Antennen waren zunächst an den Hausfassaden und dann an den Straßenlaternen angebracht. Doch erst als man sie auf die Hausdächer setzte, funktionierte das Netzwerk. Vor kurzem verdoppelte Afitel die Zugangskapazität des Knotenpunktes auf vier Megabit. Will man die Anzahl der Anschlüsse erhöhen, werden weitere Steigerungen dieser Rate in Zukunft der größte Ausgabenposten für Afitel sein.

Gedulduldige Kunden

„Wir haben es unseren Kunden nicht leicht gemacht“, sagt Regiero. „Bei den ganzen Änderungen haben wir den Leuten die Anschlüsse gekappt und laufende Verbindungen ruiniert.“ Nun, da das System seine Kinderkrankheiten abgelegt hat, werden die Nutzer immer zufriedener. „Die Unterbrechungen und das Schneckentempo haben mich verrückt gemacht“, sagt der Computerexperte Santiago Salgado. „Doch es wird zusehends besser, und angesichts der Alternativen bin ich sehr glücklich mit dem Service.“

Die schläfrige Provinzstadt bietet mit ihren allgegenwärtigen Antennen, die sich mit den vielen Störchen die Dachspitzen teilen, ein ungewohntes Bild. Angesichts des Niedergangs von Industrie und Landwirtschaft hofft die Bezirksregierung, dass die WiFi- Welle Zamora aus dem wirtschaftlichen Verfall reißt. Bereits jetzt zeigen die Erfahrungen von Afitel jedoch, dass der Weg zu ausgereiften WiFi-Anwendungen steinig ist. Noch gehen die meisten davon aus, dass sich die Technik für stadtweite Netzwerke eignet. „Das Zamora-Projekt sollte die Leute nicht zu übertriebenen Erwartungen an die WiFi-Technik verleiten“, sagt Analyst Godell. „Die drahtlose Revolution wird nicht über Nacht kommen.“

Keith Johnson

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