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Wirtschaft: Düstere Zeiten

Großbritannien kämpft mit Milliarden gegen die schwerste Krise seit Jahrzehnten – bisher ohne Erfolg 

Drei Tage reiste der britische Premier Gordon Brown auf „Rezessionstour“ durchs Land und verteilte Geld. 40 Milliarden Pfund will er 2009 in den Aufschwung investieren. Bei Rolls Royce in Derbyshire verkündete er ein neues Lehrlingsausbildungsprogramm für 140 Millionen Pfund: „Wir werden auch im Abschwung in unsere Zukunft investieren.“ In Swindon erläuterte er, wie mit 22 Milliarden Pfund Schulen neu gebaut oder renoviert werden sollen. 100 000 neue Jobs will er durch Investitionen in Straßen und Eisenbahnen schaffen.

Die Wirtschaftskrise hat das Land fest im Griff. Nach Angaben des Forschungsinstitut NIESR ist die Wirtschaft im letzten Quartal 2008 um 1,5 Prozent geschrumpft – die schwächste Leistung seit 28 Jahren. Am Donnerstag senkte die Bank von England den Leitzins auf 1,5 Prozent, so tief wie noch nie seit Gründung der Notenbank 1694. Es war ein Verzweiflungsschritt – dennoch musste sich die Bank Halbherzigkeit vorwerfen lassen. Nun hat man die null Prozent im Visier und diskutiert, warum Sparer den Banken dann noch Geld aushändigen sollten, um es an die Wirtschaft weiterzuverleihen.

Die Zahl der Arbeitslosen könnte Ende 2009 drei Millionen erreichen. Vor einem Jahr war das im Wunderland unverwüstlicher Arbeitsmärkte unvorstellbar. Jahrelang hatten Briten ihre immer teureren Häuser als Sicherheit für Konsumkredite benutzt und so die Wirtschaft angeheizt. Nun sind die Hauspreise um 16 Prozent eingebrochen und der Konsumrausch ist in Angst vor Arbeitslosigkeit und Schulden umgeschlagen. Woche für Woche brechen Einzelhandelsketten zusammen, von Möbelgeschäften bis zu Edelschneidern in der Londoner Saville Row. Den Anfang machte, kurz vor ihrem 100. Geburtstag, die Kaufhauskette Woolworth. 27 000 Arbeitsplätze gingen verloren. Wie ein Mantra wiederholt Brown : „Es begann in Amerika und hat sich in aller Welt ausgebreitet.“ Jahrelang behauptete er, den Wirtschaftszyklus von „Boom und Pleiten“ abgeschafft zu haben. Nun wirft man ihm vor, er habe das Land nicht für den Abschwung positioniert.

Auch Oppositionschef David Cameron, der am Freitag das Autowerk Nissan in Sunderland besuchte, wo 1200 Arbeiter entlassen wurden, hat einen Leitspruch für die Krise: „Brown hat das Dach nicht repariert, als die Sonne schien.“ Das bezieht sich auf das strukturelle Haushaltsdefizit, das Brown in den Boomjahren auflaufen ließ. Nun soll das Defizit in diesem Haushaltsjahr auf sechs Prozent und im nächsten auf acht Prozent steigen. Im Haushaltsentwurf im November ging die Regierung noch davon aus, dass der Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte 2009 kommt. Nun räumt sogar Brown ein, dass die Rezession bis Ende 2010 dauern könnte.

Als sich die Finanzkrise im September nach dem Zusammenbruch der US-Bank Lehmann Brothers rund um den Globus verschärfte, fand der politisch angeschlagene Brown eine neue Rolle als Krisenmanager. Mit seiner 40 Milliarden Pfund teuren Bankenrettung durch Kapitalzuschüsse wurde er Lehrmeister für Europäer und Amerikaner. Im Oktober wurde Brown noch kühner: Eine 12 Milliarden Euro schwere Mehrwertsteuersenkung und weitere teure Konjunkturprogramme sollten die Auswirkungen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft eindämmen. Aber bisher wirkte nichts. Die Kredit-Pipeline bleibt verstopft. „Die Regierung hätte das Geld genauso gut verbrennen können“, kritisiert Oppositionschef Cameron. In Sunderland wiederholte er, was die Tories seit zwei Monaten fordern: Dass die Regierung durch Staatsbürgschaften für Unternehmenskredite in Höhe von 50 Milliarden Pfund den Kreditkreislauf wiederherstellen soll – ähnlich wie es die Bundesregierung vorhat. „Jeden Tag, den Brown zögert, verlieren wir mehr Jobs“, sagt Cameron.

Britische Unternehmer müssen in diesem Jahr rund 50 Milliarden Pfund umschulden. 150 000 Privatpersonen werden laut der Wirtschaftsprüfgesellschaft KPMG 2009 ihren persönlichen Bankrott anmelden. Aber es gibt keine Kredite. Die riesige Finanzbranche, in der Londoner City zu Hause, pumpt weder Geld noch Selbstvertrauen in die britische Wirtschaft.

„Wir könnten eine längere Rezession als andere Länder bekommen, weil die britische Hauspreisblase so viel schlimmer war und weil wir so abhängig von der City sind. Großbritannien ist doppelt exponiert“, warnte der Finanzsprecher der Liberaldemokraten, Vince Cable. Schon wird diskutiert, ob man nicht einfach Geld drucken muss, wenn die Zinsen bei null sind und die Kredite immer noch nicht fließen. „Quantitative Entspannung“ heißt diese Methode, Liquidität in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Sogar Schatzkanzler Alistair Darling gibt zu, dass er darüber nachdenkt. Londons Bürgermeister Boris Johnson, warnt indes vor einem sich selbst antreibenden Kreislauf des Pessimismus. „Wer die Wirtschaftsseiten liest, möchte sich die Pulsadern aufschneiden.“

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