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Geschmeidiger Fortgang: Hätte Henkel den Wechsel von Ulrich Freise zur Pin AG verbieten müssen?

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Ehemaliger Staatssekretär Freise bei der Pin AG: Hätte Henkel den Wechsel verhindern müssen?

Der Wechsel des Staatssekretärs Freise zur Pin AG zeigt, wie leicht der Übergang von der Verwaltung zur Wirtschaft sein kann. Bei Organisationen wie Transparency International oder Lobby Control schrillen die Alarmglocken - aber Innensenator Henkel scheint sich der Brisanz der Personalie nicht bewusst zu sein.

Eines vorweg: Was Ulrich Freise selbst über diese Geschichte denkt, ist nicht bekannt. Er beantwortete die Fragen des Tagesspiegels nicht. Vielleicht fragt er sich: Was interessiert sich irgendjemand für einen Beamten mit SPD-Parteibuch, der acht Jahre lang treu dem Land Berlin diente, ohne sich jemals in den Vordergrund zu drängen? Darf sich ein dreifacher Familienvater nicht nach einem neuen Job umschauen? Schließlich wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Mit 56 Jahren – nur, weil ein neuer Hausherr mit schwarzem Parteibuch in seine Behörde kam.

So ist das eben in der Sphäre zwischen Politik, Verwaltung und Wirtschaft: Wenn auf der einen Seite kein Platz mehr frei ist, muss man sehen, wie man auf die anderen kommt. Freise kam Anfang September bei der Pin Mail AG unter, einem kleinen Konkurrenten der Deutschen Post. Der Sprung dahin war für ihn offenbar sehr kurz – was im Haus des Innensenators Frank Henkel (CDU) aber niemanden zu stören scheint.

„Mit der Verpflichtung von Herrn Freise gewinnt die Pin Mail AG einen Experten im Bereich Organisationsentwicklung und Prozessmanagement, der helfen kann, das Unternehmen noch zielgenauer auf die Bedarfe der Berliner Kundschaft auszurichten“, hieß es in einer Mitteilung von Pin Mail Ende August. Der Staatssekretär a. D. werde die Geschäftsführung verstärken und unter anderem für das „Business Development for Governmental Services“ zuständig sein, was so viel wie „Geschäftsentwicklung für Behördendienstleitungen“ heißt.

Ulrich Freise.
Ulrich Freise.

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Was unspektakulär klingt, ließ Behördeninsider aufhorchen – hatte Freise hier über die Jahre doch eine sehr spezifische Kompetenz erworben: Er koordinierte Dienstleistungen für Berlins Behörden. In seiner Zeit als Stellvertreter von Senator Erhart Körting (SPD) war er von 2003 bis Ende 2011 auch zuständig für das Landesverwaltungsamt. Das wiederum schreibt regelmäßig den mit gut zwölf Millionen Euro jährlich dotierten Auftrag für Beförderung der Behördenpost innerhalb Berlins aus. Ende 2010 vergab das Amt unter Freise erneut den Auftrag an Pin Mail, was sehr wichtig war für die Firma: 30 Prozent aller Briefe, die Pin Mail befördert, werden von Berlins Behörden verschickt.

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„Die neue Tätigkeit von Freise steht zweifelsohne mit seiner dienstlichen Tätigkeit im Zusammenhang und kann die dienstlichen Interessen beeinträchtigen“, sagt Dirk Behrendt, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. Pin Mail könnte Freise wegen seiner Kontakte und seines Wissens aus seiner Zeit im Landesdienst eingekauft haben, vermute er.

Verboten wäre das nicht. Gleichwohl erregen solche geschmeidigen Wechsel von Verwaltung in die Wirtschaft Wächter der politischen Hygiene von Lobbycontrol bis Transparency International. Sie warnen, dass Firmen Beamte und Politiker mit einer Anstellung nachträglich für gefällige Entscheidungen in der Vergangenheit bezahlen können. Nachweisen lässt sich das so gut wie nie.

Um nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, helfe nur Prophylaxe. „Die Karenzzeitregelungen im öffentlichen Dienst für den Wechsel in Tätigkeiten außerhalb des öffentlichen Dienstes, bei denen Interessenkonflikte auftreten könnten, müssen konsequent angewendet werden“, sagt Christian Humborg, Leiter des deutschen Transparency-Büros.

Freise, der weiter Pensionszahlungen erhält, war sich sich der Brisanz offenbar bewusst. Er zeigte seine neue Tätigkeit bei seiner ehemaligen Behörde an, wie diese dem Tagesspiegel bestätigte. Beamte im Ruhestand sind gemäß dem Berliner Landesbeamtengesetz (LBG) verpflichtet, eine neue Beschäftigung anzuzeigen, „die mit ihrer dienstlichen Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Beendigung des Beamtenverhältnisses im Zusammenhang steht und durch die dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können“, heißt es dort. Freise tat das schriftlich – allerdings erst am 4. September, nachdem er seinen neuen Posten angetreten und Fakten geschaffen hatte.

Das wäre für einen Bundesbeamten ein klarer Verstoß, nicht aber für Berliner Beamten, erklärt Christian Pestalozza, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der FU-Berlin: „Der Bundesgesetzgeber hat den Ländern freigestellt, ob sie, was den Zeitpunkt der Anzeige anlangt, ebenso streng sein wollen wie er für seine Ruhestandsbeamten. Berlin wollte offenbar nicht“, sagt der Jurist.

Es ist sogar erklärtes Ziel der Berliner Verwaltung, den Beamtenwechsel in die Wirtschaft komfortabel zu gestalten. „Gerade bei dem Personenkreis, der in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird, bevor die Altersgrenze erreicht wird, steht die Aufnahme einer anderweitigen Beschäftigung durchaus im Interesse des Landes, weil erreichte Versorgungsansprüche reduziert werden“, sagt Stefan Sukale, Sprecher der Innenverwaltung.

Schaut das Haus Henkel deshalb selbst bei Top-Personalien nicht so genau hin? „Ich bin sehr überrascht, dass Senator Henkel diese Prüfung durch nachgeordnete Mitarbeiter vornehmen ließ und sich offenbar nicht selbst informierte“, sagt Behrendt von den Grünen. „Die berufliche Tätigkeit des ehemaligen Staatssekretärs ist eine Sache für die Hausspitze, schon allein weil nachgeordnete Mitarbeiter kaum unabhängig über den ehemaligen Chef entscheiden können.“ Es hätte zumindest intensiv geprüft und abgewogen werden müssen, ob eine Untersagung erfolgen muss, sagt der Grüne.

Henkels Verwaltung räumt ein, dass Freise in den vergangenen Jahren Gespräche mit Pin-Mitarbeitern geführt hat. Er sei jedoch zu keinem Zeitpunkt unmittelbar in die verantwortlichen Entscheidungen und Vertragsverhandlungen einbezogen gewesen. „Von daher ist nach dem derzeitigen Prüfungsstand der Anzeige kein Versagungsgrund für die neue Tätigkeit gegeben“, sagt Hernkels Sprecher Sukale. Und Pin teilt mit: Hätten Interessenkonflikte bestanden, wäre es zu dem Engagement Freises nicht gekommen.

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