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Wirtschaft: Eichel meldet Staatsdefizit von 2,9 Prozent

Bundesregierung wird wegen der Finanzlage in Kürze mit neuen Haushaltsberatungen beginnen

Berlin (asi/brö/dpa). Die öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Sozialversicherungen in Deutschland werden sich in diesem Jahr mit 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes neu verschulden müssen. Diese Zahl habe Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) am Dienstag an die EU-Kommission übermittelt, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums am Abend in Berlin.

Die rot-grüne Bundesregierung würde damit die Defizit-Grenze des Maastricht-Vertrages von 3,0 Prozent nur knapp verfehlen und liefe nicht unmittelbar Gefahr, von der Brüsseler EU-Kommission wegen Überschreitung des Defizit-Ziels abgemahnt zu werden. Ursprünglich hatte die Bundesregierung für dieses Jahr eine Netto-Neuverschuldung von 2,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) geplant. Das BIP ist der Gesamtwert aller in Deutschland produzierten Waren und Dienstleistungen eines Jahres. Mehr als drei Prozent Neuverschuldung ist den Euro-Ländern nicht erlaubt. Darauf hatten sich die Teilnehmer an der Einheitswährung im Maastricht-Vertrag geeinigt.

Mittlerweile rechnet auch die EU-Kommission in Brüssel damit, dass Deutschland die Drei-Prozent-Marke nicht einhalten wird. Ein Papier von Währungskommissar Pedro Solbes, das der Kommission am Dienstag zur Beratung in Straßburg vorlag, weist darauf hin, dass Steuerausfälle, Mehrausgaben und der Folgen der Flutkatastrophe dazu führen könnten, dass das deutsche Defizit die kritische Schwelle überschreitet.

Die Kommission will nun – vor allem angesichts der kritischen Haushaltslage in Portugal und in Deutschland – die Vorgaben des Stabilitätspaktes verändern. EU-Kommissionspräsident Romao Prodi erklärte am Dienstag am Rande des Asem-Gipfels in Kopenhagen , es sei an der Zeit, die Lehren aus den Problemen mehrerer Euro-Staaten zu ziehen, die bisherigen Ziele zu erreichen. Statt wie bisher 2004 könne nun „spätestens 2006“ als neues Datum ins Auge gefasst werden, zu dem die Mitglieder der Währungsunion nahezu ausgeglichene Haushalte vorlegen müssen. Die Grenze von drei Prozent bleibe bestehen.

Die Kommission will den Staaten des Eurolandes konkretere Schritte zur Verringerung ihrer Defizite vorschlagen, nämlich um 0,5 Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts pro Jahr. In Jahren mit hohem Wirtschaftswachstum müsse das Defizit stärker abgebaut werden. Die französische Regierung begrüßte der „Realitätssinn der Kommission“. In Paris hieß es , man erwarte im kommenden Jahr ein Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent und nicht drei Prozent, was zur Bedingung für die Einhaltung der Maastricht-Obergrenze erklärt worden war.

Das Bundesfinanzministerium wollte die Informationen aus der Kommission zunächst nicht kommentieren. Ein Sprecher von Hans Eichel sagte, Berlin liege keine offizielle Mitteilung der Kommission zu diesem Thema vor. Man habe deshalb auch „keinerlei Veranlassung“, an den festgelegten Zielen zu zweifeln. Er kündigte allerdings bereits für Oktober den Beginn von Beratungen der Bundesministerien über einen neuen Bundeshaushalt 2003 an. „Aus konjunkturellen Gründen“ seien Veränderungen gegenüber dem Etatentwurf notwendig, der noch eine Woche vor der Bundestagswahl im Bundestag beraten wurde. Erste Ressortgespräche seien für November geplant.

Wenngleich Eichel bei einem Etatdefizit von 2,9 Prozent auch jetzt noch unter der Höchstverschuldungsgrenze von Maastricht liegt, gehen Insider bereits davon aus, dass der Minister die Prognose im Spätherbst verändern wird. Spätestens nach dem Gemeinschaftsgutachten der führenden Konjunkturinstitute im Oktober und der Steuerschätzung im November werde Eichel die Überschreitung der Drei-Prozent-Grenze in Brüssel eingestehen müssen, heißt es. Außenpolitische Entwicklungen, wie der Irak-Konflikt und die damit einhergehenden Energiepreisverteuerungen, würden dem Minister als Argumente dienen können.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hat die Bundesregierung indes aufgefordert, nicht vom Stabilitätspakt abzuweichen und die Sparanstrengungen zu verstärken. „Deutschland muss bis 2004 rund 20 Milliarden Euro einsparen – das geht nur mit tiefen strukturellen Reformen“, sagte IfW-Konjunkturchef Joachim Scheide dem Tagesspiegel. Die Bundesregierung dürfe dazu aber nicht weiter bei den Investitionen der öffentlichen Hand sparen, sondern müsse entschlossen bei den Subventionen kürzen. „Kürzungen bei den Investitionen wären für die Konjunktur gefährlich. Bei den Subventionen indes gibt es einen Spielraum von 150 Milliarden Euro im Jahr“, sagte der IfW-Wirtschaftsforscher Scheide. „Jetzt, unmittelbar nach der Wahl, ist die Zeit für Grausamkeiten. Der Kanzler sollte diese Gelegenheit nutzen.“

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