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Die guten Jahre sind vorbei. Wer demnächst eine Lebensversicherung abschließt, kann nicht mehr damit rechnen, dass der Zins ein Leben lang garantiert wird. Foto: ddp

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Wirtschaft: Ein Auslaufmodell

Experten erwarten, dass Lebensversicherungen immer unattraktiver werden

Die deutschen Lebensversicherer und ihre Kunden steuern schweres Fahrwasser an. Wer im kommenden Jahr eine neue Lebensversicherung abschließen will, kann möglicherweise nur noch mit einem garantierten Mindestzins von 1,75 Prozent rechnen – ein Satz, der dann für die gesamte Laufzeit der Versicherung gültig bliebe. Spätestens 2012, glauben die meisten Versicherungsmathematiker, Versicherer und Ratingunternehmen, wird der aktuelle Mindestzins von 2,25 Prozent nicht mehr haltbar sein.

Der Grund dafür liegt auf der Hand: Nachdem die Zinsen seit Mitte der neunziger Jahre auf immer neue Rekordtiefs gesunken sind, fällt es den Versicherern zunehmend schwer, ordentliche Renditen mit einem vertretbaren Risiko zu verknüpfen. Wie schwierig das ist, zeigt die Entwicklung der Umlaufrendite, also jener Kennziffer, die aus der durchschnittlichen Rendite erstklassiger deutscher Anleihen ab vier Jahren Laufzeit gebildet wird und das aktuelle Zinsniveau damit gut widerspiegelt: Anfang der Neunziger Jahre noch zwischen acht und neun Prozent, ist die Umlaufrendite Ende August auf ein Rekordtief von 1,8 Prozent gefallen. Derzeit liegt sie bei 2,17 Prozent. Selbst 30-jährige deutsche Staatsanleihen werfen unter drei Prozent ab. Dennoch haben die deutschen Lebensversicherer nach Erkenntnissen des Map-Reports, eines Informations- und Rating-Unternehmens für die Versicherungsbranche, ihre Kundeneinlagen 2010 im Schnitt noch mit 4,2 Prozent verzinst. Denn zusätzlich zum garantierten Mindestzins floss eine Überschussbeteiligung, die jedes Jahr neu berechnet wird.

„Die meisten Versicherer zehren derzeit noch von höheren Ausschüttungen älterer Papiere“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Lebensversicherung beim Versicherungs-Rater Assekurata. So winkt etwa eine 2000 aufgelegte 30jährige Bundesanleihe noch mit einem Zinskupon von 6,25 Prozent. Laut Assekurata sind jedoch auch Versicherer im Markt, die zu früh auf eine Zinswende gesetzt und sich deshalb hauptsächlich im kurzfristigen Bereich engagiert haben. Sie müssten nun große Teile der Kundengelder zu sehr ungünstigen Konditionen anlegen. Dies wird zusehends zu einem Problem, haben die Versicherer doch auch Kunden, die ihre Lebensversicherung bereits vor dem Juni 2000 abgeschlossen haben und damit für die gesamte Vertragslaufzeit weiter einen Garantiezins von vier Prozent erhalten. Im Schnitt liegt die Mindestverzinsung, die die deutschen Lebensversicherer über alle Tarifgenerationen derzeit erwirtschaften müssen, bei 3,4 Prozent. Das hat Manfred Poweleit vom Map-Report errechnet. Assekurata-Fachmann Heermann glaubt deshalb: „Bleiben die Marktzinsen weiter im Bereich der Rekordtiefs, dann wird die Mindestverzinsung bereits im zweiten Halbjahr 2011 sinken müssen.“

Die Entscheidung darüber treffen nicht die Versicherer selbst, sondern das Bundesfinanzministerium. Dabei verlassen sich die Finanzpolitiker jedoch auf das Votum der Finanzmathematiker, genauer gesagt auf deren Berufsverband, die deutsche Aktuar-Vereinigung. Für 2011 haben die Aktuare vorerst noch einen stabilen Garantiezins empfohlen, das Votum des Finanzministers lässt noch auf sich warten. Die Finanzmathematiker simulieren dafür mehrere Szenarien einer künftigen Zinsentwicklung. Demnach könnten die Marktzinsen weiter absinken und dann auf sehr niedrigem Niveau verharren. Dazu überprüfen sie, ob es mithilfe erstklassiger Anleihen der Euro-Staaten, also beispielsweise deutschen, französischen oder österreichischen Staatspapieren, noch möglich ist, die Mindestverzinsung zu erreichen.

Henning Wergen, Lebensversicherungsspezialist der Aktuare, glaubt zwar nicht, „dass ein deutscher Versicherer den aktuellen Mindestsatz 2011 nicht mehr darstellen kann.“ Gleichwohl sei nicht auszuschließen, dass die Aktuarvereinigung „ab 2012 einen anderen Zins empfehlen wird“. Auch die Ergo-Lebensversicherung – ehemals die Hamburg-Mannheimer – aus dem Konzern der Munich Re rechnet mit einem sinkenden Zins. Dies diene jedoch letztlich der Sicherheit der Unternehmen und damit auch dem Kunden, sagt Ergo-Sprecher Jens Buchkremer. Um höhere Renditen einzufahren, sind die Versicherer laut Assekurata derzeit dabei, ihre Anlagen breiter zu streuen. Neben Staatsanleihen, Pfandbriefen und Schuldverschreibungen würden zunehmend auch höher verzinste Unternehmensanleihen und Immobilien gekauft.

Nicht nur die Versicherer, auch die Kunden stehen vor enormen Herausforderungen. Nach Berechnungen des MapReports hat sich die tatsächlich erreichte Ablaufleistung einer Lebensversicherung seit 2001 glatt halbiert. „Wer mit Lebensversicherungen seine Rente mitfinanzieren will, dem fehlt später richtig viel Geld“, befürchtet Manfred Poweleit vom Map-Report. Der durchschnittliche Deutsche zahle monatlich 60 Euro in seine Kapitallebensversicherung ein, nötig wären in den meisten Fällen 300 Euro, um schrumpfende Zinsgewinne ausgleichen zu können. Zudem sei kein Ende der Niedrigzinsphase absehbar. Eine womöglich steigende Inflation sei dabei noch gar nicht mitgerechnet. Poweleit glaubt zudem, dass auch die Endrendite für Bestandskunden 2011 „eher sinken, als steigen wird“. Allen Problemen zum Trotz halten weder die Assekurata noch der Map-Report die Lebensversicherung für ein Auslaufmodell. Sie verfüge über ein deutlich ausgewogeneres Chance-Risiko-Profil als alle anderen Anlageformen, urteilt Assekurata-Experte Heermann. Trotz der langen Zinsflaute böten die Lebensversicherer weiter deutlich bessere Jahresrenditen als etwa Zinsprodukte der Banken. Die Sicherheitspolster seien zwar teilweise ausgedünnt, aber immer noch akzeptabel bis sehr gut, so dass auch breitere Zinstäler durchschritten werden könnten. Probleme sieht Poweleit erst auf die Versicherer zukommen, wenn der Zinsnotstand weitere drei Jahre anhält. Ziehe man die niedrige Inflationsrate ins Kalkül, seien die realen Renditen sehr anständig, sagt auch Buchkremer. Kritiker wiederum führen ins Feld, dass der Garantiezins nur auf den Sparbeitrag gezahlt wird. Fällt er auf 1,75 Prozent, könnte vor allem bei kürzer laufenden Verträgen nach Abzug der Kosten kaum mehr als eine Nullrendite übrig bleiben.

Hinzu kommt Solvency II – ein EU-Projekt zur Reform der europäischen Versicherungsaufsicht. Wird es spätestens 2013 Realität, könnte der deutsche Markt für Lebensversicherungen vor einer Revolution stehen. Auf dem Spiel steht die Zinsgarantie für die gesamte Vertragslaufzeit, also der Kern des deutschen Lebensversicherungsmodells. Der Grund: Solvency II erhöht die Anforderungen an die Versicherer, verlangt höhere Deckungsreserven und einen detaillierteren Blick auf das Gesamtrisiko. Das soll die Kunden vor der Pleite eines Versicherers schützen, bedeutet aber auch: Zinsgarantien und somit Renditeversprechen für sehr lange Zeiträume von bis zu 40 oder gar 50 Jahren müssten mit viel Geld abgesichert werden. Die Folge: Die deutsche Lebensversicherung würde erheblich mehr kosten. Das Neugeschäft lahmt schon heute. 2009 wurden 6,4 Millionen neue Policen abgeschlossen, 8,4 Prozent weniger als 2008. Steht 2011 oder 2012 wirklich eine Eins vor dem Zinskomma, dürfte es nicht leichter werden, neue Kunden ins Boot zu holen.

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