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Wirtschaft: Ein „echter Macher“ für die Spitze

Von dem neuen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld wird erwartet, dass er das Ruder in den Problemsparten schnell herumreißt

München - Sein erster großer Auftritt vor Journalisten sorgte gleich für Aufsehen: Als Siemens-Chef Heinrich von Pierer seinen Kronprinzen Klaus Kleinfeld Anfang November im Rahmen eines feierlichen Gala-Dinners am Firmensitz in München vorstellte, scherte dieser sich wenig um Etikette. Der 47-Jährige plauderte fröhlich über seine Vorliebe für Hip-Hop-Musik und Opern, über Gewichtsprobleme und rief mehrmals begeistert „Wow!“ aus. Als ihn ein italienischer Journalist zu vorgerückter Stunde fragte, wie Siemens im Mobilfunkgeschäft künftig Marktführer Nokia Konkurrenz machen wolle und ihm ein Nokia-Handy vor die Nase hielt, warf Kleinfeld das Gerät kurzerhand in ein Mineralwasserglas und sagte knapp und mit spitzbübischem Grinsen: „Ganz einfach: so!“ Anschließend nahm Kleinfeld den sichtlich pikierten Italiener mit in sein Büro und schenkte ihm zwei neue Handys – von Siemens natürlich.

An Charisma mangelt es dem Mann, der ab kommendem Donnerstag Deutschlands größten Technologiekonzern Siemens leiten wird, nicht – auch wenn Kleinfeld mit seiner ungezwungenen, amerikanischen Art ganz anders auftritt als sein staatsmännischer, bedachter Vorgänger Heinrich von Pierer. Kleinfeld, der über 1,90 Meter große Bremer mit dem Schuljungen-Grinsen, wird von Kollegen als „großartiger Kommunikator“ und „echter Macher“ bejubelt. Und selbst der frühere Chef des Siemens-Erzkonkurrenten General Electric, Jack Welch, sagte über Kleinfeld, er sei ein „fantastischer Typ“.

Dieser Ansicht muss auch Konzernchef von Pierer sein, der lange nach einem geeigneten Nachfolger gesucht hatte. Immerhin setzte sich Kleinfeld letztlich gegen gestandene Manager wie den Siemens-Finanzchef Heinz-Joachim Neubürger und den strategischen Vordenker Johannes Feldmayer durch.

Wenn von Pierer am Donnerstag an die Spitze des Aufsichtsrates wechselt, darf Kleinfeld den nach Ansicht seines Vorgängers „tollsten Job in der deutschen Wirtschaft“ übernehmen. Zwar steht der Konzern, der weltweit 430000 Mitarbeiter hat und dessen Portfolio von Turbinen über Glühbirnen und Röntgengeräte bis hin zu Telefonen reicht, mit einem Nachsteuergewinn von 3,4 Milliarden Euro glänzend da. Zu dem Ergebnis trugen vor allem Zugpferde wie die Medizintechnik, der Lichthersteller Osram und die Automatisierungstechnik bei.

Doch in anderen Sparten hinterlässt von Pierer seinem Nachfolger eine Menge Aufräumarbeiten. Akuten Handlungsbedarf gibt es in der Kommunikationssparte. Analysten und Investoren erwarten, dass Kleinfeld rasch über die Zukunft des Mobilfunkgeschäfts entscheidet. „Da muss ganz schnell etwas passieren“, fordert Analyst Roland Pitz von der Hypo-Vereinsbank. Das Handygeschäft, das weit abgeschlagen hinter Wettbewerbern wie Nokia und Sony-Ericsson rangiert, hat im vergangenen Jahr einen Verlust von 152 Millionen Euro angehäuft.

Wenig Freude dürfte Kleinfeld auch die Transportsparte machen, die durch die Qualitätsprobleme bei den „Combino“-Straßenbahnen tief ins Minus gerutscht ist. Auch die Sparten IT-Dienstleistungen, Industrielösungen, Gebäudetechnik sowie Logistik und Produktionsautomatisierung verfehlen die Vorgaben.

Wer Kleinfeld gut kennt, traut ihm zu, dass er das Ruder in den Problemsparten herumreißen kann. „Er kann ziemlich hart sein und unerbittlich durchgreifen“, sagt ein Vertrauter. Das hat Kleinfeld, dessen Devise „Work hard, play hard“ lautet, zuletzt in den USA, dem weltweit umsatzstärksten Markt von Siemens, bewiesen. Unter seiner Leitung schaffte das US-Geschäft, das jahrelang Verluste geschrieben hatte, die Wende. Dafür mussten 10000 Mitarbeiter ihren Hut nehmen. Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer hofft, „dass Kleinfeld bei uns nicht gleich amerikanische Verhältnisse einführt und nur noch der Shareholder Value zählt“. Die Gewerkschaft fürchtet, dass Kleinfeld bei Themen wie Arbeitszeitverlängerung und Verlagerung von Standorten ins Ausland kompromissloser vorgehen wird als von Pierer.

Bevor Kleinfeld das US-Geschäft aufmischte, hatte er schon der Medizintechnik-Sparte als Bereichsleiter zu Höhenflügen bei Umsatz und Gewinn verholfen. „Er pflegt einen sehr fairen Umgang mit seinen Mitarbeitern, hat aber unheimlich hohe Erwartungen“, sagt die stellvertretende Betriebsratschefin der Medizintechnik-Sparte in Erlangen, Christa Gerdes. Vor allem sei Kleinfeld sehr durchsetzungsfähig und wolle „immer alles schnell lösen“.

Kleinfeld selbst gibt gerne zu, dass er ein Tempo-Mann ist. Den New-York-Marathon ist der passionierte Jogger trotz seines Gewichts von rund 100 Kilo zuletzt in gut fünf Stunden gelaufen. Auch beim Lesen von Business-Literatur hält sich Kleinfeld nicht lange auf: „Ich blättere das schnell durch und präge mir das Wichtigste ein“, sagte er.

Genauso zügig trieb Kleinfeld, der als Kind mit seinen Eltern aus der DDR nach Bremen floh, seine Karriere voran. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Göttingen und der Promotion ging er 1986 zum Schweizer Pharmakonzern Ciba-Geigy. Ein Jahr später wechselte er zu Siemens, wo er als Referent im Vertrieb anfing und dann schnell die Karriereleiter hinaufkletterte: zunächst als Leiter im Bereich Unternehmensstrategien, dann als Bereichsvorstand in der Medizintechnik und schließlich ab Januar 2001 drei Jahre lang als US-Chef.

Als der zweifache Familienvater vor einem Jahr den Sprung in den Zentralvorstand von Siemens schaffte, war vielen Unternehmenskennern klar, dass er von Pierers Erbe antreten würde. In gewisser Hinsicht sei er von Pierer sogar ähnlich. „Von Pierer mag an Kleinfeld, dass der auch aus eigener Erfahrung weiß, dass einem das Gold nicht in den Schoß fällt“, sagt ein Vertrauter. Seit einigen Wochen begleitet Kleinfeld von Pierer auf Reisen, um den Großen und Wichtigen der Welt seine Aufwartung zu machen. Bei Siemens ist Kleinfeld ab Donnerstag selbst der Wichtigste.

Nicole Huss

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