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Wirtschaft: Ein langer Weg

Der Irak ist wirtschaftlich am Boden – auch die Ölreserven helfen nicht, bevor politische Stabilität herrscht

Von Carsten Brönstrup

und Maren Peters

Den gefährlichsten Teil ihrer Mission haben die USA und Großbritannien nun fast hinter sich. Der Widerstand gegen die westliche Militärübermacht wird immer schwächer, bald dürften im ganzen Land die Waffen schweigen. Dabei beginnt nun erst der schwierigste Teil der Invasion: Die Alliierten müssen ein Land wieder aufbauen, das gesellschaftlich und wirtschaftlich am Boden liegt. Bis der Irak ökonomisch wieder auf eigenen Füßen steht, dürften Jahre, womöglich Jahrzehnte vergehen, warnen Experten. Entsprechend teuer wird der Wiederaufbau: Schätzungen reichen von 25 Milliarden bis hin zu 600 Milliarden Dollar. Doch der Wiederaufbau ist nicht nur wegen des Geldes eine gigantische Herausforderung.

Nach drei Kriegen, zwölf Jahren Embargo, Sozialismus, Diktatur und Misswirtschaft ist die Situation desaströs. Sechs von zehn Irakern hungern, schätzen die UN. Im Krieg wurden zudem zahlreiche Wasser- und Kraftwerke, Straßen und Flugplätze, Schulen und Universitäten beschädigt oder zerstört. Bereits vor dem Überfall der Alliierten lagen Wirtschaftsleistung und Lebensstandard des Irak auf dem Niveau der 70er Jahre. Pro Kopf erwirtschaftet ein Iraker ein Bruttoinlandsprodukt von etwa 1400 US-Dollar – das ist ein Zwanzigstel des deutschen Wertes.

Hohe Schulden hemmen den Aufbau

Wie dem Land geholfen werden kann, darüber zerbrechen sich Experten in den USA und Europa seit Monaten den Kopf. Das wichtigste für den Anfang ist politische Stabilität, sagt Weltbank-Experte Ivar-Andre Slengesol. „In Konfliktsituationen muss als Erstes eine verlässliche Regierung installiert werden, die Grundbedürfnisse wie Gesundheit und Bildung sicherstellen kann“, sagt er. Dann müsse der Weg für ausländische Investitionen geebnet werden, sagt Stephan Kinnemann von der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), der die afghanische Regierung in Wirtschaftsfragen berät. „Der private Sektor muss die entscheidende Kraft beim Aufbau sein.“

Genau das ist das Problem. Denn nicht nur die Infrastruktur hat durch die Bombardements Schaden genommen. „Der Wiederaufbau des Irak ist schwierig und ohne Beispiel“, sagt Rolf Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). „Selbst im zerstörten Nachkriegsdeutschland war dies einfacher zu bewerkstelligen.“ Der Grund: In den Ruinen Nazi-Deutschlands habe es immerhin noch eine funktionierende Verwaltung gegeben. So hätten Häuser und Grundstücke einigermaßen problemlos gehandelt werden können. „Das ist im Irak nicht so. Die wichtigsten Bedingungen für den Aufbau einer Marktwirtschaft – ein verlässliches Rechtssystem, funktionierende Ämter, ein Immobilienmarkt – gibt es dort nicht.“ Für im Exil lebende irakische Fachleute, die beim Aufbau helfen könnten, dürfte es wenig Anreize geben, in das ruinierte Land zurückzukehren, glaubt Langhammer.

Solange diese elementaren Strukturen fehlen, werden ausländische Investoren zögern, Fabriken im Irak aufzubauen. Und aus eigener Kraft dürfte die irakische Wirtschaft kaum erstarken – ihre Struktur ist so eindimensional wie die der Nachbarländer auch. „Die gesamte Golfregion hängt allein am Öl. Industrie oder mittelständische Unternehmen spielen so gut wie keine Rolle“, sagt IfW-Fachmann Langhammer. Auch die finanziellen Mittel dafür fehlen. Zwar entdecken die Alliierten immer wieder Geld, Diamanten und Grundbesitz des Saddam-Regimes. Doch dem stehen Auslandsschulden des Irak in Höhe von schätzungsweise 383 Milliarden Dollar gegenüber, hat das Washingtoner Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) ausgerechnet. Damit ist der Irak das am höchsten verschuldete Land überhaupt. Gut die Hälfte davon sind ausstehende Reparationszahlungen an Kuwait, Saudi-Arabien und mehrere Unternehmen aus dem ersten Golfkrieg 1991. Hinzu kommen Forderungen aus laufenden Verträgen. Die CSIS-Experten plädieren für eine umfangreiche Entschuldung. Frankreich, Russland und Deutschland, das auf 4,3 Milliarden Dollar wartet, wollen davon bisher nichts wissen.

Das Geld muss also vom Ausland kommen. Doch bisher stritten sich die Alliierten noch mit den anderen Nationen, wer den Aufbau finanzieren soll. Auch die Weltbank hat ihre Hilfe angeboten, wartete aber noch auf Antwort aus Washington. Da sich die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industriestaaten – inklusive der USA – am Sonnabend für eine UN-Resolution zum Wiederaufbau Iraks ausgesprochen haben, scheint der Streit nun begelegt.

Die eine Hoffnung: Öl

Die Hoffnung der Iraker ist ihr Öl. Immerhin besitzt das Land die zweitgrößten bekannten Reserven der Welt. Aber derzeit ist es nicht an die Oberfläche zu bekommen. Einige Quellen brennen, bei anderen ist die Fördertechnik „hoffnungslos veraltet“, sagt Manfred Horn, Rohstoffexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Solange neues Gerät fehlt, dürften Ölverkäufe pro Jahr nicht mehr als 32 Milliarden Dollar bringen – zu wenig, um den gigantischen Finanzbedarf des Landes zu decken. Dabei kosten allein Wiederaufbau und Modernisierung der Bohrtürme, Raffinerien und Pipelines laut Horn 40 Milliarden Dollar. Zudem dürften die Opec-Länder ein Auge auf den Irak haben, der mit zu freigiebiger Förderung die Preise für das Öl kaputt machen könnte.

Obendrein warnen Ökonomen, eine zu starke Konzentration auf das Öl könnte gefährlich sein. „Verkauft ein Land fast ausschließlich Öl, steigt der Außenwert der Währung. Andere nationale Branchen werden dann ihre Produkte im Ausland nicht mehr los, weil sie ihre Preise nicht auf Weltmarktniveau drücken können“, erklärt IfW-Vizechef Langhammer. Zugleich werden Importe so billig, dass einheimische Firmen nicht mehr mithalten können.

Düstere Aussichten also für den Irak. Die Alliierten müssen viel Zeit mitbringen, bevor man im Irak von einem funktionierenden Wirtschaftssystem sprechen kann, „mindestens zehn bis 15 Jahre“, meint Langhammer.

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