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Wirtschaft: Ein Motor wie Musik

Gerhard Thoma optimiert Motoren. In einem Tonstudio.

Gerhard Thoma optimiert Motoren. In einem Tonstudio. Gerade steckt er in einem engen Raum und spitzt ein Ohr nach einem Lautsprecher, aus dem das Motorgeräusch eines 3-er BMWs klingt. "Die Tonlage etwas höher", ruft er einem Techniker zu. Auf einem Bildschirm an der Wand klettert der Tonhöhen-Anzeiger und der Klang wird zum Heulen. "Nein, jetzt etwas tiefer", schreit er. Die Maschine lässt ein sportliches Brummen hören. "So tunen wir heute einen Motor", sagt Thoma stolz. "Jetzt wissen unsere Ingenieure genau, was wir wollen."

Thoma designt nicht nur den Klang von Motoren. Nahezu jeder Ton, den ein BMW von sich gibt, gelangt früher oder später an sein Ohr: von den Warnsignalen bei Motorfehlern bis hin zum satten Zuklappen des Handschuhfachs. Er hat dafür zu sorgen, dass die bayerischen Autos so klingen, wie es sich für ein Prestigeobjekt gehört.

Alle Autohersteller der Oberklasse versuchen, ihren Produkten eine eigene Note zu geben, weil sie zunehmend das gleiche leisten und gleich aussehen. Früher hieß Autoakkustik, möglichst viel Dämmmaterial in die Türverkleidung zu stopfen, damit es im Autoinneren ruhig war. Heute steht der Klang für die generelle Qualität eines Wagens.

Die Arbeit erfordert höchste Genauigkeit, sogar für jemanden wie Thoma, der sich extra Kaffeebohnen aus der Schweiz besorgt, weil sie ihm besser schmecken als das Gebräu in der Kantine. Dem 54-jährigen Akustik-Ingenieur hängt immer noch die Frustration über den Klang des Blinkers nach. Wie viele Fahrer fand er das Tick, Tick, Tick etwas ärgerlich, insbesondere bei einer langen Rotphase an der Ampel. Als passionierter Klavierspieler dachte er sich, dass ein paar Takte aus einer Brahms-Symphonie netter klingen sollten.

Das Problem dabei: Die immer gleiche Melodie ging einer Testgruppe aus potenziellen Käufern auf die Nerven. Unverzagt fragte er die Leute, die er extra in einen teuren Privatclub bei Düsseldorf gebeten hatte, was sie von einer Tonleiter hielten. Das gefiel ihnen auch nicht. Wie wäre es mit dem edlen Klacken einer altmodischen Standuhr? Nicht schlecht, waren sich alle einig. Aber wenn man diesen Klang so weit beschleunigte, wie es das Gesetz für den Blinker-Ton verlangt, hörte es sich an wie eine billige Armbanduhr. "Es war ein Desaster", sagt Thoma. "Schlussendlich mussten wir wieder den alten gleichen Klang nehmen".

Wenn man ein Geräusch vollständig beseitigen will, ist die Sache leichter. BMW strebt beispielsweise nach dem Scheibenwischer mit dem perfekten Geräusch. Das Heulen des Wischermotors kann BMW - wie die meisten Autohersteller - mit einer schallschluckenden Polsterung neutralisieren. Aber die Ingenieure bemerkten, dass die Gummilippen des Wischers an den Umkehrpunkten ihrer Bewegung immer noch leicht klatschten.

Durch mehrmonatige Tests fanden sie heraus, dass das Geräusch nur ganz leise auftritt, wenn man den Gummi der Lippe geschmeidig hält. Das ist jedoch schwierig, wenn die Wischer tagelang auf der Scheibe ruhen und langsam deren Form annehmen. Die Lösung: Die Wischermotoren in der neuen 7-er Serie verändern alle paar Tage die Ruheposition der Wischerblätter, so dass die Gummikanten manchmal so stehen wie beim Hochwischen, und manchmal wie beim Herunterwischen.

Dann ist da noch der Lärm, den die Reifen beim Rollen auf der Straße verursachen. Als Thoma die Tür zu einer Akustikkammer öffnet, riecht es leicht nach Gummi und Öl. Der Raum hat etwa die Größe eines kleinen Flugzeughangars und es sieht ein bisschen aus wie in einer mittelalterlichen Folterkammer: Von den Wänden und von der Decke ragen meterlange Schallschlucker.

BMW und andere Hersteller bringen ihre Autos in solche Räume, weil man draußen all das Rasseln, Klappern, Surren und Heulen wegen der Windgeräusche nur schwer exakt messen kann. Die Wagen stehen mit den Hinterrädern auf Rollen, damit sich die Reifen drehen können. Doch die Rollen sind keine einfachen Rollen. Thoma machte sich Sorgen darüber, wie ihre Oberflächenstruktur den Geräuschpegel im Inneren des Autos beeinflussen würde.

"Um die Rollen zu gestalten, sahen wir uns die Qualität der Straßen in ganz Europa an", sagt der Perfektionist. "Deutschland und die Schweiz haben die besten. Aber Belgien - schrecklich! Daher haben wir die Rollen diesen Straßen nachempfunden", erklärt er, während er mit der Hand über die Oberfläche mit den Schlaglöchern reibt. Indem er seinen Test auf die lautesten Straßen Europas abstellt, kann Thoma bestimmen, wie man die Achsaufhängung des Autos anpassen muss, damit es so ruhig wie möglich auf der Straße liegt.

Vor lauter Reifen und Wischern hat Thoma aber auch die Suche nach einem besseren Blinkgeräusch nicht aufgegeben. Seine neueste Idee: Das Klicken muss nahezu verstummen, wenn der Wagen steht. Wenn die Räder dann anrollen, muss der Klang wieder lauter werden. So wird der Fahrer wenigstens nicht belästigt, wenn er in der Abbiegespur wartet. Thoma räumt ein, dass niemand ein Auto wegen des Blinkerklangs kauft. "Aber es ist alles Teil des Eindrucks, den wir erzeugen wollen", sagt er. "Es sind die kleinen Dinge, auf die es ankommt".

Scott Miller

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