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Wirtschaft: Ein Stoff für alle Fälle

Vom Babyschnuller bis zum Weltraumkleber: Silikon ist sehr vielseitig und könnte das Material der Zukunft werden

In Babyschnullern und Raumschiffen, auf Geldscheinen und in Lippenstiften – kaum ein Material kommt so vielseitig zum Einsatz wie Silikon. Bald könnte der Stoff noch häufiger Anwendung finden, Experten sagen ihm eine große Zukunft voraus.

Weltweit wurden im vergangenen Jahr zwei Millionen Tonnen Silikon verbraucht, deren Wert mit acht bis 13 Milliarden Euro beziffert wird. Für Deutschland sind dem Verband der chemischen Industrie zwar keine genauen Zahlen bekannt, Klaus-Peter Paul vom Wacker-Konzern geht aber davon aus, dass der Markt jährlich um fünf bis zehn Prozent wächst. Auch in Zukunft werde dies so bleiben, schätzt der Experte.

Den weltweiten Markt teilen sich nur acht große Hersteller. In Deutschland gehören dazu Wacker – mit Produktionsstandorten im bayerischen Burghausen und im sächsischen Nünchritz – sowie Dow Corning in Wiesbaden. Der Grund für die geringe Zahl: Um Silikon herzustellen, werden sehr spezielle Apparaturen benötigt. „Silikon kann selbst ein Großkonzern nicht einfach nebenher produzieren“, erklärt Professor Norbert Auner von der Universität Frankfurt (Main). So ist zum Beispiel die BASF nicht am Silikon-Geschäft beteiligt.

Im Vergleich zu anderen Massenkunststoffen ist Silikon nicht gerade billig. Je nach Veredelung liegt der Preis zwischen drei und 1000 Euro je Kilo. Der Grund: Die Silikonherstellung ist energieaufwendig. „Das ist die einzige teure Komponente“, sagt Paul. Dennoch habe es Silikon geschafft, andere Stoffe zu verdrängen – etwa Naturkautschuk, PVC oder bestimmte Weichmacher. Doch damit nicht genug: Norbert Auner sieht Chancen für weitere Anwendungsgebiete: „Silikon ist der Werkstoff der Zukunft“, sagt der Chemieprofessor. „Da kommt ein unglaublicher Markt auf uns zu.“ Zwar sei es nicht möglich, einzelne Produkte zu nennen, die aus Silikon entwickelt werden könnten. „Das Material lässt sich aber überall einsetzen, wo Polymere gebraucht werden.“ Dies werde in Zukunft vor allem zu Lasten von Kohlenstoff-basierten Kunststoffen geschehen.

Extrem hitzebeständig

Der Grund für den Erfolg von Silikon: Das Material hat Eigenschaften, die sich von denen anderer Kunststoffe deutlich unterscheiden. „Ein Vorteil von Silikon ist seine Hitzebeständigkeit“, erklärt Paul vom Wacker-Konzern. Temperaturen von minus 100 bis plus 300 Grad würden dem Stoff nichts ausmachen. Deshalb bestehe zum Beispiel Weltraum-Klebstoff aus Silikon. „Andere Materialien würden porös werden“, sagt Paul. Aber auch im täglichen Leben lässt sich Silikon nutzen. So können Babyschnuller aus dem Stoff heiß gewaschen werden – Gummi hingegen macht das nicht lange mit. Brandschutzkabel sind deshalb ebenfalls oft aus Silikon. Selbst die meisten Chemikalien können Silikon nichts anhaben, weswegen sich der Stoff gut für Schutzbehälter eignet.

Daneben hat Silikon den Vorzug, Wasser abzuweisen. Bei Backformen zum Beispiel entfällt das lästige Einfetten – an Silikon bleibt ohnehin nichts haften. Mit Handschuhen aus Silikon kann man sogar in kochendes Wasser fassen, ohne sich zu verbrühen. Auch in Farben oder Lacken kommt das Material zum Einsatz: „Einem Hausanstrich aus Silikon macht das Wetter nichts aus – die Fassade bleibt fast von alleine sauber“, erklärt Paul. Dasselbe Prinzip findet auch bei Textilien Anwendung: Mit Silikon lassen sich Kleidungsstücke wasserdicht imprägnieren.

Schon bei der Herstellung arbeitet die Textilindustrie mit dem Wundermittel. „Silikon-Öl hat eine hervorragende Gleiteigenschaft. Wird es auf einen Faden aufgetragen, lässt er sich wesentlich schneller weben“, sagt Paul. Auch zu Hause könne dieser Vorzug genutzt werden: „Klemmende Schubladen lassen sich mit Hilfe von Silikonspray aus dem Baumarkt wieder in Bewegung setzen.“ Daneben kann Silikon auch raffinierte Farbwechsel erzeugen – je nachdem, wie das Licht einfällt. „Es gibt zum Beispiel Autolacke, bei denen man nie genau sieht, ob sie grün oder blau sind“, berichtet Paul. Auch bei den Farbstreifen auf Geldscheinen werde diese Charakteristik genutzt.

Eines der Hauptanwendungsgebiete von Silikon ist die Medizin. Neben Brustimplantaten kommt der Stoff auch in Beatmungsgeräten oder Drainagen zum Einsatz. Gesichtsprothesen sind ebenfalls oft aus Silikon. Der Vorteil: Das Material ist sehr elastisch und passt sich seiner Umgebung perfekt an. Paul zufolge spricht auch die „physiologische Unbedenklichkeit“ für Silikon. Nebenwirkungen habe der Stoff keine, auch könne er keine Allergien auslösen. Im Gegenteil: Silikon kann sogar gesund sein. So werden Medikamente zum Schutz mit Silikon-Harz umhüllt. Selbst als Wirkstoff wird Silikon eingesetzt – zum Beispiel gegen Blähungen. Getränkehersteller nutzen es, um die Schaumbildung zu reduzieren. Mitarbeiter der Technischen Hochschule Aachen forschen derzeit sogar an einer künstlichen Hornhaut aus Silikon, mit deren Hilfe Blinde wieder sehen können sollen.

Schadstoffreiche Katalysatoren

„Dass Silikon in Verruf geraten ist, liegt nur an undichten Implantat-Verpackungen“, sagt Paul. Auslaufende Brustimplantate können zu gefährlichen Gesundheitsschäden führen. Doch auch die Zeitschrift Ökotest bestätigt: Die häufige Kritik an Silikon richtet sich nicht gegen den Stoff selbst, sondern gegen schadstoffreiche Katalysatoren, die Produkten wie Silikon-Fugenmasse beigemischt werden. Auf die Haut aufgetragen bewirkt Silikon laut Paul sogar kleine Wunder: „Hautcremes aus dem Material glätten Falten“, sagt er. In Lippenstiften oder Haarsprays soll Silikon für besonderen Glanz sorgen. In Parfüms steckt ebenfalls Silikon – als Lösungsmittel beeinträchtigt es anders als Alkohol nicht die Duftnote.

Dass bei diesen Vorzügen der Bedarf an Silikon beständig steigt, verwundert nicht. Eine Verknappung des Angebots an Silikon ist aber trotz der steigenden Nachfrage nicht zu befürchten. Denn ein Grundstoff des Silikons ist Silizium – und das steht als Sand fast unbegrenzt zur Verfügung.

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