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Wirtschaft: Ein Totengräber wird zum Wunderheiler

Zum Schicksal eines Konkursverwalters gehört es, daß er stets zu spät kommt.Jobst Wellensiek ist der Star eines gutverdienenden Gewerbes.

Zum Schicksal eines Konkursverwalters gehört es, daß er stets zu spät kommt.Jobst Wellensiek ist der Star eines gutverdienenden Gewerbes.Anders als die meisten seiner Kollegen erhält der Jurist die Unternehmen, statt sie zu zerschlagen.Doch der Erfolg ist nicht immer von Dauer - wie der Fall Maxhütte zeigt.

Müde sitzt Jobst Wellensiek in einem Büro in der vornehmen Heidelberger Weststadt.Für einen Moment schickt er den obersten Knopf seines Hemdes in die Arbeitslosigkeit, lockert den perfekt gebundenen Krawattenknoten, massiert sich die Augen und sagt: "Man muß sich nichts vormachen, als Konkursverwalter steht man unter Dauerstreß, lebt ständig aus dem Koffer."

Morgen um fünf in der Früh geht es wieder los in Richtung Sulzbach-Rosenberg.Drei Stunden Autofahrt, vielleicht auch vier.Um zehn das erste Meeting mit zwei Bankern, um elf das zweite mit dem Betriebsrat.Dann Mittagspause, ruckzuck, höchstens eine halbe Stunde.Denn um eins wartet schon die Geschäftsführung.Und am Nachmittag das Kreisparlament.Jobst Wellensiek kann sich noch so sehr beeilen und noch so viele Termine an einem einzigen Tag wahrnehmen - sein Schicksal ist, daß er immer zu spät kommt."Meist ist es nicht mehr fünf nach zwölf, wenn ich gerufen werde, sondern schon halb eins."

Das ist in Sulzbach-Rosenberg derzeit nicht anders.Die Neue Maxhütte Stahlwerke GmbH steht am Abgrund, und der 67jährige ist mal wieder als Krisenmanager unterwegs; auf ihn setzen fast 1500 Arbeitnehmer in der Oberpfalz.Nach 1987 wurde er nun zum zweiten Mal zum Insolvenzverwalter des maroden Stahlwerks bestellt und führt seit Mitte November die Geschäfte.Seine Aufgabe: die Sanierung des Unternehmens.

Seit seinem ersten Auftritt in der rauhen Gegend am Rande der Republik sehen ihn viele aus der Belegschaft als eine Art Wunderheiler für kranke Unternehmen.Denn damals gelang es ihm in fast dreijähriger Arbeit, die Existenz des größten Arbeitgebers vor Ort zu retten.Das wird auch jetzt wieder erwartet."So mancher Betriebsrat und Arbeitnehmer", berichtet der Jurist, "schließt mich in sein Gebet mit ein."

Das sei schon sehr merkwürdig, sagt Wellensiek, um dessen Lippen stets ein leichtes Lächeln spielt, denn eigentlich sei es sein Job, bankrotte Unternehmen nach Geld, brauchbaren Maschinen und Grundstücken zu durchsuchen, um den Gläubigern wenigstens einen Teil ihrer Forderungen zu erhalten.Ein gnadenloses Geschäft: denn was keinen Käufer findet, werde auch von ihm "abgewickelt" - sprich: geschlossen, abgerissen, weggeworfen.Und weil das so ist, umgibt einen Konkursverwalter normalerweise die Aura eines Totengräbers.Übernimmt indes Wellensiek einen Fall, schlägt Frustration schnell in Euphorie um.Wenn mal wieder ein Hilferuf kommt, hält es Wellensiek wie der TV-Kaufhauskönig Bellheim, der mit routinierten und kenntnisreichen Geschäftsfreunden sein Imperium rettete.Wellensiek, dessen Kanzlei 80 Mitarbeiter umfaßt, trommelt ein Team externer freier Spezialisten zusammen, die er mit Vorliebe unter schon pensionierten Vorständen oder Geschäftsführern mit der entsprechenden Branchenerfahrung anheuert.Auch so ähnelt Wellensiek dem von Mario Adorf gespielten Bellheim.Ruhig und charmant in seiner Art, stilvoll im Auftritt, mit besonderem Verhandlungsgeschick ausgestattet, liebt der bullige Mann gutes Essen und guten Wein.

Einem wie Wellensiek vertrauen die Leute.Dabei hat auch er, der in vier Aufsichtsräten und im Beirat der Treuhand-Nachfolgerin BvS sitzt, schon Niederlagen einstecken müssen: etwa beim CD-Hersteller Pilz oder bei der Bayerischen Zellstoff GmbH - beide Firmen ließen sich nicht mehr retten.Trotz mancher Fehlschläge gilt er als Star der kleinen Riege bundesweit bekannter Konkursverwalter.Er selbst mag das nicht hören und bringt die anderen großen Namen seiner Zunft ins Gespräch: Metzeler und van Betteray in Düsseldorf, Grub und Ringwald in Stuttgart.

Sie alle haben eins gemein, sie arbeiten zumeist nach der Devise: nicht zerschlagen, sondern fortführen, nicht zerfleddern, sondern sanieren.Dies unterschiedet sie von der Mehrheit der rund 1000 Insolvenzverwalter in Deutschland, denen meist nicht mehr einfällt, als heruntergewirtschaftete Betriebe zu liquidieren.Wellensiek bevorzugt die "übertragende Sanierung".Deren Ziel ist es, den Geschäftsbetrieb des Konkursgläubigers möglichst als Ganzes auf einen neuen Eigner zu übertragen und damit in seiner Grundstruktur zu erhalten.Seine oberste Maxime lautet: "Sicherung von Arbeitsplätzen".

Mehr als 400 Insolvenzfälle hat Wellensiek bisher geregelt.Viele spektakuläre Einsätze waren darunter, etwa beim Bremer Vulkan-Verbund, dem größten Konkursfall der deutschen Wirtschaftsgeschichte, und bei den Klöckner-Werken, als er die Gläubiger bewegte, auf 1,4 Mrd.DM zu verzichten.Und auch bei der Maxhütte leitete Wellensiek schon einmal für drei Jahre das operative Geschäft.Kritik an seinem ersten Auftritt in Sulzbach, bei dem es ihm ja offensichtlich nicht gelungen war, eine dauerhafte Lösung zu finden, wischt er weg: "Als ich die Maxhütte 1993 das erste Mal verkauft habe, war die Firma weitestgehend gesund."

Daß es diesmal schwerer werden wird, räumt Wellensiek ein."Eine derartige Schlacht, wie sie derzeit bei der Maxhütte zwischen Belegschaft und dem bisherigen Eigentümer Max Alicher herrscht, habe ich in meiner ganzen Laufbahn noch nicht beobachtet", sagt er.

Er nennt sich selbst einen "unverbesserlichen Optimisten" - und Optimismus versucht er auch den Belegschaften einzuimpfen, wenn ihre Firma vom Konkurs bedroht ist.Auf der Betriebsversammlung der Maxhütte rief er den Arbeitern und Angestellten zu: "Ich werde dafür kämpfen, das Unternehmen und seine Arbeitsplätze soweit wie möglich zu erhalten." Wenn er so spricht, sieht sich Wellensiek als Geschäftsführer oder Vorstand auf Zeit, versteht sich als Unternehmer mit allen Rechten und Risiken.

Und die sind beträchtlich - gerade bei der von ihm bevorzugten übertragenden Sanierung.Denn der Insolvenzverwalter haftet persönlich für alle Verbindlichkeiten, die er nach Eröffnung des Verfahrens eingeht, ohne daß Masse dafür zur Verfügung steht.Ständig sitzen ihm deshalb die Gläubiger im Nacken: Finanzamt und Lieferanten, Banken und Krankenkassen.Dafür verdient er auch nicht schlecht.Grundsätzlich gilt: Der Konkursverwalter bekommt ein halbes Prozent vom Wert der Konkursmasse, sofern diese eine Million DM übersteigt.Für sieben Monate Arbeit bei den Klöckner-Werken soll er über zehn Mill.DM erhalten haben.

Was reizt ihn an seinem Job sonst? "Die Mischung aus Steuer- und Unternehmensberatung, aus Juristerei und Unternehmertum", sagt der promovierte Jurist Wellensiek.Streß pur? "Schon", sagt Wellensiek, Vater von vier Kindern und in zweiter Ehe lebend, "aber den brauche ich auch." So bearbeitet er parallel zum Maxhütte-Verfahren noch den Vulkan."Das wird sich noch ein paar Jährchen hinziehen, bis wir die Bücher schließen können."

PETER BRORS (HB)

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