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Wirtschaft: „Eine große Koalition wäre jetzt das Beste“

Spieltheoretiker geben Empfehlungen für zügige Reformen

Berlin. Der Reformdruck in Deutschland wächst, die Machtverhältnisse haben sich nach den Landtagswahlen verschoben, die politischen Spieler in Regierung und Opposition überdenken ihre Strategien. „Es ist wie beim Schachspielen“, sagt Reinhard Selten, Bonner Wirtschaftswissenschaftler, der 1994 den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Studien in der formalen Spieltheorie erhielt. „Ein guter Schachspieler muss sich auch überlegen, welche Strategie sein Gegner wählen könnte – wenn er nicht böse überrascht werden will.“ Aber: Niemand kann an alles denken. Und zumal im politischen Leben sind böse Überraschungen an der Tagesordnung. Welche Empfehlungen kann die Spieltheorie geben?

Die Wissenschaft hat für zahlreiche Szenarien Modelle entwickelt, in denen zwei oder mehr Parteien in Verhandlungen treten müssen, um ein vorteilhaftes Ergebnis zu erzielen. Dabei geht die klassische Spieltheorie von rationalen Akteuren aus. Eine Annahme, die Selten und andere Wissenschaftler erweitert haben, um die Theorie der Realität anzunähern. Die moderne Spieltheorie setzt nur eingeschränkte Rationalität voraus und nimmt an, dass die Akteure nicht über alle Informationen verfügen, die nötig wären, um ein für beide Seiten optimales Ergebnis zu erzielen. Aus Eigeninteresse kommt es deshalb häufig zu suboptimalen Resultaten, die am Ende weder den Einzelspielern noch der „Gesellschaft“ im Ganzen nützen.

„Beide Volksparteien, CDU und SPD, können der Versuchung nicht widerstehen, relativ destruktiv zu sein, wenn sie sich in der Opposition befinden“, sagt Ernst Fehr, Direktor des Instituts für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich. Die Spieler blockieren sich gegenseitig und geben gleichzeitig dem Druck ihrer Interessengruppen nach – Reformen am Arbeitsmarkt und im Gesundheitswesen bleiben auf der Strecke. „Es geht jetzt darum, festgefahrene Interessen in die Schranken zu weisen“, sagt Fehr. So sei die SPD-Führung bei der Arbeitsmarktreform weiter als weite Teile der Partei. Und die CDU-Spitze wolle bei der Gesundheitsreform mehr, als die Gesundheitslobby zulasse. „Zuerst ist aber an die Gewerkschaften zu denken“, meint Reinhard Selten. Sie schützten ihre Besitzstände zurzeit am stärksten. „Aber es wird keine Lösung geben, die alle Besitzstände aller Spieler wahrt.“

Es sitzen also mehr als nur zwei Spieler am Reformtisch. Und anders als in der Theorie haben die zahlreichen Spieler in der Praxis ein Bündel möglicher Strategien und Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie können miteinander reden, sie können das Spiel wiederholen und sie können Vertrauen zueinander aufbauen. Ohne „ein minimales Vertrauen in ein gemeinsames Reformprojekt“ und die Gewissheit, in der nächsten Spielrunde nicht über den Tisch gezogen zu werden, komme bei den Verhandlungen nichts heraus, sagt Ernst Fehr. Wichtigster Unterschied zum spieltheoretischen Szenario: Beide Seiten sind bestens über die Motive der Gegenseite informiert. Gute Voraussetzungen also.

Die Wissenschaftler kommen angesichts dieses Szenarios zu dem Schluss: Das deutsche „Reformspiel“ kommt am schnellsten zu einem Ergebnis, wenn die großen Parteien jetzt ganz auf Konsens setzen. „Eine Große Koalition wäre jetzt das Beste“, sagt Reinhard Selten. Böse Überraschungen müssten bei diesem Spielausgang alle Beteiligten zusammen ausbaden – bei der nächsten Bundestagswahl.

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