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Wirtschaft: Eine gute Gesellschaft?

John Kenneth Galbraith: Die solidarische Gesellschaft.Verlag Hoffmann und Campe.

John Kenneth Galbraith: Die solidarische Gesellschaft.Verlag Hoffmann und Campe.Hamburg 1998.160 Seiten.39,80 DM

Dieses Buch wird viele begeisterte Leser finden.Dafür bürgt nicht nur der Name des Autors - John Kenneth Galbraith, vom Verlag als der "große alte Mann der Wirtschaftswissenschaften" geadelt, der am 15.Oktober 90 Jahre alt wird.Mehr noch der Titel, "Die solidarische Gesellschaft", verheißt gerade nach dem Regierungswechsel in Bonn und dem Aufbruch in eine neue Republik eine gläubige Leserschaft.

Dieses Buch wird noch mehr verärgerte Leser finden.Sinnvollerweise hätte der Verlag den weit anmaßenderen Titel des Originals "Die gute Gesellschaft" übernommen.Dann wäre dem Käufer klargeworden, worauf er sich einläßt: auf das Glaubensbekenntnis eines Altliberalen, auf eine Art Wahlprogramm der US-Demokraten aus dem Jahr 1996, nun ins Deutsche übertragen und in seiner Weltverbesserungsbeliebigkeit auch der neuen deutschen Mitte des Jahres 1998 auf den Leib geschrieben.

Mehr Umverteilung und Sozialpolitik, eine keynesianische Fiskalpolitik, eine großzügige Immigrationspolitik, stabile Wechselkurse, auf lange Sicht eine internationale Behörde mit sozial- und fiskalpolitischen Kompetenzen - das sind die Kennzeichen einer solidarischen (Welt-)Gesellschaft, will man Galbraith Glauben schenken.Über das Potpourri seiner altbekannten gesellschaftspolitischen Wunschträume geht der Ökonom, der seit Franklin Roosevelt allen demokratischen US-Präsidenten als Berater und in Regierungsämtern diente, jedoch nicht hinaus.Schmerzlich vermißt der Leser, daß sich der Autor mit seinen Thesen näher auseinandersetzt, daß er sie auch sozialphilosophisch begründet.Wenn der Ökonom etwa die Macht der Reichen in der Demokratie anprangert, reicht als Beleg dafür einfach nicht aus, daß die Armen in den USA kaum zur Wahl gehen, was, nebenbei bemerkt, für Deutschland nicht gilt.

Ärgerlicher ist noch, wie nonchalant Galbraith, der über 50 Jahre in Harvard Nationalökonomie lehrte, gängige und empirisch gesicherte Grunderkenntnise der Lehre von der Wirtschaft übergeht.Da ist die steile Progression der Einkommensteuer, mit der die Reichen belastet werden, kein Hemmnis für mehr Wachstum, weil sich die Reichen bei höherer Belastung ja mehr anstrengen werden.Da sind Subventionen allein deshalb abzubauen, weil sie die Unternehmen begünstigen, die Galbraith mit "den Reichen" gleichsetzt, nicht aber weil sie nur unrentable Arbeitplätze erhalten und so den Arbeitnehmern eine falsche Sicherheit vorgaukeln.Und da sind gesetzliche Mindestlöhne unverzichtbar, weil Widerstand dagegen ja doch nur von denen käme, die sie bezahlen müßten.Daß Mindestlöhne auch Arbeitslosigkeit hervorrufen, weil sie manche Beschäftigung zu teuer machen, kommt Galbraith nicht in den Sinn.

Galbraith macht eben nicht, wie es im Einband heißt, "den Menschen wieder zum Maßstab politischen Handelns", im Gegenteil: Er vernachlässigt den Einzelnen zugunsten seines Wunschbilds einer schönen neuen Welt.Wie sonst könnte er erneut den "belanglosen und überflüssigen Konsum" der Reichen attackieren, wo doch den Regierungen hinten und vorne das Geld fehlen würde.Verräterisch ist auch das sprachliche Detail: Selten spricht Galbraith von individuellen Wünschen und Präferenzen, immer aber vom Interesse der "guten Gesellschaft".In der solidarischen Welt des Kenneth Galbraith haben sich die Menschen der Gesellschaft unterzuordnen.Treffsicher charakterisierte Milton Friedman dereinst Galbraith als moderne Variante eines radikalen Tories im Großbritannien des 19.Jahrhunderts - ein Aristokrat alter Schule, mit sozialer Einfühlsamkeit von oben herab das Wohl der Gesellschaft festlegend, ein Anti-Liberaler, wenn man den Begriff "liberal" im europäischen Sinne versteht.

Vom staatsgläubigen Optimismus des "New Deal", der Gründung des US-Wohlfahrtsstaates, hat sich Galbraith in seinem 31.Buch nicht verabschiedet.Menschen kommen da nur in drei Spezies vor: Reiche, die vergnügungssüchtig und habgierig sind, Arme, denen zu helfen ist, und Politiker, die das Ganze schon richten werden.Die Geschichte des Wohlfahrtsstaates aber lehrt, daß Regierungen auch nicht entfernt dem paternalistischen Ideal entsprechen, daß Galbraith vor Augen hat.Lester Thurow, selbst in Harvard lehrend, hat Galbraith als Ökonomen außerhalb des wissenschaftlichen Mainstreams, aber innerhalb der ökonomischen Geschehnisse stehend bezeichnet.Treffender wäre es, ihn einfach einen Politiker zu nennen.

PATRICK WELTER

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