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Wirtschaft: „Eine höhere Mehrwertsteuer wäre das kleinere Übel“

Sparkassenpräsident Dietrich Hoppenstedt über die Politik der Bundesregierung , Reformen bei den Sparkassen und die Bankgesellschaft

Herr Hoppenstedt, die Stimmung in Deutschland befindet sich auf einem Tiefpunkt, die Regierung scheint alles falsch zu machen . . .

Der Start in die neue Legislaturperiode war alles andere als glücklich. Ich habe Verständnis dafür, dass die Regierung die gegenwärtigen hohen Steuerausfälle nicht einfach nur durch zusätzliche Staatsverschuldung auffangen will. Man darf aber nicht – wie das gegenwärtig geschieht – an jeder Steuerschraube drehen, ohne die Auswirkungen zu beachten oder zu kennen.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Besteuerung der Wertzuwächse bei Wertpapieren. Dieses Vorhaben hat auf die Bereitschaft, in Aktien zu investieren, sehr negative Auswirkungen. Es gibt eine große Zurückhaltung der Anleger. Das betrifft nicht nur den einzelnen Bürger. Es wird für die Unternehmen in Zukunft schwerer werden, an den Börsen Kapital aufzunehmen.

Das lähmt den Aufschwung . . .

Nicht nur diese Maßnahme würde die wirtschaftliche Dynamik behindern. Nehmen Sie die Diskussion über Verlustvorträge und Verlustübernahmen. Wenn in Zukunft bei einer Fusion die übernehmende Gesellschaft nicht mehr die Verluste der anderen Gesellschaft steuermindernd anrechnen darf, bedeutet dies eine massive Behinderung des Strukturwandels in Deutschland.

Was schlagen Sie vor?

Das Erste ist der Kassensturz. Den hat die Regierung im Steuerbereich gemacht. Bei den Sozialversicherungssystemen steht er noch aus. Dann müssen wir sehen, dass wir aus dem Tal herauskommen und dabei alle nach ihren Möglichkeiten an den Lasten tragen. Es reicht aber nicht, nur den Mangel gerecht zu verteilen. Entscheidend ist, dass wieder Wachstum in Gang kommt. Das geht nur, wenn den Bürgern Freiräume gegeben werden. Wenn die Bürger den Eindruck haben, gegängelt zu werden, dann reagieren sie mit Kaufzurückhaltung. Diese Spirale nach unten muss vermieden werden.

Gibt es so etwas?

Die diskutierten Kontrollmitteilungen gehören in diese Kategorie. Wir haben vom ersten Tag an die Einführung der Abgeltungssteuer (siehe Lexikon), also der endgültigen Besteuerung an der Quelle, vorgeschlagen. Damit wird das dem Staat zustehende Steueraufkommen gesichert, ohne Kapitalflucht auszulösen. Mittelfristig profitieren davon der Fiskus, die Märkte und die Anleger.

Reicht das?

Ich würde mir weitere mutige Schritte wünschen. Es ist richtig, Subventionen aus dem Steuerrecht herauszunehmen. Im Gegenzug müssen aber die Steuersätze gesenkt werden. Und wenn der Staat aktuell hohen Finanzbedarf hat, sage ich: Statt der vielen anderen Maßnahmen wäre die Anhebung der Mehrwertsteuer das kleinere Übel.

Dagegen wehrt sich der Handel . . .

Sicherlich hat eine Anhebung der Mehrwertsteuer negative Auswirkungen auf den Konsum. Es ist aber besser als Erhöhungen direkter Steuern, die die Leistungsbereitschaft der Menschen mindern.

Diskussionen über Strukturen gibt es derzeit auch hinsichtlich der Sparkassen. Braucht jede Stadt, braucht jeder Landkreis eine eigene Sparkasse?

Die Nähe zu den Menschen und den Unternehmen ist für uns wichtig. Wir wollen und müssen auch in Zukunft alle Teile der Wirtschaft und der Bevölkerung mit modernen Bankdienstleistungen versorgen. Dazu müssen wir in den Regionen breit aufgestellt sein. Die aktuellen Geschäftszahlen zeigen: Dieses Geschäftsmodell ist anderen überlegen. Aber auch wir müssen uns ständig überprüfen.

Wovon gehen Sie aus?

Die gesamte deutsche Wirtschaft hat in den vergangenen zwölf Jahren eine andere Entwicklung genommen als andere Industrienationen. Wir haben mit der Wiedervereinigung ein Sonderkonjunkturprogramm bekommen, gefolgt von einer Börsenblase und der InternetEuphorie. Das hat die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland deutlich überlagert. Deshalb liegen wir bei den Veränderungsprozessen im europäischen Vergleich zurück. Nehmen Sie die Kapitaldeckung in der Alterssicherung. England ist uns da sechs, sieben Jahre voraus.

Und in der Kreditwirtschaft?

Auch bei uns besteht Nachholbedarf. Wir haben jetzt einen erheblichen Margendruck, und schließlich wirkt sich auch die schlechte konjunkturelle Lage aus. Das bedeutet für die Kreditinstitute erhöhte Risiken und Wertberichtigungen. Großer Abschreibungsbedarf ist bei allen Finanzdienstleistern zudem durch die aktuelle Entwicklung an den Börsen entstanden. Die deutschen Kreditinstitute erleben das schwierigste Jahr in der Nachkriegsgeschichte.

Wie wollen die Sparkassen gegensteuern?

Die Sparkassen-Finanzgruppe hat ein Strategiepapier verabschiedet, das die Ziele ganz klar definiert. Wir müssen unsere Erträge steigern, die Kosten senken und die Zusammenarbeit im Verbund optimieren.

Wie soll das konkret geschehen?

Wir haben 50 Millionen Kunden und damit die beste Ausgangslage zur Überwindung der derzeitigen Probleme. Nehmen Sie nur die Finanzierung des Mittelstandes: Hier nehmen wir den anderen Gruppen ständig Marktanteile ab. Wir setzen auf Ausbau, nicht Abbau. Dennoch sage ich deutlich: Insolvenzen können wir nicht verhindern. Wenn ein Unternehmen im Wettbewerb nicht bestehen kann, lässt sich das mit Krediten nicht abwenden.

Wie sieht es mit den Kosten aus?

Wir wollen die Kosten um zehn Prozent senken. Wir erreichen dies, indem sich jedes Unternehmen unserer Gruppe stärker auf die Kernkompetenzen konzentriert. Die Sparkassen auf den Vertrieb, die Landesbanken, öffentlichen Versicherer, die Deka und andere mehr auf die Produktentwicklung und Auftragsabwicklung. Bündelung ist das Ziel. Wir müssen aber auch die Dichte des Zweigstellennetzes überprüfen.

Also hat der Präsident der privaten Banken, Rolf Breuer, Recht, der sagt, jede zweite Bankfiliale müsse geschlossen werden, und dies träfe in erster Linie Sparkassen und Genossenschaftsbanken?

Da werden vor allem eigene Wünsche formuliert. Schon heute verschwindet hier zu Lande jeden Tag eine Bank durch Fusion oder Verkauf, jeden Tag werden zwei bis drei Zweigstellen geschlossen. Die Hälfte davon entfällt auf den Sparkassenbereich. Mit der Mär, es fände kein Strukturwandel statt, sollte man also aufräumen.

Breuer hat den Sparkassen auch Kooperationen angeboten. Wie stehen Sie dazu?

Die Verbraucher wollen möglichst viel Wettbewerb. Im harten Wettbewerb fühlen wir uns sehr wohl. Deshalb sind nur im wettbewerbsneutralen Bereich, dem so genannten Back Office, Kooperationen denkbar. Dies kann aber nicht so laufen, dass wir die Mengengerüste einbringen und die privaten Banken davon profitieren. Wenn die Deutsche Bank beispielsweise ihr Wertpapiergeschäft teilweise über eine eigene Plattform und damit an der Deutschen Börse vorbei abwickelt, dann widerspricht dies dem, was Herr Breuer an anderer Stelle fordert.

Eine Kooperation der besonderen Art könnte den Sparkassen in Berlin drohen. Möglicherweise wird die Bankgesellschaft und damit auch die Sparkasse an einen privaten Investor verkauft. Braucht Berlin eine öffentlich-rechtliche Sparkasse?

Man muss wissen: Ohne die Sparkasse wird es eine andere Art der kreditwirtschaftlichen Versorgung geben. Heute sind die Bürger und Unternehmer dieser Stadt eine breite kreditwirtschaftliche Versorgung ohne Ausschluss einzelner Kundengruppen gewohnt. Mit derartigen Geschäftsphilosophien lassen sich die Renditeerwartungen privater Investoren nur schwer vereinbaren.

Die US-Investoren, die sich um die Bankgesellschaft bewerben, haben versichert, dass sie sich auf die mittelständische Wirtschaft konzentrieren und das Geschäft mit den privaten Kunden stark ausbauen wollen.

Ich will und kann nicht über die potenziellen Investoren urteilen. Gehört habe ich dies auch, allein mir fehlt der Glaube. Und Belege, dass dies wirklich so stattfinden wird, kenne ich nicht. Der Senat und das Abgeordnetenhaus müssen eine Entscheidung treffen, die weitreichende Auswirkungen für die Stadt hat. Es geht um mehr als die Frage: Wie werde ich ein lästiges Problem los?“

Sind die Sparkassen weiter gesprächsbereit?

Aus eigenem Interesse, aber auch im Interesse des Finanzplatzes Berlin sind wir immer bereit, an einer konstruktiven Lösung für die Sparkasse und die Landesbank mitzuwirken. Die Fehlentwicklungen in Berlin in den vergangenen 15 Jahren zu korrigieren, würde allerdings unsere Möglichkeiten überschreiten.

Sie wären also auch zu einer Kooperation mit US-Investoren bereit?

Natürlich spricht jeder mit jedem über solche Fragen, aber die Intensität der Gespräche sollte nicht überbewertet werden.

Das Gespräch führten Bernd Hops und Daniel Rhée-Piening.

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