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Wirtschaft: „Eine radikale Steuervereinfachung wird es nicht geben“

Die Präsidentin des Bundesfinanzhofs, Iris Ebling über die rechtlichen Grenzen der Reform und die immer schlechtere Qualität der Gesetze

Frau Ebling, wer macht bei Ihnen zu Hause eigentlich die Steuererklärung?

Mein Mann. Er ist ebenfalls Steuerrechtler.

Leider wird sich Ihr Mann wohl auch weiterhin durch das Steuerdickicht kämpfen müssen. Die Idee des CDU-Finanzexperten Friedrich Merz, die Steuern so zu vereinfachen, dass man die Steuererklärung auf dem Bierdeckel machen kann, scheint ja wohl erst mal vom Tisch zu sein …

Friedrich Merz wollte ja nicht, dass man seine Steuererklärung künftig auf einem Bierdeckel aufschreibt, sondern er wollte erreichen, dass jeder seine Steuerbelastung auf einem Bierdeckel ausrechnen kann. Aber eines wird immer vergessen: Die Steuersätze sind das eine, aber das Wesentliche ist doch die Bemessungsgrundlage, also die Frage, auf welche Beträge die Leute überhaupt Steuern zahlen müssen. Und hier können Sie kaum einfache, pauschale Lösungen vorschreiben.

Aber selbst bei den Steuersätzen kommt nichts Revolutionäres heraus. Alle Parteien betonen, dass sie die Steuern senken und die Tarife vereinfachen wollen. Aber dann stellen sie fest, dass die Steuereinnahmen nicht reichen oder dass sie bestimmte Wählergruppen verprellen. Glauben Sie daran, dass wir in absehbarer Zeit noch eine wirkliche Steuervereinfachung erleben werden?

Ich glaube schon. Die Zeit ist reif dafür. Das Steuerrecht ist heute in aller Munde. Vor zehn Jahren hat sich niemand für Steuern interessiert, aber heute reden selbst Schauspieler in Interviews über die Steuerreform. Allerdings dreht sich die Diskussion immer nur um die Steuersätze. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass die Steuersätze immer noch zu hoch sind.

Wie passt das zusammen: Das Steuerrecht soll vereinfacht werden, zum anderen sollen Leistungen aus der Renten- und Krankenversicherung herausgelöst und steuerfinanziert werden?

Man sollte das Steuerrecht von gesellschaftspolitischen Zielen frei halten und den Betroffenen lieber direkte Subventionen geben.

Wie weit dürfte der Gesetzgeber das Steuersystem vereinfachen? Könnte die Politik beispielsweise beschließen, dass es nur noch drei Steuersätze gibt und im Gegenzug alle Vergünstigungen und Steuerabschreibungen gestrichen werden?

Das wäre nicht zulässig. Die Besteuerung richtet sich nach der Leistungsfähigkeit des Einzelnen. Wenn Sie Aufwendungen haben, um Einnahmen zu erzielen, dann kann man Ihnen nicht vorschreiben, dass Sie Ihre Aufwendungen nur zum Teil absetzen können.

Das heißt: Eine wirklich radikale Vereinfachung des Steuersystems wäre gar nicht zulässig?

Eine radikale Vereinfachung, wie sie in der Vergangenheit diskutiert worden ist, wird es nicht geben.

Verstößt ein Steuersystem, das auf den Einzelfall keine Rücksicht nimmt, gegen das Gerechtigkeitsprinzip?

Wahrscheinlich ja. Bei Gewerbetreibenden kann man gar keine pauschalen Lösungen finden, weil jeder Betrieb anders ist. Und auch bei Arbeitnehmern kann man nicht einfach vorschreiben, dass sie ihre Belastungen nur im Rahmen einer festgelegten Pauschale absetzen können und keine weiteren Werbungskosten geltend machen können.

Seit Anfang des Jahres können Pendler ihre Kosten nur noch eingeschränkt von der Steuer absetzen. Viele Arbeitnehmer, die im Vertrauen auf die Kilometerpauschale aufs Land gezogen sind, fühlen sich jetzt betrogen. Zu Recht? Wie weit geht der Vertrauensschutz?

Es gibt einen Vertrauensschutz, aber dem steht natürlich immer das Interesse des Staates entgegen, an Geld zu kommen. Beides muss man gegeneinander abwägen. Jemand, der ins Umland zieht, kann nicht auf ewig darauf vertrauen, dass steuerlich alles beim alten bleibt und der Gesetzgeber für die Zukunft keine neuen Regeln festlegt.

Bei Immobilienverkäufen hatte der Gesetzgeber aber nicht nur für neue, sondern auch für laufende Fälle die Frist verlängert, während der Verkäufer Spekulationsgewinne versteuern muss. Der Bundesfinanzhof hat das Gesetz jetzt als verfassungswidrig eingeschätzt und das Bundesverfassungsgericht angerufen. Hat die Frage grundsätzliche Bedeutung?

Ja, denn es gibt noch andere Regelungen, bei denen sich ebenfalls die Frage der Rückwirkung stellt – etwa bei den Abfindungen. Viele Arbeitnehmer hatten mit ihren Arbeitgebern langfristige Verabredungen getroffen, bei denen die günstigen Steuerregeln eine wichtige Rolle gespielt hatten. Dann hat der Gesetzgeber plötzlich zum 31. März 1999 das Gesetz geändert, und die Arbeitnehmer hatten das Nachsehen. Wir haben in dieser Sache ebenfalls das Bundesverfassungsgericht eingeschaltet.

Auch die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Wertpapierverkäufen liegt beim Bundesverfassungsgericht. Landen immer mehr Steuergesetze in Karlsruhe, weil Sie die Regeln für verfassungswidrig halten?

Die Fälle haben sich in der letzten Zeit gehäuft. Das muss ich schon sagen.

Sind die Gesetze schlechter geworden?

Sie sind handwerklich nicht mehr so gut gemacht, weil sie häufig unter erheblichem Zeitdruck entstehen. Nehmen Sie doch mal den letzten Dezember: Innerhalb von 14 Tagen sind allein sechs neue Gesetze geschaffen und durch den Vermittlungsausschuss gejagt worden, die die Einkommensteuer betreffen. Dass da nicht mehr sehr sauber gearbeitet werden kann, liegt auf der Hand.

Seit Jahresanfang gibt es die Steueramnestie für Steuerhinterzieher, die ihr Geld ins Ausland geschafft haben. Eigentlich sollte die Amnestie dadurch flankiert werden, dass für Kapitalerträge eine einheitliche, niedrige Abgeltungssteuer von 25 Prozent geschaffen werden sollte. Dieses Projekt wird jetzt jedoch erst einmal verschoben. Hat man die Steuersünder getäuscht?

Wer die Steueramnestie in Anspruch nimmt, dürfte in aller Regel steuerlich beraten sein. Jeder Berater wusste, dass die Abgeltungssteuer auf jeden Fall zum 1. Januar 2004 noch nicht da sein würde. Ob sie zum 1. Januar 2005 kommt, muss der Gesetzgeber entscheiden. Ich habe aber sowieso Bedenken gegen die Abgeltungssteuer.

Warum?

Wegen der Gleichbehandlung. Wer einen Einkommensteuersatz von 40 Prozent hat, müsste für Kapitalerträge plötzlich nur noch 25 Prozent Steuern zahlen. Das halte ich für ungerecht.

Klagen mehr Steuerzahler als früher gegen ihre Steuerbescheide?

Merkwürdigerweise nicht. Die Klagen vor den Finanzgerichten sind zurückgegangen. Im Jahr 2000 waren es noch 79 000 Klagen, jetzt sind es nur noch 77 000.

Woran liegt das?

Wohl nicht zuletzt am maßvollen Gesetzesvollzug der Finanzverwaltung. Die Finanzämter konzentrieren sich immer mehr darauf, kritische Fälle herauszufischen und diese genauer zu überprüfen. Bei den meisten Steuererklärungen schauen sie dagegen nicht mehr so genau hin.

Wie lange dauert es, wenn man einen Fall bis zum Bundesfinanzhof durchklagt?

Im Schnitt zwei Jahre bei den Finanzgerichten und dann noch einmal zwei Jahre bei uns. Aber das ist nur ein Durchschnittswert, im Einzelfall kann es auch schneller gehen.

Wie hoch sind die Erfolgsaussichten?

Bei den Revisionen, die durch Sachentscheidungen beendet werden, liegt die Erfolgsquote bei 47 Prozent. Das ist hoch.

Die Justizminister der Länder wollen Geld sparen und die Finanz-, die Sozial- und die Verwaltungsgerichte zusammenlegen. Geht das?

Bei der Finanzgerichtsbarkeit ist das besonders problematisch. Beim Steuerrecht geht es darum, dass der Staat dem Bürger in die Tasche greift. Deshalb sind die Gerichte, die dritte Gewalt, unerlässlich. Die Finanzgerichte überprüfen, ob die Eingriffe der Verwaltung rechtmäßig sind. Und vergessen Sie nicht: Auf Seiten der Finanzverwaltung, bei den Finanzämtern, arbeiten echte Spezialisten. Auf Seiten der Kläger ebenfalls. Die werden oft von Fachleuten, von Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Fachanwälten für Steuerrecht, beraten. Und dann sollen da Richter sitzen, die unter Umständen nicht dieses Spezialwissen haben? Die Qualität würde deutlich leiden.

Wie ernst sind diese Reformideen?

Sehr ernst. Es wird sicherlich zu Öffnungsklauseln kommen, die den einzelnen Ländern die Entscheidung darüber überlassen, ob sie die Gerichte zusammenlegen wollen oder nicht. Bei großen Ländern könnten dann Mammutgerichte mit Dutzenden von Senaten entstehen. Diese wären völlig unlenkbar. Ich sehe wirklich schwarz.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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