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Wirtschaft: Einsame Spitze

Unternehmer fordern viel – von der Politik und von ihren Mitarbeitern. Doch Toll Collect und der Fall Ackermann zeigen: Manager müssen um ihre Glaubwürdigkeit fürchten

Von Henrik Mortsiefer

und Ursula Weidenfeld

Wenn deutsche Manager an ihre Mitarbeiter denken, dann fällt ihnen eine lange Liste von Wünschen ein: Die Belegschaft müsste für ihr Geld länger arbeiten, sie sollte weniger Urlaub machen und seltener krankfeiern, und sie könnte mehr für ihre Bildung tun. Und weil die Liste schon so lange auf den Schreibtischen der Chefs liegt und partout kein Wunsch in Erfüllung gehen will, rufen die Manager und Unternehmer immer lauter nach dem Staat: „Solange man alle notwendigen Flexibilisierungen allein den Verhandlungen der Tarifpartner überlässt, passiert zu wenig“, sagt Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI) und Aufsichtsratschef des Heidenheimer Maschinenbauers Voith. „Ohne gesetzliche Änderungen geht es nicht.“ Die radikale Konsequenz – Austritt aus dem Arbeitgeberverband – will der Voith-Aufsichtsrat für sein Unternehmen aber doch lieber nicht ziehen. „Als führendes Metallunternehmen der Ost-Alp würden wir sofort zum Kampfgebiet der Gewerkschaft.“

Hehre Forderungen hier, unternehmerischer Kleinmut dort. Bei der Formulierung ihrer Forderungen nach mehr Leistung, Qualität und Beweglichkeit ist die deutsche Wirtschaftselite top. Allein, um ihre Überzeugungskraft war es selten so schlecht bestellt wie im Augenblick. Schuld daran sind diesmal nicht die Konjunkturkrise und der Reformstau. Vielmehr haben Führungskräfte deutscher Konzerne in den vergangenen Monaten selbst Beispiele dafür geliefert, wie man die Probleme eher vergrößert statt sie zu lösen.

Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sitzt auf der Anklagebank. Daimler-Chrysler und Telekom verpatzen den Start der Lkw-Maut, weil die von ihnen produzierte Technik versagt. Siemens und Thyssen-Krupp bauen Klimaanlagen und Bremsen in die neuen ICE-Züge ein, die den Zug nicht moderner machen, sondern verkehrsuntüchtig. BMW- und Mercedes-Fahrern geht die teure, aber anfällige Hightech-Ausstattung ihrer Autos auf die Nerven. Die Reaktion der Öffentlichkeit ist verheerend: „Deutsche Manager haben ein Imageproblem“, sagt Walter Jochmann, Geschäftsführer der Kienbaum Unternehmensberatung. Jochmann beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Top-Managern und nimmt gerade die Qualität der 30 Dax-Vorstände unter die Lupe. Seine Zwischenbilanz: „Im Vergleich zu Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und den USA ist die Qualität des deutschen Managements zurückgegangen.“ Die Liste der Pleiten und Pannen ist lang und bleibt nicht ohne Wirkung: „Die Glaubwürdigkeitskrise hat jetzt auch Unternehmer und Manager erreicht“, sagt Unternehmensberater Roland Berger (siehe Interview).

Zweifel an den Selbstheilungskräften

Das Versagen des Maut-Betreibers Toll Collect zum Beispiel sei „in der Tat eine Blamage“, räumt BDI-Präsident Rogowski im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Sonntag ein. Das Konsortium habe sich wohl auf „unrealistische Zeitvorgaben“ eingelassen. „Wenn man Angst hat, dass man sonst möglicherweise den Auftrag nicht bekommt, macht man solche Fehler.“ Schon in einem halben Jahr, glaubt der BDI-Chef, werde man allerdings nicht mehr über das Thema reden, und das Mautsystem werde reibungslos funktionieren: „Wenn man technologisch eine Pionierrolle hat und ganz vorne liegt, dann hakt es am Anfang gelegentlich.“

Unternehmensberater und Managementforscher glauben nicht an solche Selbstheilungskräfte. Im Gegenteil: „Die langfristige Betrachtung von Problemen wird in Deutschland als weitsichtig gelobt, aber eigentlich dient sie vielen Unternehmern nur als Alibi für kurzfristige Untätigkeit“, sagt Management-Tester Jochmann. Als zentrales Defizit bezeichnet er die mangelnde Entschlossenheit, einmal Erkanntes und Verstandenes auch „ergebniswirksam“ umzusetzen. „Viele Manager kennen sich bestens bei den Prozessen und im Controlling aus, aber viel zu wenige ziehen die strategischen Konsequenzen daraus.“ Die Folge: Die Renditen deutscher Unternehmen – im Handel, der Nahrungsmittelindustrie oder in der Energiewirtschaft – fallen im internationalen Vergleich zurück.

Studien belegen, dass deutsche Manager besondere Schwierigkeiten damit haben, in Umbruchsituationen strategisch den Überblick zu behalten. So zeigt eine Untersuchung des International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne, dass deutsche Chefs ausgesprochen leistungs- und zukunftsorientiert sind. Kommt es jedoch zu Konflikten, werden viele Top-Leute zu Hasenfüßen. Sie meiden Risiken, um keine Fehler zu machen. Menschlich verständlich, aber fahrlässig, wenn davon Tausende Arbeitsplätze abhängen. Der Unternehmensberater Eberhard von Rundstedt nennt das die „Vollkasko-Mentalität deutscher Manager“. Es wird schon irgendwie gut gehen, heißt es häufig auf deutschen Chefetagen. Doch zuletzt ging es oft schief.

Die Folgen bekommen meist die Mitarbeiter zu spüren. Die IMD-Studie ergab, dass in keinem anderen Industriestaat außer Spanien und Italien Führungskräfte so wenig fair und respektvoll mit ihren Mitarbeitern umgehen wie in Deutschland. Ihre strategische Inkonsequenz kompensieren die Chefs mit übertriebener Härte. Als es im Abschwung galt, Kosten zu sparen und Kapazitäten abzubauen, bedeutete dies: Personalabbau. „Wenn es dem Management in solchen Zeiten nicht gelingt, auch die Mitarbeiter für eine nachvollziehbare Krisenstrategie zu gewinnen, sieht es schlecht aus“, sagt Berater Jochmann. Schlecht vor allem für den Aufschwung, denn der verlangt nach flexibleren Strategen, die ihre Mitarbeiter motivieren können und denen der Spagat zwischen Kostendenken und Risikobereitschaft gelingt.

Soziale Kompetenz und unternehmerische Verantwortung schließen sich dabei nicht aus. Globale Unternehmen wie der Konsumgüterhersteller Unilever oder der Energiekonzern Shell machen in ihren Leitlinien für Führungskräfte klare Vorgaben: Wer gewisse Hierarchie-Ebenen erreicht hat, muss sich sozial oder politisch engagieren. Das erweitert den Horizont und schützt vor Neidern, die hohe Vorstandsbezüge kritisieren.

„Wir brauchen in Deutschland mehr Manager wie Peter Hartz“, sagt Peter Glotz, Ex-Generalsekretär der SPD und Professor am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen. Intelligente, ungewöhnliche Einfälle wie das 5000mal-5000-Projekt bei VW seien gefragt, „und nicht immer nur die Vorschläge, die alle erwarten“. Ausnahmsweise könnten Unternehmer hier von Politikern lernen. „Politiker müssen sich auch mit absurden Argumenten herumschlagen und Interessen ausgleichen“, so Glotz. Manager könnten sich dem entziehen. „Viele lassen neue Informationen nicht an sich heran und entscheiden einsam – und falsch.“

Getröstet wird sich mit den Fehlern der anderen. Wenn sich in diesen Tagen Manager zum Essen oder zu Rotary-Club-Meetings treffen, kommt erst dann richtig Stimmung auf, wenn über die Konkurrenz gejuxt werden kann. Wie immer redet man über den Standort Deutschland, das Mittelmaß der Politik oder die Borniertheit der Gewerkschaften. Aber Auto-Manager werden erst fröhlich, wenn sie wieder einmal mit der Bahn anreisen mussten und der ICE nicht in Fahrt kam. Und Bahn-Manager klopfen sich auf die Schenkel, wenn sie über Toll Collect herziehen dürfen.

Nieten in Nadelstreifen – trifft das strapazierte Bild also doch zu? Versagen Deutschlands Manager gerade dann, wenn sie gebraucht werden? „Halten wir fest, dass zum Beispiel die deutsche Autoindustrie führend in der ganzen Welt ist“, beruhigt sich BDI-Präsident Rogowski. „Darauf können wir stolz sein.“ Und in der Tat, die Auto-Manager sind gut aufgestellt, findet auch Walter Jochmann. „Die Industrielandschaft ist viel zu differenziert, als dass alles über einen Kamm geschoren werden könnte“, warnt Rogowski.

Der BDI will differenzierter argumentieren. Nicht nur Peter Glotz wundert sich umso mehr, dass sich Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften immer noch mit pauschaler Kritik an der Unbeweglichkeit der Gegenseite überziehen. „Die Grölbacken stampfen mit den Füßen auf und rufen Basta“, mokiert sich der Ex-Politiker. „Dabei wissen alle, dass es nur Rhetorik ist.“ Nicht zuletzt deshalb mache sich in der Industrie eine „manifeste Verachtung gegenüber den Verbänden“ breit. Die deutsche Wirtschaftselite ist sehr beschäftigt – wie es scheint, vor allem mit sich selbst.

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