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Wirtschaft: Elfie Köppe

(Geb. 1951)||Sie hatte einst Fähnchen geschwungen und behielt ihren Optimismus.

Sie hatte einst Fähnchen geschwungen und behielt ihren Optimismus. Bauch kann, Bart muss. Doch bitte kein Raucher!“ Etwa so stand es in der Kontaktanzeige, die der Polizist aus Reinickendorf im Herbst 1997 in der Zeitung las. Eigentlich suchte er gar keine Frau, und Raucher war er auch. Er schrieb ihr trotzdem. Als er sie abholte, im tiefen Osten bei minus 16 Grad, trat ein zierliches Wesen im Hauseingang gerade verstohlen eine Zigarette aus.

Wenige Jahre zuvor wäre eine Verbindung zwischen ihnen unmöglich gewesen. Sie hatte als Referentin im DDR-Ministerium für Kultur gearbeitet, er hatte in West-Berlin erst die linken, dann die rechten Extremisten überwacht. Beide hätten ihren Dienstherren den „Feindkontakt“ melden müssen, beide hätten Probleme bekommen. Jetzt zog der Polizist aus Reinickendorf schon bald nach Adlershof, in den Teil Berlins, in dem er es nach eigenem Bekunden „vor Elfi“ nicht eine einzige Stunde ausgehalten hätte.

Sie waren grundverschieden, doch einig in ihrer Offenheit für Neues. Sie hatte vor ihrer Arbeit im DDR-Ministerium an der Humboldt-Universität Deutsch und Pädagogik studiert und promoviert. Eine kultivierte Frau, die im Freundeskreis der Schauspielschule Ernst Busch verkehrte, und nach der Wende Psychologie-Lehrerin am Treptow-Kolleg wurde. Er hatte längst keine Lust mehr auf die Polizei, fuhr am Wochenende Motorrad – und tat sich, nachdem er sie eine kleine Weile kannte, mit ihrem 23-jährigen Sohn zusammen, um einen Plattenladen in Friedrichshain zu betreiben.

Er nahm sie mit zur Weihnachtsfeier seines Biker-Clubs. Schon nach wenigen Minuten sah er sie mit den Rockern ins angeregte Gespräch vertieft. Sie begegnete, staunt er, wirklich jedem Menschen auf Augenhöhe und mit echtem Interesse. Auch ihr Sohn, in der DDR als Punk unterwegs, kann sich an kein tadelndes Wort von ihr erinnern. Sie stellte nur neugierige Fragen, und bot ihm hin und wieder höflich an, seine Klamotten zu waschen.

Sie war wirklich tolerant – das half ihr, auch mit sich selbst im Reinen zu bleiben. Wenn sie mit ihrem neuen Westmann ins Kino ging oder Ausstellungen besuchte, hieß das Thema oft DDR. Sie sahen den Film „Das Leben der anderen“. „Genauso hätte es sich abspielen können“, sagte sie zu ihm bewegt nach der Vorstellung.

Sie hatte an diesen Staat und an eine bessere Welt geglaubt, Fähnchen geschwungen und Parteiversammlungen besucht. Nun sah sie vieles in einem anderen Licht. Doch in ihrem schönen und jung gebliebenem Gesicht fand man keine Spur von Verbitterung oder Frustration. Ihren alten Menschen-Optimismus hatte sie einfach behalten. Nun war ihr Rat als Vertrauenslehrerin geschätzt, von Schülern, die mit Geldsorgen oder Outing-Absichten zu ihr kamen. Dass ihre Akten vor der Übernahme in den Lehrerdienst politisch überprüft wurden, ertrug sie ebenso wie das „Nachstudium“, das man ihr vorschrieb. Nur einmal weinte sie, erinnert sich ihr Mann. Das war in Wien, als sie vor dem Haus des verehrten Sigmund Freud stand und sagte: „Hier wäre ich wohl sonst nie im Leben hergekommen.“

Das ganze westliche Europa hatten sie gemeinsam auf dem Motorrad erobert, als sie, die immer pünktlich gewesen war, begann, die Termine für die Abiturprüfungen zu vergessen. Gehirntumor. Als sie die Gewissheit hatte, atmete sie fast auf. Jetzt gab es einen Grund für den stechenden Schmerz im Kopf, den sie manchmal zur Linderung mit Tüchern umwickelt hatte.

Sie sprach nie über das Sterben, sagte nur zu ihrem Mann: „Ich möchte, dass du weiter hier wohnst.“ In Adlershof. Er nickte. Sie tauschten das Motorrad gegen ein Cabrio mit roten Ledersitzen und fuhren wieder los, wenn es ihr gut genug ging. Ihr Glück, einander so spät noch gefunden zu haben, wollten sie auskosten bis zum letzten Moment.

Als die Schmerzen nicht mehr auszuhalten waren und sie schon sehr verwirrt schien, sagte sie plötzlich mit entzücktem Gesicht: „Am Sonntag tanze ich Salsa“. Am Ende war ihr Optimismus sogar stärker als der Tod.

Kirsten Wenzel

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