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Am Wendepunkt: Elektroautos gehen an den Start

Ernüchterung nach dem Elektro-Hype: Deutschland verfehlt seine politischen Ziele – und setzt auf die Stärken der Industrie.

Die Elektromobilität hat ein politisches Reichweitenproblem. Vermittelten Regierung und Industrie vor wenigen Jahren noch den Eindruck, wir Stadtbewohner könnten alle sehr bald in sauberen, leisen und bezahlbaren Elektroautos unterwegs sein, hat sich die Vision dieser neuen Mobilität in eine ferne Zukunft verschoben. Die Elektromobilität scheint buchstäblich auf der Strecke geblieben zu sein. In den tagesaktuellen politischen Diskursen kommt sie nur noch am Rande vor. Die Wirkungen des 2011 aufgelegten Regierungsprogramms „Nationaler Entwicklungsplan Elektromobilität“ sind mangels Reichweite nahezu unsichtbar.

Es sei denn, die Bundesregierung lädt offiziell zu einer Bestandsaufnahme ein. Die internationale Konferenz an diesem Montag und Dienstag in Berlin schafft neue Aufmerksamkeit. Unter dem Motto „Elektromobilität bewegt weltweit“ ziehen Politik, Industrie, Verbände, Gewerkschaften und Wissenschaft eine Zwischenbilanz. Zu erwarten ist ein Deja-vu- Erlebnis. Wir sind auf einem guten Weg, so wird es am Ende wohl wieder heißen. Wir haben viel geschafft. So weit waren wir allerdings schon vor einem Jahr.

„Die Bundesregierung hat eine Milliarde Euro zur Förderung von Forschung und Entwicklung zugesagt und das Ziel von einer Million E-Autos für 2020 vorgegeben – danach ist ordnungspolitisch rein gar nichts passiert“, sagt Andreas Knie, Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ). „Die Popularisierung der Elektromobilität hakt und hapert an allen Ecken und Enden.“

Ist gar nichts passiert?

Durch das „Tal des Todes“, wie der ehemalige Maschinenbau-Präsident Manfred Wittenstein die elektromobile Stimmung unlängst beschrieb, bewegt sich Deutschland ordnungs- und förderpolitisch immerhin im Schneckentempo. Vier „Schaufensterregionen“ wurden 2012 in Berlin/Brandenburg, Niedersachsen, Bayern/Sachsen und Baden-Württemberg ausgerufen. 180 Millionen Euro Fördergeld stehen zur Verfügung, damit Elektromobilität vor Ort praktisch und alltäglich erlebbar werden kann. 650 Partner in mehr als 100 Projekten – Autohersteller, mittelständische Zulieferer, Hochschulen und Forschungseinrichtungen – können sich darüber hinaus an einem Fördertopf bedienen, in den vier Bundesministerien (Wirtschaft, Finanzen, Forschung und Verkehr) bis zum Ende der Legislaturperiode eine Milliarde Euro für anwendungsnahe Forschung und Entwicklung gelegt haben. Autofahrer, die sich ein Elektroauto kaufen, werden zehn statt fünf Jahre von der Kfz-Steuer befreit.

Ist das alles nichts?

Zuletzt ist deutlich geworden, wie eng es plötzlich werden kann, wenn die finanziellen Rahmenbedingungen nicht mehr zu den politischen Zielen passen. Weil die Einnahmen aus dem europäischen Emissionshandel weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind, musste der Bund die für 2013 geplanten Ausgaben für die Energiewende halbieren – von gut zwei auf eine Milliarde Euro. Im betroffenen Energie- und Klimafonds liegen auch 426 Millionen Euro für die Elektromobilität. Zwar blieb dieser Posten von der Kürzung unberührt – aus welchen Gründen auch immer. Doch die Verunsicherung ist geblieben: „Bei den Unternehmen herrscht große Verzagtheit“, berichtet Andreas Knie. „Die Hälfte der Förderbescheide, auf die vor allem kleine und mittelständische Firmen angewiesen sind, konnte noch nicht ausgestellt werden. Hier entstehen irreparable Schäden.“

Der von der Bundesregierung beabsichtigte „Startschuss“ in den Schaufenstern ist bislang auch aus diesem Grund ausgeblieben. Aus den Ankündigungen, elektrische Dienstwagen bei der Besteuerung und den Abschreibungsmöglichkeiten zu privilegieren oder die Straßenverkehrsordnung zu ändern, um bevorzugte Fahrspuren und Parkplätze für E-Autos ausweisen zu können, ist bislang nichts geworden. Praktische Erfahrungen mit Elektroautos sammeln bestenfalls einige Stadtbewohner, die etwa in Berlin mit batteriebetriebenen Carsharing-Fahrzeugen unterwegs sein oder elektrische Dienstwagen aus dem Fuhrpark großer Unternehmen nutzen können. Jenseits der Stadtgrenzen und im sogenannten Massenmarkt passiert wenig. Die Statistik lügt nicht: Anfang dieses Jahres waren in Deutschland laut Kraftfahrtbundesamt 7114 Elektro-Pkw zugelassen, die Mehrheit von gewerblichen Nutzern. Hinzu kamen knapp 65 000 Hybridfahrzeuge.

Das Autoland Deutschland wird trotz der solide angelegten Forschungs- und Entwicklungsförderung die beiden Ziele, die es sich gesetzt hat, wohl nicht gleichzeitig erreichen: weltweiter Leitanbieter und Leitmarkt der Elektromobilität zu werden. Wenn überhaupt eines der Ziele bis 2020 in greifbare Nähe rückt. Inzwischen hat die Regierung das Eine-Million-Ziel relativiert: 600 000 Elektroautos (einschließlich Plug-in-Hybride) seien bis 2020 machbar, „der Rest muss erarbeitet werden“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Oktober 2012. Dies löste Spekulationen aus, die Kanzlerin habe damit schon die Bereitschaft signalisiert, die Käufer von Elektroautos mit einer staatlichen Prämie zu unterstützen.

Doch der Fortschritt in der Elektromobilität wird nicht an politischen Willensbekundungen gemessen, sondern an der Überwindung technischer Restriktionen, der Veränderung von Mobilitäts- und Lebensgewohnheiten, am finanziellen Spielraum der Hersteller – und der Verbraucher. „Wir erleben einen Technologiesprung. Das muss man den Kunden erst einmal vermitteln“, sagt Willi Diez, Leiter des Geislinger Instituts für Automobilwirtschaft. „Es geht nicht nur um ein neues Produkt, sondern um eine neue Form der Mobilität, neue Denkmodelle, neue Überzeugungen. Diese Transformation dauert Jahre.“

Nach dem verpatzten Start könnte nun die deutsche Autoindustrie endlich für Tempo sorgen. Im Herbst bringt BMW seinen elektrischen „i3“ auf den Markt, Volkswagen folgt mit dem batteriebetriebenen „Up“, Smart vermarktet bereits seinen elektrischen Zweisitzer. „Mit den ersten E-Autos aus deutscher Produktion stehen wir an einem Wendepunkt“, ist Autoforscher Diez optimistisch. Nach der ersten öffentlichen Erregung sei Ernüchterung eingekehrt. „Die Elektromobilität durchläuft den erwarteten Hype-Cycle. Ich warne davor, das Thema totzureden.“

Wird das reine Elektroauto, das beim derzeitigen Strommix noch so viel CO2 produziert wie ein sparsames konventionelles Auto, also 2020 kein Nischenprodukt sein, wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und der Deutschen Bank 2012 voraussagte? Oder fällt die Revolution doch aus, wie die Autoren der Studie analysierten? BMW behauptet jedenfalls: Wir revolutionieren den Automobilbau. Drei Milliarden Euro hat der Hersteller in die Entwicklung der neuen i-Klasse gesteckt. Angeblich verdient jeder i3, der um die 40 000 Euro kosten wird, Geld. Trotzdem zeigt die Werbemaschine, die BMW angeworfen hat, dass der Autokonzern den Erfolg um jeden Preis sucht – und braucht.

Willi Diez zieht einen Vergleich zur Modebranche: Ob Elektroautos ein wirtschaftlicher Erfolg werden, sei auch eine Frage der Markenstärke. „Zerrissene Jeans hat in den 80er Jahren zuerst Dolce & Gabbana auf den Markt gebracht, zu Preisen von 250 Euro und mehr. Irgendwann wurde es ein Trend für die gesamte Branche.“

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