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Doerpen

© ddp

Emsland: Aufstand gegen ein Kohlekraftwerk

Demonstrationen und Morddrohungen: Im emsländischen Dörpen eskaliert der Streit um den Bau eines Kraftwerks. Jetzt bekommen die Kohle-Gegner prominente Unterstützung.

Die kleine Gemeinde Dörpen, gerade einmal 4200 Einwohner, gibt sich beschaulich: Der Touristikverein wirbt mit Radtouren entlang der Ems, Ausflügen zur Meyer-Werft nach Papenburg und Tretboot-Fahren auf dem Heeder See.

Doch die Idylle täuscht: Seit mehr als einem Jahr rasseln Gegner und Befürworter eines geplanten Steinkohlekraftwerks in Dörpen aneinander. Es wird mit harten Bandagen gekämpft, fast täglich liefern sie sich in der Lokalpresse ihre Scharmützel. Ende Juli goss Aloys Wobben, Chef von Enercon, einem der weltweit führenden Windrad-Hersteller aus Aurich in Ostfriesland, erneut Öl ins Feuer. Er werde in der Region nur dann investieren, wenn Dörpen kein Kohlekraftwerk baue.

Die Ankündigung Wobbens wirft ein Schlaglicht auf die Debatte über den zukünftigen Strommix in Deutschland. Was in Dörpen diskutiert wird, sind Grundsatzfragen, mit denen sich Deutschland in den nächsten Jahren ausführlich beschäftigen wird: Welcher Energieträger garantiert die meisten Arbeitsplätze? Welcher trägt am stärksten zum Klimaschutz bei?

Aloys Wobben ließ die Bombe, sein Junktim, am Rande einer Podiumsdiskussion platzen: Falls das Kraftwerk in Dörpen realisiert werde, verzichte er auf sein Rotorblattwerk in Haren, das etwa 20 Kilometer von Dörpen entfernt liegt. Bis zu 1000 Arbeitsplätze will das ostfriesische Unternehmen dort schaffen – für das strukturschwache Emsland ist das ein Lottogewinn. Zum Vergleich: Das Kohlekraftwerk in Dörpen soll 100 Jobs schaffen, mit Zulieferern wären es etwa 300. Ob sich Wobben, ein bekannter Einzelgänger, nur in einer Laune zu der Aussage hingerissen fühlte, ist unklar – zurzeit nimmt Enercon keine Stellung dazu.

In Haren ist man schockiert und will dringend mit dem Enercon-Chef sprechen. Von "schwerwiegenden Folgen" spricht der Pressesprecher der Kleinstadt. Mehr mag er nicht sagen. CDU-Landrat Hermann Bröring, der ein entschiedener Befürworter des Kraftwerks ist, gibt sich ebenfalls irritiert. "Das Emsland unterstützt sowohl den Ausbau der regenerativen Energie, wie an der Windenergieleistung von 550 Megawatt deutlich zu sehen ist, als auch der konventionellen Energie als Übergangstechnologie", sagt er. Er sehe keinen Konflikt zwischen Dörpen und Haren. "Das sind zwei unterschiedliche Themenfelder."

Bei der Dörpener Bürgerinitiative (BI) "Saubere Energie" reibt man sich angesichts der prominenten Unterstützung aus dem benachbarten Landkreis die Hände. "Das zeigt: Kohle und erneuerbare Energien sind einfach nicht kompatibel", sagt BI-Sprecher Jan Deters-Meissner. Mit riesigem Aufwand versuchen der Sozialarbeiter und die rund 320 BI-Mitglieder zurzeit die Verabschiedung des Bauplans durch den Gemeinderat zu verhindern. Sie organisieren Widerstand in den Nachbargemeinden und sogar in den Niederlanden. Sie haben einen Protestsong komponiert und laden zu Podiumsdiskussionen ein.  Erst vergangene Woche initiierten sie zusammen mit dem Online-Kampagnen-Netzwerk campact die "Fragt-uns"-Aktion. Unter dem Motto "Deutschland schreibt Dörpen" sammeln sie Unterschriften für eine Bürgerbefragung zum Kraftwerksbau.

In den vergangenen Wochen ist der Ton rabiater geworden. Sogar Morddrohungen wurden ausgesprochen: Im Juli erhielten die CDU-Abgeordneten des Dörpener Gemeinderats, allesamt Kraftwerks-Unterstützer, einen anonymen Brief. In ihm wurden sie aufgefordert, die Bauplanungen für das Kraftwerk einzustellen – ansonsten könnten sie "ihr Testament machen". Die Polizei nahm die Ermittlungen auf. Die Bürgerinitiative distanziert sich von dem Schreiben.

Wenige Tage später ging bei den CDU-lern allerdings ein zweiter Brief ein – offenbar war dem Verfasser die Sache nicht mehr geheuer: Das erste Schreiben solle man bitte nicht als Morddrohung interpretieren, lediglich als "Weckruf".

Selbst die Kirche, die im tiefkatholischen Emsland noch immer eine ernst zu nehmende Institution ist, hat sich in die Diskussion eingeschaltet. Der örtliche Pfarrer Gerrit Weusthof, bekannt für seine unverblümte, offene Art, hatte im Frühjahr Bürgermeister Heinrich Wacker Wortbruch vorgeworfen, weil der seine Haltung zum Kraftwerk geändert habe. Die kirchliche Kritik konnte Wacker offensichtlich nicht ertragen – im Frühjahr legte er sein Amt nieder.

Trotz der Aufruhr in Dörpen hält der Investor an den Kraftwerkplänen fest. "Wir haben es in Dörpen mit Fundamentalopposition zu tun", sagt ein Sprecher des Schweizer Investors BKW FMB Energie, "aber Dörpen ist einer der besten und attraktivsten Standorte für ein Kraftwerk in Deutschland". Die Infrastruktur mit Ems und der Autobahn A31 sei perfekt. Rund eine Milliarde Euro will der Versorger zusammen mit dem deutschen Stromkonzern EnBW in das 900-Megawatt-Kraftwerk investieren. BKW wolle mit dem neuen Kraftwerk auch die Klimabilanz Deutschlands verbessern, schließlich baue das Unternehmen eine hocheffiziente Anlage mit hohem Wirkungsgrad und könne diese später mit einer Kohleabscheidungsanlage nachrüsten. "Außerdem leistet das Kraftwerk einen Beitrag zur Deckung der Stromlücke, die Deutschland droht."

Ob die Energie allerdings tatsächlich so gefragt ist, wie BKW hofft, ist unklar. Die Schweizer hatten bei ihren Planungen vor allem auf Nordland als Großabnehmer für die Abwärme und möglichen Koinvestor gesetzt. Nordland, eine Tochter des finnischen Papierkonzerns UPM, ist eine der größten Feinpapierfabriken Europas und der wichtigste Arbeitgeber der Gemeinde. Die Finnen machten allerdings Anfang des Jahres einen Rückzieher: Eine Kooperation sei für sie nicht rentabel.

Quelle: ZEIT ONLINE

Marlies Uken

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