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Wirtschaft: Endstation Grenze

Züge könnten viel schneller durch Europa flitzen – würden die Länder nur ihre veralteten Schienennetze modernisieren

Auf der Straße ist das Europa ohne Grenzen bereits Realität. Auf der Schiene indes ist für die meisten Züge an der Landesgrenze Endstation. Denn unterschiedliche Signalsysteme oder Stromstandards führen dazu, dass deutsche Loks nicht in Frankreich und italienische nicht in Österreich fahren können. Das bremst vor allem die Güterzüge, die so gegen den Konkurrenten Lastwagen keine Chance haben. Die Vereinheitlichung der Technik kostet Milliarden – doch die mag in der EU niemand aufbringen.

Nach den Plänen der EU-Kommission sollen in den nächsten Jahren die Hochgeschwindigkeitsstrecken der europäischen Bahnen mit einer einheitlichen, modernen Signaltechnik ausgerüstet werden. Mit diesem „European Train Control System“ (ETCS) könnten dann schnelle Züge problemlos von Land zu Land fahren. Später soll das System auch für normale Züge verwendet werden.

Doch Brüssels Absichten, so die Wettbewerbsfähigkeit der Bahn zu stärken, könnten sich um Jahrzehnte verspäten. Derzeit ist offen, wie die nötigen Milliarden-Investitionen finanziert werden können. Bahnen und Politik liegen darüber im Clinch.

Mit einer Richtlinie zur „Interoperabilität“ im Hochgeschwindigkeitsverkehr soll die Einführung von ETCS in diesem Jahr in den EU-Staaten mit Gesetzeskraft verbindlich werden. Nach Hochrechnungen der Siemens-Verkehrstechnik-Sparte müssten 75 000 Kilometer Gleise und 4500 Fahrzeuge mit ETCS ausgestattet werden. Kosten: sechs Milliarden Euro. Wer das Geld aufbringen soll, ist unklar. „Wenn die europäische Verkehrspolitik den Bahnen diesen Wechsel in der Technik auferlegt, dann muss sie auch sagen, wie das finanziert werden soll“, sagt der Technik-Vorstand der Deutschen Bahn, Karl-Friedrich Rausch.

Die neue, Mobilfunk-gestützte Technik ersetzt die unterschiedlichen nationalen Signal- und Sicherungssysteme. So werden grenzüberschreitende Einsätze von Zügen möglich. Über den Hochgeschwindigkeitsverkehr hinaus erhoffen sich Verkehrsexperten einen freien internationalen Güterverkehr. Bisher sind grenzüberschreitende Fahrten nur mit Loks möglich, die mit mehreren nationalen Techniken klarkommen.

Investitionen in die Schienen-Infrastruktur sind Sache des Bundes. Im Verkehrsministerium heißt es, die Einführung der Technik müsse verkraftbar sein, also zeitlich gestreckt werden. Kein EU-Land habe die Mittel, um ETCS innerhalb zweier Jahre zu finanzieren.

Hinzu kommt: Bund und EU fördern nur Ausbau und Erneuerung des Netzes. Doch auch die Fahrzeuge müssen für ETCS umgebaut werden – dafür wollen die Bahnen Zuschüsse. Wer zahlt, ist aber unklar.

Die Industrie ist weiter. Sie hat laut Siemens-Bereichsvorstand Friedrich Smaxwil 300 bis 500 Millionen Euro in die Technik investiert. „Wenn sich das Thema jetzt hinauszögert, werden die Vorteile blockiert, die ETCS den Bahnen im grenzüberschreitenden Verkehr bringen wird“, warnt er.

Versuchsstrecken mit ETCS sind im Aufbau. So wird die neue Technik in Deutschland auf der Strecke Berlin-Leipzig für den Pilotbetrieb installiert. Auf der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke Barcelona-Madrid will die Industrie ETCS erstmals in der Serie einsetzen.

Doch die Umstellung klappt nicht von heute auf morgen. Grund: Die Bahnen müssen lange zweigleisig fahren. Da die Umstellung auf ETCS nicht per Stichtag möglich ist, müssen sowohl alte als auch zukünftige Technik in Loks und auf Gleisen vorgehalten werden. Das ist teuer.

Wie lange der Übergang dauern wird, weiß niemand. VDB-Geschäftsführer Michael Clausecker möchte alles in zehn Jahren durchziehen: „Ein Investitionsvolumen von 600 Millionen Euro im Jahr kann eigentlich kein Problem sein.“

Das findet auch Michel Moreau, Chef von Alstom Transport: „Ich bin überzeugt, dass die neue Technik innerhalb der nächsten Dekade europäischer Standard wird.“ Bei Siemens fürchtet man einen längeren Übergang. Es könne bis 2030 dauern, bis das letzte alte Signal am Bahndamm verschwunden ist, heißt es. Eberhard Krummheuer (HB)

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