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Ein Bild aus freundlicheren Zeiten: Joschka Fischer zu Besuch in Moskau 2004 bei Wladimir Putin.

© dpa

Energieversorgung: Fischer fordert Putin im Gaspoker heraus

Ex-Außenminister Joschka Fischer und der russische Ministerpräsident Wladimir Putin sind zu erbitterten Gegnern geworden. Fischer kämpft für eine Gaspipeline nach Europa - doch Putin will sie unbedingt verhindern.

Die zwei Männer kennen sich aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit: Wladimir Putin, ehemals russischer Staatspräsident, und Joschka Fischer, damals Bundesaußenminister, haben oft an einem Strang gezogen - zum Beispiel, als sie sich weigerten, ihre Länder am Irak-Krieg zu beteiligen.

Heute sind Fischer und Putin erbitterte Gegner. Der eine, Putin, ist immer noch Staatsmann, der andere, Fischer, vertritt heute die Interessen der deutschen Energiewirtschaft.

Als politischer Berater versucht der Ex-Grünen-Chef Fischer, die Pipeline Nabucco voranzubringen. Sie soll Gas aus dem kaspischen Raum nach Westeuropa bringen und Europa unabhängiger von russischem Gas machen.

Putin tut alles, um das Projekt zu verhindern. Unter dem Namen South Stream plant er eine konkurrierende Leitung, die aus sibirischen Gasfeldern befüllt werden soll.

Offener Schlagabtausch

Erstmals kommt es nun zum offenen Schlagabtausch: "Nabucco hat immer noch keine garantierten Lieferanten", ätzte Putin jetzt vor internationalen Russland-Experten in Sotschi am Schwarzen Meer. Und was er hinzufügte, klang in den Ohren seiner Zuhörer wie eine Drohung: "Falls Unternehmen dennoch Milliarden Dollar investieren wollen ... dann wünsche ich ihnen Gottes Hilfe."

Fischer kontert im Handelsblatt-Interview: "Die russische Regierung sollte ihre wirtschaftlichen Interessen von politischen Ambitionen befreien." Er glaubt: Für Russland geht es nicht nur um Gas, sondern auch um den Machterhalt in der Region. Im Übrigen, so Fischer, komme Nabucco sehr gut voran.

Beide Seiten sind sichtlich nervös. Für Putin ist Nabucco ein Angriff auf die Hoheit der Russen über den Gasexport nach Westen. Etwa ein Viertel seines Gases bezieht Europa derzeit von dort, und diesen Anteil wollen Putin und der staatliche Branchenriese Gazprom eher noch ausbauen. Nabucco steht diesem Ziel im Weg. Die acht Milliarden Euro teure Pipeline, an der auch RWE beteiligt ist, soll neue Quellen erschließen, Gas etwa aus Aserbaidschan, Turkmenistan oder dem Irak über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich und Deutschland bringen.

Fischer weiß, dass sich sein Projekt in einer kritischen Phase befindet. Damit der Bau der Pipeline beginnen und das erste Gas wie geplant 2015 fließen kann, muss das Konsortium endlich Verträge mit Gaslieferanten abschließen. Die Russen aber torpedieren das Projekt, wo sie können. Sie setzen mögliche Lieferanten wie Turkmenistan unter Druck oder kaufen in Aserbaidschan Gasfelder auf. Erstmals gab Putin jetzt zu, dass Russland gezielt Gas von potenziellen Nabucco-Lieferanten aufkauft, um dieser Pipeline den Inhalt zu rauben. "Aserbaidschan hat nicht das nötige Volumen, um die Pipeline zu füllen, und hat vor wenigen Tagen erst ein Abkommen mit Russland unterzeichnet", sagte Putin.

Schröder und Fischer klammern das Thema Russland aus

Einer könnte jetzt vermitteln: Fischers früherer Chef, Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Er war schon immer ein Freund Putins. Aber, so stellt Fischer klar, das Thema Russland klammern die beiden Weggefährten aus - wegen Meinungsverschiedenheiten.

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Wladimir Putin setzt seine Nadelstiche in Richtung Nabucco gezielt. Denn Aserbaidschan hat für die russische Führung strategische Bedeutung. Deshalb ist der neue Liefervertrag für Ministerpräsident Putin ein großer Erfolg. Demnach wird Aserbaidschans staatlicher Energiekonzern Socar im kommenden Jahr zwei Milliarden Kubikmeter Gas nach Russland liefern - das ist eine Verdopplung der bisherigen Menge. Ab 2012 sind sogar vier Milliarden Kubikmeter im Gespräch.

Dabei hat Russland Gas im Überfluss. Das Land sitzt auf den weltgrößten Reserven. Jeder vierte Kubikmeter lagert unter der russischen Erde.

Ganz anders steht es um Nabucco. Neben RWE sind Unternehmen aus allen Ländern beteiligt, durch die die 3.300 Kilometer lange Leitung laufen soll - aus der Türkei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Österreich. Den Konsortialpartnern ist es jedoch noch nicht gelungen, auch nur mit einem einzigen Lieferanten einen Vertrag abzuschließen.

Dabei drängt die Zeit. Eigentlich wollte das Konsortium bis Ende des Jahres Klarheit über die Bezugsquellen haben, um endgültig zu entscheiden, ob Nabucco gebaut oder das Projekt wieder beerdigt wird.

"Zeitpläne sind Pläne. Man muss die Monate und Tage nicht in Stein meißeln", deutet Berater Fischer schon vielsagend an.

Immer wieder Rückschläge

Auch der Gas-Chef von RWE, Stefan Judisch, ist wie Fischer fleißig in der Gegend unterwegs. Aber immer wenn er kurz vor dem Erfolg steht, kommt der Rückschlag. Ende August vermeldete Judisch, man habe mit dem autonomen Kurdengebiet im Irak einen Lieferanten gewonnen. Der Vorstandschef von RWE Supply & Trading hatte mit Ashti Hawrami, dem Minister für Naturressourcen der Regionalregierung eine Vereinbarung geschlossen. Kurdistan werde Gas für Nabucco liefern.

Zwei Tage später jedoch intervenierte die irakische Zentralregierung. Sie alleine sei für den Export von Öl und Gas zuständig: "Alle Verträge, die außerhalb dieses Rahmens unterschrieben wurden, sind ungültig", hieß es.

Die Schlüsselrolle im Wettlauf um die Gasressourcen Zentralasiens kommt Aserbeidschan zu. Aus dem Staat soll rund ein Drittel der 31 Milliarden Kubikmeter kommen, die Nabucco jedes Jahr nach Westen transportieren soll. Aserbeidschan erschließt zur Zeit große Vorkommen, beispielsweise das Gasfeld Shah Deniz 2 im Kaspischen Meer. Das Land will Partner im Westen finden, die investieren, Gas abnehmen - und sich nicht zu sehr von Russland abhängig machen. Zuletzt hatten Abgesandte aber Zweifel an Nabucco geäußert. Das Land schaut sich auch nach alternativen Partnern im Westen um - vor allem für die Erschließung der Vorkommen. Als Konkurrent des Nabucco-Konsortiums gilt beispielsweise Gaz de France.

Ein RWE-Sprecher äußerte sich gestern jedoch zuversichtlich. RWE gehöre zu den Unternehmen, die von den Eignern des Shah-Deniz-2-Konsortiums zu Verhandlungen über Gaslieferungen aus Aserbaidschan eingeladen worden seien. Kein anderes Infrastrukturprojekt in der Region sei so weit fortgeschritten wie Nabucco. Und überhaupt gebe es in Aserbeidschan genügend Gas.

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Die Suche nach Gas für Nabucco ist ein schwieriges Taktikspiel. Jeder Lieferant zögert, solange Nabucco noch keine anderen Quellen hat. Die Konsortialpartner sind überzeugt, dass Turkmenistan nur darauf wartet mitzumachen, wenn Aserbaidschan mitzieht. Sollte RWE sich doch Lieferungen aus dem Nordirak sichern, würde das wiederum die Verhandlungen mit Aserbaidschan erleichtern und somit gleichermaßen positiv ausstrahlen.

Fischer ist sicher, dass sich die Verhandlungen "in der zweiten Jahreshälfte weiter positiv entwickeln". Putin dagegen verwies auf Grenzstreitigkeiten am Kaspischen Meer: "Solange diese nicht geklärt sind, ist es unmöglich, die Pipeline zu bauen".

Kampf mit harten Bandagen

Mit welchen Bandagen die Kontrahenten spielen, zeigt das Störmanöver Gazproms gegenüber RWE. Im Sommer hatten die Russen den deutschen Konzern eingeladen, sich an South Stream zu beteiligen. Das Angebot war unmoralisch: Denn zwei Projekte, South Stream und Nabucco könnte sich RWE sicherlich nicht leisten. RWE bestätigte die Offerte öffentlich. Nach Handelsblatt-Informationen hatte Gazprom-Vize Alexander Medwedjew in der Sache RWE-Vorstand Leonhard Birnbaum kontaktiert. Medwedjew wiederum beteuerte öffentlich, Gazprom habe den Essener Energieriesen niemals angesprochen.

So oder so, RWE-Chef Großmann stellte jüngst klar, dass sein Konzern kein besseres Projekt als Nabucco sehe.

Der Konzern wollte den Angriff Putins gestern nicht kommentieren. Ein Sprecher verwies aber darauf, dass renommierte internationale Banken wie die Europäische Investitionsbank (EIB) oder die Europäische Bank für Wiederaufbau & Entwicklung (EBRD) sowie die Weltbank derzeit ein Darlehen über vier Milliarden Euro prüfen.

Am Montag hatten sie ein entsprechendes Abkommen mit dem Pipeline-Konsortium unterzeichnet.

Damit wäre die Finanzierung weitgehend gesichert: Jedes der sechs Unternehmen muss zudem 400 Millionen Euro investieren und die restlichen 1,5 Milliarden Euro müsste sich das Konsortium dann noch bei privaten Banken besorgen.

Die Nabucco-Konzerne feierten die Vereinbarung als Meilenstein. "Die Banken hätten nicht unterzeichnet, wenn sie nach ersten Prüfungen nicht davon ausgehen würden, dass wir Nabucco zu einem guten Ende bringen", sagte der Geschäftsführer des Konsortiums, Rainhard Mitschek. In den nächsten Monaten nehmen die potenziellen Geldgeber nun die wirtschaftlichen Aussichten detailliert unter die Lupe. Auch soziale und Umweltstandards werden geprüft. Zudem begrüßte die EU-Kommission die Vereinbarung. Die Kommission unterstützt das Projekt ausdrücklich.

Bei den potenziellen Gaslieferländern könnte die Übereinkunft mit den Banken für Vertrauen sorgen - so hoffen jedenfalls die Konsortialpartner und Fischer. So könnten sie Putin, der das Nabucco-Projekt gerne beerdigt sähe, eines Besseren belehren.

Quelle: Handelsblatt

Jürgen Flauger, Klaus Stratmann

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