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Berater und Beratene (von li.n.re.): Bert Rürup, Carla Kriwet, Karl Gernandt, Martin Sonnenschein, Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner, Hendrik Steckhan (Geschäftsführer der Coca-Cola GmbH), und Tagesspiegel-Geschäftsführer Florian Kranefuß.

© Kai-Uwe Heinrich

Entscheider-Forum beim Tagesspiegel: „Sachverstand von außen“

Welchen Einfluss haben Berater auf Wirtschaft und Politik? Entscheider diskutieren beim Tagesspiegel.

Er ist einer der Politiker, die sich vor Beratungsangeboten kaum retten können. Ganz gleich, ob es um die Feinheiten des Rettungsschirms in Griechenland geht, den Überschuss aus Steuereinnahmen oder den Haushalt für Ministerien oder Behörden, auf den Rat von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hören viele. Mindestens genauso viele würden ihn gerne beraten. Vielleicht machte Schäuble beim Entscheider-Forum von Tagesspiegel und Handelsblatt, das kürzlich im Verlagshaus des Tagesspiegels stattgefunden hat, gerade deshalb keinen Hehl daraus, dass er gleichermaßen Kritiker wie Befürworter der Beratungsindustrie ist.

Ohne Berater kommen weder Wirtschaft noch Politik aus. Bereits in der Antike zogen die Mächtigen Vertraute zu Rate, die ihnen bei wichtigen Entscheidungen den Weg weisen sollten. Als Weise und ehrbare Philosophen wurden sie geachtet, die Licht ins Chaos bringen. Auch in den Literaturklassikern kommt der Berufsstand immer wieder vor. Allerdings meist als Intrigant oder Bösewicht – der Mephisto, der eher seine eigenen Interessen im Sinn hat als die seines Auftraggebers.

„Das sollte den Beratern zu denken geben“, mahnt Schäuble. Dass der Ruf der Branche nicht der Beste ist, wissen auch Unternehmen und Anbieter. Der ehemalige Wirtschaftsweise Bert Rürup vergleicht die Berater sogar mit Medizinern, die Krankheiten entdecken, die die Patienten noch gar nicht kennen. Mit der neuen Erkenntnis machen sie sich dann beim Auftraggeber unentbehrlich. Noch hartnäckiger halten sich allerdings Befürchtungen, mit den Beratern kämen Stellenabbau und zusätzliche Arbeit auf die Mitarbeiter zu.

Die Anforderungen an die Branche sind hoch

„Ein Berater taugt nichts, wenn er nichts Neues bringt“, sagt Karl Gernandt, Präsident des Verwaltungsrats bei Kühne + Nagel. „Daran kann man einen guten von einem schlechten Berater unterscheiden.“ Gernandt war selbst in der Branche tätig, bevor er die Seiten wechselte. Er rät seinen ehemaligen Kollegen zu ein bisschen mehr Demut bei den Verhandlungen mit den Auftraggebern.

Für Martin Sonnenschein, Managing Director Central Europe bei der Beratergesellschaft A.T. Kearney, findet die Zusammenarbeit mit den Unternehmen „längst auf Augenhöhe“ statt. Dank Globalisierung sind Großkonzerne stärker als je zuvor auf die Berater angewiesen. „Cross-industrielles Denken wird immer wichtiger“, sagt Sonnenschein. Es sei keine Seltenheit mehr, dass die Firmen in Geschäftsfelder außerhalb ihrer Branche wildern. So wird aus dem Chemieunternehmen ein Batteriehersteller oder aus dem Buchhändler ein Verkäufer für Unterhaltungselektronik.

Hoher Zeitdruck, unzählige Überstunden, immer neue Aufgabenfelder: Die Anforderungen an die Branche sind hoch. Tagesspiegel-Chefredakteur und Moderator der Veranstaltung Stefan-Andreas Casdorff bezeichnete den Beruf als „ungesund“. Obwohl auch Ex-Berater Gernandt das Privatleben seiner einstigen Kollegen als „bedauernswert“ erachtet, ist dies aber kein Argument gegen den Job. „Wem es in der Küche zu heiß wird, der sollte kein Koch werden“, sagt der gelernte Bankkaufmann. „Wer nach zehn Uhr nicht mehr arbeiten will, der sollte das einfach nicht machen.“

Querdenker sind gefragt – Frauen immer noch selten

Die Strapazen werden gut entlohnt. Die Beratung für ein rund dreimonatiges Projekt kann je nach Dauer und Größe zwischen 300000 und 600000 Euro kosten. Der Berater bekommt nicht nur ein gutes Gehalt, sondern kann auch mit Prämien nach erfolgreichem Abschluss rechnen. Der Kampf der Branche um die Gunst von Unternehmen und Behörden hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Mit der wachsenden Konkurrenz wächst auch der Druck, die Besten von den Besten für die Jobs zu gewinnen. Querdenker sind gefragt, Kreative, ohne Tunnelblick.

Auffällig ist, dass Frauen immer noch selten in der Branche zu finden sind. Berater Sonnenschein geht für seine Gesellschaft von einer Frauenquote zwischen 25 und 30 Prozent aus. Obwohl er familienfreundliches Arbeiten vorantreiben will und Teilzeitstellen bei den Beratern für richtig hält, rechnet er nicht damit, dass sich der Anteil der weiblichen Berater rasch erhöhen wird. Schuld daran seien vor allem die vielen Vorurteile, sagt er. Auf die Nachfrage des Moderators, ob dadurch der Branche nicht die Fachkräfte ausgehen, wiegelt Sonnenschein ab.

Für Carla Kriwet, Vorsitzende der Geschäftsführung von Philips Deutschland, steht die Branche „am Scheideweg“. „Ich brauche keinen mehr, der mir eine Industriestruktur für viel Geld verkauft“, sagt Kriwet. In der vergangenen Legislaturperiode hat die Bundesregierung rund eine Milliarde Euro für externe Beratungen und Gutachten ausgegeben. Bundesfinanzminister Schäuble will darauf auch in Zukunft nicht verzichten. „In den Ministerien brauchen wir trotz aller Qualifikation der Mitarbeiter immer wieder Sachverstand von außen“, sagt er.

Damit die Ausgaben gut angelegt sind, schlägt Schäuble einen stärkeren Austausch zwischen den Dienstleistern und Behörden vor. Dazu gehört auch, „Berufsbiografien von Politikern nicht zu kritisch zu sehen“. Für Schäuble muss Deutschland von der Beraterrepublik zur gut beratenen Republik werden.

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