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Wirtschaft: Erdgasmarkt: Hohe Einsätze

Der deutsche Erdgasmarkt steht vor einem radikalen Umbau und eine fast unbekannte Firma im Mittelpunkt: Ihr bescheidener Name lautet Thüga. Die Branche schätzt ihren Wert auf drei bis vier Milliarden Euro, Dieter Schmitt, Chef des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Essen, sogar auf bis zu sechs Milliarden Euro.

Der deutsche Erdgasmarkt steht vor einem radikalen Umbau und eine fast unbekannte Firma im Mittelpunkt: Ihr bescheidener Name lautet Thüga. Die Branche schätzt ihren Wert auf drei bis vier Milliarden Euro, Dieter Schmitt, Chef des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Essen, sogar auf bis zu sechs Milliarden Euro. Energiekonzerne aus dem In- und Ausland würden nur allzu gerne einsteigen. Dabei steht die Thüga gar nicht zur Disposition - jedenfalls noch nicht.

Das Unternehmen ist eine Beteiligungsgesellschaft mit wenigen Mitarbeitern. Was sie so interessant macht, ist ihr Einflussbereich: der reicht vom Rheinland bis nach Bayern. 120 Beteiligungen an Stadtwerken hält die Thüga und garantiert damit den Zugang zu fünf Millionen Erdgaskunden und drei Millionen Stromabnehmern. Noch wird die Thüga vom Düsseldorfer Energiekonzern Eon kontrolliert, der damit jeden vierten Erdgaskunden in Deutschland beliefert. Wenn Eon den Ferngasversorger Ruhrgas übernehmen darf, wächst die Beteiligung sogar auf bequeme 52 Prozent. Thüga ist daher eine der großen Hürden bei der geplanten Fusion.

Im Januar hatte das Bundeskartellamt den Eon-Antrag abgelehnt und dies unter anderem mit der Machtkonzentration im Gasgeschäft begründet. Denn für Ruhrgas, mit 60 Prozent Marktanteil größtes Ferngasunternehmen in Deutschland, wäre Thüga als Absatzkanal eine ideale Ergänzung. Konkurrenten befürchten deshalb, von weiten Teilen der Kundschaft abgeschnitten zu werden, zumal Ruhrgas wie Eon noch weitere, direkte Stadtwerkebeteiligungen halten.

Eon hat nach dem Verbot eine Sondererlaubnis beantragt. Wirtschaftsminister Werner Müller will bis Juni entscheiden. Er muss zwischen den wettbewerbsrechtlichen Bedenken und einem möglichen "überragenden gesamtwirtschaftlichen Interesse" abwägen. Rat holt er sich bei der Monopolkommission ein, die in diesen Tagen die Eon-Konkurrenz einvernimmt und im Mai ihr Votum abgeben wird. Klar ist nur: Wenn die Kommission wie das Kartellamt die Fusion komplett ablehnt, dürfte es für den Wirtschaftsminister schwer sein, Eon grünes Licht zu geben. Doch zurzeit deuten alle Signale darauf hin, dass das Geschäft über die Bühne geht - wenn auch mit Auflagen. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement machen sich jetzt offenbar für die Übernahme weiterer Anteile von Ruhrgas durch Eon stark. Der "Spiegel" berichtet in seiner jüngsten Ausgabe, die beiden wollten sich bereits in der kommenden Woche mit dem Ruhrkohle-Chef Karl Starzacher treffen.

Die Konkurrenz stellt sich jedenfalls darauf ein. Eons Wettbewerber zeigen sogar Verständnis. Die Karlsruher Energie Baden-Württemberg (EnBW), nach Eon, RWE und Vattenfall viertgrößter Stromversorger im Lande, wettert zwar gegen die Erteilung einer Ministererlaubnis. Andererseits wird das Ziel, in Deutschland starke "globale und europäische Player" im Energiegeschäft zu bilden, nachhaltig unterstützt. Kurzum: EnBW wäre bereit, nationale Wettbewerbsnachteile in Kauf zu nehmen, wenn dadurch der Aufstieg heimischer Spieler in die Europa- oder gar Weltliga möglich würde.

Ganz ohne Eigennutz sehen die Karlsruher, deren Hauptaktionär der französische Staatsmonopolist Electricité de France ist, das natürlich nicht. Für sie steht außer Frage, dass Müllers Ministerium den Ruhrgas-Kauf nur mit Auflagen genehmigen darf, zum Beispiel durch Abgabe von Beteiligungen. Da überrascht es keinen, wenn EnBW jetzt schon mal Interesse an der Eon-Tochter Thüga anmeldet. Das wäre für den südwestdeutschen Konzern eine einmalige Chance, groß ins Erdgasgeschäft einzusteigen.

Die geplante Fusion von Eon und Ruhrgas bringt den Markt in Bewegung. Im Erdgasgeschäft waren die Felle bislang verteilt, fast jeder mit jedem verbunden zumeist über Beteiligungen. Allein am ostdeutschen Pendant der Ruhrgas, der Verbundnetz Gas AG (VNG), mischt alles mit, was in der deutschen Energieszene Rang und Namen hat. Bei der Ruhrgas selbst tummelten sich bisher acht Gesellschafter, von Esso und BP bis zu RWE und Eon.

Das Geflecht reicht bis in die Verteilerstufe. Immer mehr Stadtwerke lassen sich von den großen Konzernen nicht nur mit Strom und Gas, sondern auch mit Geld beliefern. Im Gegenzug gibts Beteiligungen. Für ausländische Lieferanten etwa ist es fast unmöglich, in Deutschland ins Geschäft zu kommen.

Ruhrgas verdiente immer prächtig. Es gab keinen Grund für Streit, doch die Aktionäre standen sich auch im Wege. Weil sie Konkurrenten sind, durfte Ruhrgas nicht zu stark werden. Eon will das komplizierte Aktionärsgeflecht aufbrechen und mit Ruhrgas verstärkt ins weltweite Gasgeschäft einsteigen.

Der Kölner Wirtschaftsprofessor Carl Christian von Weizsäcker, selbst fast zehn Jahre Vorsitzender der Monopolkommission, glaubt, dass eine Entflechtung in der Energiewirtschaft Kräfte für Investitionen und Wachstum der Branche freisetzt. Der Wettbewerb werde schärfer und nicht eingeschränkt, sagt von Weizsäcker, der als Gutachter für die Eon gearbeitet hat.

Die Frage lautet also: Ist Eon bereit, sein Tafelsilber Thüga ganz oder auch teilweise der Fusion mit Ruhrgas zu opfern? Jetzt hängt alles an Wirtschaftsminister Werner Müller. Der hat den brisanten Auftrag an seinen Staatssekretär Alfred Tacke weitergereicht. Damit will er möglicher Kritik an der Entscheidung vorbeugen, weil er früher einmal beim Eon-Vorgängerkonzern Veba beschäftigt war. Dieser umstrittene Schritt bestärkt Professor Schmitt aus Essen noch in seiner Forderung, die Ministererlaubnis in solch wichtigen Wettbewerbsfragen künftig vom Parlament abzusegnen.

Dieter Fockenbrock

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