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Wirtschaft: Erdöl: Am Tropf

Die Welt hat Angst. Seit den Ölkrisen der 70er Jahre ist sie allgegenwärtig.

Die Welt hat Angst. Seit den Ölkrisen der 70er Jahre ist sie allgegenwärtig. Was passiert, wenn jemand den Ölhahn zudreht? Wer die Krisen nicht erlebt hat, bekommt immer die gleichen Bilder beim Aufflackern möglicher neuer Förderausfälle im Fernsehen vorgespielt: leere Autobahnen, brach liegende Fabriken. Ganz zu schweigen von vielen Medikamenten, die zwar nicht in einen Fernsehbericht passen, für die Erdöl aber ein unverzichtbarer Rohstoff ist. Die Welt hängt am Tropf. Sie schlägt aber auch zurück, wenn sich jemand des lebenswichtigen Öls bemächtigen will. Zuletzt geschah das 1991 bei der Befreiung Kuwaits von irakischer Besatzung. Hier hatte Saddam Hussein zu hoch gepokert. Niemand wollte einfach zusehen, wie er sich zum Herrscher über ein Fünftel der Weltölvorräte machte.

Bis heute sind die USA massiv militärisch präsent im Persischen Golf - und lassen sich ihre Versorgungssicherheit jedes Jahr nach Expertenschätzung 30 bis 60 Milliarden Dollar kosten, obwohl nur etwas mehr als ein Achtel ihres Ölbedarfs aus der Region importiert werden. Denn der Nahe Osten ist das Zentrum der weltweiten Ölproduktion.

Die Staaten um den Persischen Golf verfügen nach Angaben des BP-Energiereports 2001 über rund zwei Drittel der gesicherten Welterdölreserven, verursachen jedoch selber nur rund sechs Prozent des globalen Verbrauchs. Dagegen stehen die USA laut BP für ein Viertel des Verbrauchs und lediglich 2,8 Prozent der Reserven. Auch die anderen Großmächte sind relativ arm an Öl. Russland hat einen Anteil an den Ölvorkommen von 4,6 Prozent, China von 2,3 Prozent und Europa von 1,9 Prozent.

Golfstaaten werden immer wichtiger

In den nächsten Jahren wird daher die Abhängigkeit von Öl aus dem Nahen Osten stark steigen. Deutschland deckt zum Beispiel nach der Statistik des Mineralölwirtschaftsverbands seinen Bedarf im Moment zu mehr als einem Drittel durch Importe aus Staaten der EU und aus Norwegen. Bloß die meisten Ölfelder in Europa sind heute weitgehend ausgebeutet und werden in den nächsten Jahren versiegen.

Die Lücke kann höchstens durch die Golfstaaten gefüllt werden. Und das bedeutet eine Rückkehr zur Situation in den 70er Jahren. Durch den Ölschock angestachelt machten sich die Staaten außerhalb des Nahen Ostens auf die Suche nach neuen Ölquellen - und fanden sie. Seitdem schrumpft der Marktanteil des Kartells und damit sein Einfluss. Mit dem Versiegen der Ölquellen in den USA und Europa dreht sich diese Entwicklung wieder um. Trotzdem haben die Ölscheichs große Angst, zu sehr an der Preisschraube zu drehen. Denn so könnten sie ihre Abnehmer erneut zu Alternativen drängen oder gar die Weltkonjunktur - und damit den Ölverbrauch - abwürgen.

Das schnelle Auf und Ab der Preise an den internationalen Ölmärkten zeigt deutlich, dass Öl - und wer darüber die Macht hat - vor allem eins ist: eine politische Frage. Die Preise spiegeln nicht nur die tatsächliche Nachfrage wider, sondern auch alle möglichen Befürchtungen, die Versorgung könnte in der nächsten Zeit eingeschränkt sein. Obwohl reichlich Öl vorhanden war, stiegen die Preise seit Anfang des Jahres schnell an. Der Anstieg sei politisch bestimmt und nicht durch eine stark gestiegene Nachfrage verursacht worden, wie zum Beispiel der deutsche Mineralölwirtschaftsverband bestätigt. Und die Organisation Erdöl exportierender Staaten (Opec) schätzte den "Krisenaufschlag" auf zwei bis drei Dollar je Fass oder mehr als zehn Prozent.

Befürchtet wurde ein Übergreifen der Gewalt in Israel und Palästina auf den gesamten Nahen Osten. Massendemonstrationen in Ägypten zum Beispiel warfen die Frage auf: Wie lange können sich die Regime im Nahen Osten noch zurückhalten? Wie lange lässt sich ein echter Krieg vermeiden? Zumal auch der Irak wieder stärker in das Zentrum der US-Interessen rückte. Den irakischen Diktator Saddam Hussein würden die USA lieber heute als morgen stürzen und das 1991 Versäumte gut zehn Jahre später nachholen. Ein Angriff hätte aber in der Region einen Flächenbrand auslösen können.

Ob es in den nächsten Jahren noch genug Öl für die Weltwirschaft geben wird, hängt also vor allem von den Produzenten ab. Große Sorgen, dass die Ölvorräte - weltweit - bald zu Ende gehen, macht sich die Branche nicht. Trotz aller Horror-Szenarien des Club of Rome vom Anfang der 70er Jahre, die Ölvorräte würden bis zum Jahr 2000 weitgehend aufgebraucht sein, sind die bekannten Reserven nach Angaben von BP seit 1975 durch die Entdeckung neuer Felder - vor allem im Nahen Osten - um mehr als die Hälfte auf 142,1 Milliarden Tonnen gestiegen. Und laut einer Studie des US Geological Survey, einem Forschungsinstitut des amerikanischen Innenministerums, dürfte das noch lange nicht alles sein. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass die bisher unentdeckten Reserven etwa gleich groß sind.

Dagegen steht ein jährlicher Verbrauch von zurzeit 3,5 Milliarden Tonnen. Auch hier lautet die Tendenz: steigend. Besonders Chinas wirtschaftlicher Aufstieg wird den Ölbedarf stark steigern. Aber selbst wenn die konventionellen Ölvorräte erschöpft sein werden, liegen weitere große Reserven in Ölschiefern und -sanden. Deren Hebung wäre zwar teurer, würde sich aber lohnen, wenn die Effizienz, mit der Öl verbraucht wird, gesteigert würde und so höhere Preise verkraftet werden könnten. "Es gibt Öl genug", sagt Jeroen van der Veer, Vorstandschef des Ölkonzerns Royal Dutch/Shell. "Die Frage ist: Wie lange bleibt Öl als Energieträger attraktiv? Die Steinzeit ging nicht zu Ende, weil es keine Steine mehr gab."

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