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Urlaub am Balaton. Viele DDR-Bürger haben ihre Ferien am Plattensee verbracht. Mit der DM stieg das Ansehen.

© picture-alliance / dpa

Erinnerungen an die Währungsunion: "Ich habe mich für meine Landsleute geschämt"

Am Mittwoch jährt sich die Währungsunion zum 25. Mal. Teure Magentropfen, freche Urlauber, und jede Menge Langnese-Eis: Wie unsere Autorin, damals 28, die Einführung der DM erlebte.

Von Sandra Dassler

Die Ansage des Volkes war unmissverständlich: „Kommt die DM, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr“, tönte es den Politikern aus Ost und West nicht lange nach dem Mauerfall entgegen. Der Einheitskanzler, Helmut Kohl, wählte verständlicherweise das aus Sicht der „alten Bundesrepublik“ kleinere Übel und so kam die DM zu den Ossis.
Die mussten Anfang 1990 auf dem Schwarzmarkt bis zu zehn – manche behaupten sogar bis zu zwanzig – Ost-Mark für eine West-Mark hinblättern. Deshalb war für viele die große Frage, wie viel des Ersparten man eins zu eins würde tauschen können. Für meinen Mann und mich war das jedoch absolut irrelevant – wir waren 28 Jahre alt, hatten zwar schon zwei Kinder, aber keinerlei Erspartes.
Die Familie sprang ein, wie überall in der DDR. Und so befand sich wenig später richtig viel Geld auf unserem Konto. Genauer gesagt: 12.000 Ost-Mark, denn eins zu eins tauschen durfte man 4000 Ost-Mark für einen Erwachsenen und 2000 für ein Kind.
Ansonsten habe ich mir wegen der Währungsunion gründlich den Magen verdorben. In den alten Konsum-Kaufhallen gab es nämlich schon vor dem 1.Juli viele lang ersehnte Westprodukte: Joghurt, Pudding, Quark. Ständig geriet ich in Versuchung. Aber sechs DDR–Mark für ein Langnese-Eis auszugeben, das ich nach der Umstellung für eine DM bekommen würde, sah ich nicht ein. Also wartete ich, um nach dem 1.Juli richtig zuzuschlagen. Ich habe dann in kürzester Zeit wohl ziemlich viel ausprobiert. Mit den genannten Folgen.

Sechs DM für Magentropfen? Ein Wahnsinn!

Als ich für die Magentropfen in der Apotheke plötzlich sechs DM statt wie bisher eine DDR-Mark zahlen musste, befiel mich eine leise Vorahnung, was den weiteren Verlauf der deutschen Einheit betraf. Vielleicht waren die Westwaren gar nicht so viel besser, sondern nur besser verpackt? Vielleicht hatten jene Politiker doch nicht ganz Unrecht gehabt, als sie vor Massenarbeitslosigkeit bei schneller Einführung der DM warnten – und überall im Osten dafür ausgepfiffen wurden? Aber erst einmal herrschte kollektive Trunkenheit. Ich reiste mit Mann und Kindern nach Ungarn – nur um zu erleben, wie Sachsen und Ostberliner in unserer Lieblingscsarda großkotzig mit ihren neuen Scheinen winkten und den einheimischen Kellnern zuriefen: „Jetzt haben wir auch die DM, jetzt müsst ihr für uns genauso springen wie für die aus’m Westen.“ Nie zuvor oder danach habe ich mich für meine Landsleute so geschämt wie im Sommer 1990 am Balaton.

Auf der Jagd nach Tinnef

Stefan Heym hatte es schon im Dezember 1989 mit drastischen Worten im „Spiegel“ beschrieben: „Aus dem Volk, das nach Jahrzehnten Unterwürfigkeit und Flucht sich aufgerafft und sein Schicksal in die eigenen Hände genommen hatte und das soeben noch, edlen Blicks, einer verheißungsvollen Zukunft zuzustreben schien, wurde eine Horde von Wütigen, die, Rücken an Bauch gedrängt, Hertie und Bilka zustrebten auf der Jagd nach dem glitzernden Tinnef. Welche Gesichter, da sie, mit kannibalischer Lust, in den Grabbeltischen, von den westlichen Krämern ihnen absichtsvoll in den Weg plaziert, wühlten …“ So war es. Und doch konnte ich Heym und auch jenen, welche die Einführung der DM als Ursache für eine Entwürdigung der Ostdeutschen oder gar für eine „Entwertung ihres Lebens“ sahen, nicht zustimmen. Die Entwürdigung war doch lange vorher geschehen: Wenn Ostdeutsche in Ungarn bestimmte Hotels gar nicht betreten durften zum Beispiel. Oder wenn eine Mutter ihre Nachbarin mit Westverwandtschaft um etwas Penatencreme anbetteln musste, weil nur die gegen das Wundsein ihres Babys half. Abgesehen davon habe ich schon als Kind gelernt, dass der Wert eines Lebens weder in Ost- noch in West-Mark zu messen ist: 1977 fuhr ich mit meiner Großmutter nach Prag. „Kommen Sie aus dem reichen oder aus dem armen Deutschland?“, fragte ein tschechischer Professor im Zug. „Aus dem armen“, sagte meine Großmutter, die Kaiserreich, Weimarer Republik, Hitlerzeit und DDR erlebt hatte, und lächelte: „Aber ich habe drei wunderbare Enkel.“

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