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Sonnenstrom steuern. Durch intelligente Systeme, gemeinsam entwickelt von etablierten Firmen und Gründern, soll die Energiewende vorankommen.

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Erneuerbare Energien: „Ohne IT keine Energiewende“

Innovationen entstehen in Firmen, Universitäten und Start-ups. Sie sollen künftig stärker kooperieren, fordern Hamburger Experten.

In Hamburg wird ab diesem Mittwoch noch ein bisschen mehr über Berlin geredet. Auf dem Gelände der ehemaligen Maschinenfabrik Kampnagel im Stadtteil Winterhude treffen sich rund 1000 Fachleute für drei Tage zur Solutions Hamburg. Auf dem Kongress soll sich alles um Digitalisierung, Business und IT drehen. Ein Themenschwerpunkt: Wie groß sind die Chancen, die aus disruptiven Technologien erwachsen? Und wie hoch die Risiken, wenn bestehende Produkte verdrängt und tradierte Strukturen zerstört werden?

Besonderen Wandel erlebt die deutsche Energiewirtschaft

Die zunehmende Digitalisierung verändert sämtliche Bereiche der Wirtschaft – ohne Ausnahme. Ein Segment, das derzeit einen besonders tiefgreifenden Wandel erlebt, ist die deutsche Energiewirtschaft. Ein Beispiel aus der Hauptstadt: Aus dem Umspannwerk Britz in Neukölln erhalten Stromerzeugungsanlagen neuerdings per Funk den Befehl, mehr oder weniger zu produzieren. Entwickelt haben das System im vergangenen Jahr der Regionalversorger Stromnetz Berlin, die Bosch Software Innovations und der Mobilfunknetzbetreiber E-Message Wireless Information Services. Derzeit steuert E-Nergy, wie die Entwickler ihr Modell getauft haben, zwar erst rund 200 kleinere Solarstrom-Produktionsanlagen und Verbrauchsstellen – private und gewerbliche Kunden mit Nachtspeicherheizungen oder E-Car-Ladesäulen. Bald schon soll es aber auch in anderen Bezirken eingesetzt werden.

Die Machine-to-Machine-Lösung wurde mit dem Innovationspreis ausgezeichnet

Laut Dietmar Gollnick, Geschäftsführer von E-Message, lassen sich alle etwa 5200 Solaranlagen auf Berliner Dächern anschließen sowie 800 Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung und gut 15 000 Nachtspeicherheizungen und 3800 Wärmepumpen in der Stadt integrieren. Die Machine-to-Machine-Lösung, ausgezeichnet mit dem Innovationspreis Berlin-Brandenburg, könne eine zentrale Funktion im Energiemanagement übernehmen, „weil das System eine sichere Funkübertragung der Steuerungssignale vieler kleiner dezentraler Erzeugungs- und Verbrauchseinrichtungen gewährleistet“.

Gollnick hält die Zusammenarbeit mit Stromnetz Berlin für beispielhaft: „Für viele Konzerne ist die Kooperation mit Unternehmen anderer Branchen wie eine Frischzellenkur.“ Kleinere Entwicklungsteams seien „manchmal kreativer und schneller als Großunternehmen“. Letztere hofften, dass sie zusammen mit jungen digitalen Unternehmen „schneller neue, lukrative Dienstleistungen und digitale Produkte entwickeln können“. Das sieht auch Jan Rispens so, der Stratege der Clusteragentur Erneuerbare Energien Hamburg. „Die Branchen-Landschaft ändert sich gerade dramatisch“, sagt er. „Ohne IT ist die Energiewende nicht vorstellbar.“ Experten beider Felder, Ingenieure und IT-Spezialisten, die Old Economy und die digitale Gründerszene, müssten sich intensiver vernetzen, „damit künftig mehr intelligente Lösungen entwickelt werden“. Hinzu kommt – praktisch als dritte Säule – die Wissenschaft. In Universitäten entstehen aus vielversprechenden Forschungsprojekten sogenannte Spin-offs, die von den Forschern wie kleine Firmen geführt werden – und aus denen im besten Fall tatsächlich kleine Firmen werden. Auch so wandert Wissen, zum Beispiel aus der Informatik, in die Wirtschaft. Ein Konzept, das nicht nur in der Keimzelle der Digitalisierung, dem kalifornischen Silicon Valley, seit Jahrzehnten funktioniert.

Hamburg soll bei regenerativer Stromerzeugung Führungsrolle einnehmen

Sonnenstrom steuern. Durch intelligente Systeme, gemeinsam entwickelt von etablierten Firmen und Gründern, soll die Energiewende vorankommen.
Sonnenstrom steuern. Durch intelligente Systeme, gemeinsam entwickelt von etablierten Firmen und Gründern, soll die Energiewende vorankommen.

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Die norddeutsche Metropolregion soll, so das erklärte Ziel von Politikern in Hamburg, Cuxhaven und Lübeck, in Neumünster und Lüneburg, beim Ausbau der sauberen Stromerzeugung und -übertragung eine zentrale Rolle einnehmen. Laut einer Prognos-Studie arbeiten hier heute schon rund 25 000 Menschen in der regenerativen Energiewirtschaft. „Insbesondere im Bereich der IT-gestützten Energiedienstleistung ist weiteres Wachstum möglich“, sagt Rispens. In dem 2010 gegründeten Cluster Erneuerbare Energien sind mittlerweile 180 Industrieunternehmen, Start-ups, technische Dienstleister, Banken, Rechtsanwälte und Institute aktiv.

Dass Hamburg eine Hochburg des jungen Branchensegments ist, belegt die Tatsache, dass die Big Four der deutschen Energiewirtschaft, Eon, RWE, EnBW und Vattenfall Europe, ihre Konzernsparten für regenerative Energien zwischen Alster und Elbe angesiedelt haben. Und sie suchen hier auch nach „Blutauffrischung“. So hat sich vor wenigen Wochen die baden-württembergische EnBW 15 Prozent an dem Hamburger Start-up DZ-4 gesichert, das Privatkunden eine Ökostromversorgung über Solarstromanlagen und Stromspeicher anbietet. „Uns verschafft dieser Einstieg neben Kapital vor allem Glaubwürdigkeit und Synergiepotenziale“, sagt DZ-4-Geschäftsführer Florian Berghausen. Es sei bei Kunden und Investoren hilfreich, einen Konzern als Partner mit am Tisch zu haben. Für das Karlsruher Energieunternehmen ist DZ-4 die erste strategische Beteiligung unter Ägide der mit 100 Millionen Euro Wagniskapital ausgestatteten Tochter EnBW New Ventures. Sie soll die Zusammenarbeit mit der Gründerszene intensivieren. EnBW hatte sich 2013 eine neue strategische Ausrichtung verschrieben und beschlossen, rund 3,5 Milliarden Euro in den Ausbau der erneuerbaren Energien zu investieren. Berghausen hofft auf weitere Beteiligungen der EnBW: „Das würde eine enge Vernetzung der Portfolio-Firmen untereinander ermöglichen.“

Hamburg half bei der Sponsorensuche

Der Senat der Hansestadt unterstützt die Solutions Hamburg mit 50 000 Euro. Hamburg hat außerdem bei der Sponsorensuche geholfen. Jens Unrau, im Senat verantwortlich für Neue Medien und IT-Wirtschaft, verbucht das Engagement unter Wirtschaftsförderung. Man strebe „mehr Sichtbarkeit der Hamburger Digitalwirtschaft über die Grenzen der Stadt hinaus“ an. Nach Berlin als Nummer eins unter den deutschen Start-up-Regionen ringt Hamburg mit München und dem Rhein-Ruhr-Gebiet um die Plätze. Die Hauptstadt hingegen duelliert sich inzwischen eher auf der europäischen Ebene, allen voran mit London. Als eine Positionierung gegen Berlin will Unrau den Hamburger Kongress dann auch auf keinen Fall verstanden wissen. „Die Strukturen der beiden Standorte sind nicht zu vergleichen“, sagt er.

Veranstaltungshinweis: Drei Minuten für eine Idee

Mehr als 100 Digital-Forscher kommen am 7. Oktober in Berlin-Friedrichshain im „Kosmos“ (Karl-Marx-Allee 131a) zusammen – zum „Digital Science Match“, einem neuen gemeinsamen Format des Tagesspiegels und der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“. Bei dem ganztägigen Kongress, der um 9 Uhr beginnt, treffen sich alle Akteure der digitalen Szene – Wirtschaft, Wissenschaft, Start-ups, Young Professionals und Studierende. Das Besondere: Jeder Forscher muss seine Idee in einem Vortrag mit nur drei Minuten Länge zusammenfassen. So viel IT-Kompetenz in so kurzer Zeit gab es wohl noch nie. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller eröffnet den Tag mit einer Keynote um 10.30 Uhr. Studierende und Berufseinsteiger können kostenlos an der Veranstaltung teilnehmen – wenn sie sich bis Donnerstag (10. September) online erfolgreich um ein Stipendium bewerben. Alle weiteren Infos, auch zu Rednern und Programm unter www.science-match.info.

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