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Wirtschaft: Erst die Party, dann der Absturz

Drei Jahre nach Beginn der Talfahrt sind die Pessimisten noch in der Mehrzahl – nur wenige glauben an den Beginn eines neuen Aufschwungs

BÖRSENCRASH: KEIN ENDE DER BAISSE IN SICHT

Berlin (mot). Nach drei Jahren fallender Aktienkurse ist eine nachhaltige Erholung der Börsen nicht in Sicht. Am Freitag sackte der Dax zwischenzeitlich unter 2400 Punkte und damit auf den tiefsten Stand seit sieben Jahren. Berichte über die angebliche Festnahme von Söhnen des MoslemExtremisten Osama bin Laden verhalfen dem Dax am Nachmittag dann zu kleinen Kursgewinnen. Der mit Spannung erwartete Bericht von UNO-Chefinspektor Hans Blix über den Stand der Abrüstungskontrollen im Irak blieb dagegen ohne große Auswirkung auf die Kurse. Der Dax schloss bei 2431,66 Zählern – 0,2 Prozent tiefer als am Donnerstag.

Am Morgen hatten den europäischen Markt bereits schlechte Nachrichten aus Fernost erreicht und die Stimmung getrübt: Der Nikkei-Index fiel an der Börse in Tokio auf den tiefsten Stand seit 20 Jahren. Zum Börsenschluss in Tokio sank der Index um 225,03 Punkte oder 2,69 Prozent auf 8144,12 Zähler. Auch an den US-Börsen, die schon am Donnerstag kräftig verloren hatten, setzte sich die Baisse (siehe Lexikon Seite 18) zunächst fort. Der Dow-Jones-Index erholte sich später etwas und lag bei Börsenschluss in Deutschland bei 7665 Punkten (minus 0,1 Prozent). Der Nasdaq-Index verlor zuletzt 0,4 Prozent auf 1297 Zähler.

„Wir begehen ein Jubiläum ohne Feier“, sagte Heiko Thieme, Chef der New Yorker Fondsgesellschaft American Heritage Management, dem Tagesspiegel am Freitag. Vor drei Jahren, am 7. März 2000, hatte der Dax mit zwischenzeitlich 8136 Punkten sein Allzeithoch erreicht. Seitdem hat das wichtigste deutsche Börsenbarometer 70 Prozent an Wert verloren. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der 30 Dax-Unternehmen wurden insgesamt rund 660 Milliarden Euro vernichtet. Anlegern, die vor drei Jahren 10000 Euro investierten, bleiben heute noch knapp 3000 Euro. „Das ist der längste Kurseinbruch in der Börsengeschichte“, sagte Thieme. „Das haben selbst die Pessimisten nicht für möglich gehalten.“ Thieme bezeichnet sich selbst als Börsenbulle, der langfristig mit steigenden Aktienkursen rechnet.

Davon kann allerdings vorerst nicht die Rede sein. Vor allem die zugespitzte Lage im Irak-Konflikt setzt den Börsianern weiterhin zu. Der Bericht der UNO-Waffeninspekteure, in dem Blix Irak bei aller Kritik eine bessere Zusammenarbeit bescheinigte, habe keine Überraschung enthalten und liefere sowohlBefürwortern eines Krieges als auch Gegnern Argumente, sagten Aktienexperten. US-Präsident George W. Bush hatte am Donnerstag angedeutet, ein bewaffneter Konflikt im Irak könne bevorstehen, sollte das Land nicht abrüsten.

Zusätzlich unter Druck gerieten die Märkte am Freitag, nachdem negative Nachrichten aus der amerikanischen Wirtschaft bekannt gegeben worden waren. „Wenn die US-Wirtschaft Schwächesignale zeigt, dann mögen das die Märkte gar nicht“, sagte ein Händler. Die Zahl der US-Beschäftigten außerhalb der Landwirtschaft war im Februar um 308000 gefallen, statt wie erwartet um 8000 gestiegen. Der „katastrophale“ Arbeitsmarktbericht zeige, in welch schwieriger Lage die US-Wirtschaft sei, sagte Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank

Der Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Union Investment, Ulrich Berz, nannte drei Gründe für den morgendlichen Absturz des Dax: Die schlechten Zahlen des US-Chipherstellers Intel, die Erklärung Bushs sowie die anhaltende Enttäuschung über die nur geringfügige Senkung der Leitzinsen durch die Europäische Zentralbank. Zu einer ernsten Belastung für die deutsche Exportwirtschaft könnte auch der starke Euro werden. Er verteuert die Ausfuhren und macht Produkte aus Deutschland in den USA weniger attraktiv. Nach Veröffentlichung der US-Arbeitsmarktzahlen kletterte die Gemeinschaftswährung auf den höchsten Stand seit vier Jahren. Die EZB legte den Referenzkurs bei 1,1039 (Donnerstag 1,0963) Dollar fest. Experten wie der Vermögensverwalter Jens Ehrhardt (siehe Interview) fürchten, dass der starke Euro und die undifferenzierte Geldpolitik der EZB im gemeinsamen Währungsraum die Börsen langfristig lähmen könnten.

Anders Heiko Thieme: „Bei einem Stand von unter 2500 Punkten wird der Dax gemessen an den zugrunde liegenden Unternehmenswerten verschenkt“, sagte er. Angesichts der günstigen Bewertungen sieht Thieme die Märkte nun am Beginn eines neuen Aufschwungs. Zwar seien die Aktien mit im Durchschnitt zweistelligen Kurs-Gewinn-Verhältnissen immer noch über dem langfristigen Mittel bewertet. Da das Zinsniveau aber gleichzeitig auf einem 40-Jahres-Tief angelangt sei, seien Aktien vergleichsweise attraktiv. Thiemes Prognose: „Der Dow-Jones-Index wird ohne jeden Zweifel in diesem Jahrzehnt neue Höchststände erreichen.“ Das letzte Hoch hatte der Index am 14. Januar 2000 bei 11723 Punkten markiert. „Am Ende des Jahrzehnts steht der Dow – konservativ geschätzt – bei 13000 bis 15000 Zählern“, schätzt Thieme. Den Dax sieht er im gleichen Zeitraum bei 5000 Punkten. „Im Jahr 2015 sehen wir den alten Höchststand von gut 8000 Punkten wieder.“

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