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Wirtschaft: „Es gibt keine Weiterbildungskultur in Deutschland“

Der baden-württembergische IG-Metall-Chef Berthold Huber über die rot-grüne Regierung, Qualifizierung und die Zukunft der Gewerkschaften

Herr Huber, Ihr Metallerkollege Walter Riester ist aus der Bundesregierung ausgeschieden.

Bedauerlicherweise.

Was erwarten Sie von seinem Nachfolger Wolfgang Clement?

Clement hat die Reform des Arbeitsmarktes als Schwerpunktaufgabe, da geht es im Wesentlichen um den Vollzug der HartzVorschläge. Alles in allem sind wir natürlich nicht glücklich darüber, dass Arbeit und Wirtschaft in einem Ministerium zusammengeführt wurden; dadurch könnte das Thema Arbeit vernachlässigt werden.

Schröder und Clement wollen Hartz 1:1 umsetzen. Die IG Metall auch?

Wichtig ist die Neuorganisation der Arbeitsämter zu Job-Centern und auch die Personal-Service-Agenturen (PSA); hier ist aber entscheidend, dass die Leute zu fairen Tarifen von den PSA an Betriebe ausgeliehen werden. Für falsch halte ich das Instrument der so genannten Ausbildungswertpapiere.

Sie sind SPD-Mitglied, haben sich aber häufiger kritisch über Rot-Grün geäußert. Zum Einen fehlt Ihnen eine Vorstellung der Regierung über die künftige Gesellschaft, zum Anderen sind Sie nicht mit Eichels Sparkurs einverstanden.

Ich kann dem Argument von Eichel folgen, wenn er sagt, dass wir nicht das Geld der kommenden Generationen ausgeben können. Aber nur Sparen ist auch kein Konzept, und seit der Bundestagswahl gibt es ja auch eine gewissen Korrektur. In einer konjunkturellen Schwächephase muss man die Konsolidierung etwas lockern, um über Investitionen Arbeit nachzufragen und einen Impuls zu geben. Unser Problem ist doch nicht der Export, sondern der Binnenmarkt.

So haben Sie auch bei der diesjährigen Tarifrunde argumentiert und hohe Lohnabschlüsse durchgesetzt. Die Binnennachfrage ist aber unverändert schwach.

Die Binnennachfrage im Sinne von Konsumnachfrage ist etwas anderes als staatliche Investitionstätigkeit. Die privaten Verbraucher haben seit Jahren erstmals wieder ihre Sparquote erhöht, weil die Leute größere Ausgaben verschieben. Und natürlich ist es nicht lustig, wenn die Arbeitnehmer zum Beispiel über höhere Krankenversicherungs- und Rentenversicherungsbeiträge einen Teil der Lohnerhöhungen verlieren.

Die Wirtschaft kommt nicht in Schwung, die Stimmung ist schlecht, allenthalben werden Reformen gefordert, um einen Stimmungswandel zu kriegen, doch gegen die größten Bremser im Lande, die Gewerkschaften, kommt die Politik offenbar nicht an.

Hinter dieser Einschätzung steckt viel Ideologie. Die Gesellschaft krankt eben auch an flotten Sprüchen, einfachen Rezepten und schlichten Schuldzuweisungen.

Das drängendste Problem der Sozialsysteme ist die Demografie, die Gewerkschaften scheinen das zu übersehen.

Wer hat denn das Rentensystem reformiert? Das war doch nicht die Regierung Kohl in 16 Jahren sondern der angebliche Regulierungsminister und IG-Metaller Riester.

Gegen den Widerstand der Gewerkschaften?

Ob mir der Weg im Einzelfall passt, ist eine ganz andere Frage. Aber Riester hat das Thema angepackt und fördert die private Altersvorsorge.

Trotzdem droht ein Rentenversicherungsbeitrag von mehr als 20 Prozent.

Ich weiß das. Das Problem ist noch viel schwer wiegender. Die Gesellschaft altert, aber das die Arbeitsgesellschaft auch altert, wird überhaupt nicht diskutiert. Wie soll das gehen, dass die Menschen immer länger arbeiten? Nehmen wir den Fahrzeugbau, da gibt es inzwischen Taktzeiten von einer Minute. Das heißt, dass sich Handgriffe oder Arbeitsvorgänge jede Minute wiederholen. Glauben Sie, dass ein Mensch das bis zum 65 Lebensjahr machen kann?

Was ist die Alternative?

Wir müssen über Arbeitspolitik diskutieren. In der Fertigung der Mercedes A-Klasse in Rastatt gibt es eine junge Belegschaft mit im Schnitt unter 40 Jahren. Bei 40-Jährigen haben wir dort schon das Problem, dass die Leute nicht mehr können.

Also mit 40 in den Vorruhestand?

Eine Möglichkeit sind Langzeitkonten, das kann zu einer anderen Arbeitsverteilung über die Dauer des Erwerbslebens führen. Und wir brauchen differenzierte Ausstiegsmodelle und Altersteilzeit. Jemand, der in einem Taktrhytmus arbeitet, wird das nicht bis 65 schaffen.

Warum gibt es noch keine Tarife, in denen die Arbeitszeit nach Lebensalter gestaffelt ist?

Es gibt sie punktuell. Zum Beispiel bei der ehemaligen Daimler-Chrysler-Tochter Debis. Da setzt die wöchentliche Arbeitszeitverkürzung beim 50. Lebensjahr ein und geht dann sukzessive runter. Aber in der Industrie haben wir Arbeitsformen, die mich regelrecht erschüttern. Etwa bei der Herstellung von Kühlschränken oder Waschmaschinen liegen die Takte unter 30 Sekunden. Das muss man wissen, wenn man über Demografie diskutiert und für eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit plädiert. Und es gibt ein weiteres Problem: Im Automobilbau haben heute mindestens 65 Prozent der Menschen an den Bändern einen Facharbeiterbrief. In einigen Jahren ist diese Qualifikation nichts mehr wert, und in der nächsten Krise ist das dann die neue Generation der Langzeitarbeitslosen.

Wie lässt sich das vermeiden?

Wir müssen ein anderes Produktionsmodell anstreben, dass den Menschen eine zusätzliche Qualifizierung ermöglicht, die ihnen nicht nur Arbeitsplatzsicherheit gewährleistet, sondern auch die Chance gibt, sich aus den auszehrenden Tätigkeiten herauszuentwickeln. Wir haben darüber verhandelt, aber die Arbeitgeber haben das abgelehnt.

Mit welchem Argument?

Es hängt mit der Fertigungstiefe in den Fabriken zusammen. Mercedes in Rastatt ist sozusagen ein Synonym für eine hochgradige Arbeitsteilung bei geringer Fertigungstiefe. Rastatt ist ein reines Montagewerk, ein großer Teil der Wertschöpfung findet bei den Zulieferern statt.

Auf Grund der geringen Wertschöpfung wird also Weiterbildung vernachlässigt?

Ja. Dabei ist Qualifizierung das wichtigste Instrument gegen Arbeitslosigkeit. Wir haben in Baden-Württemberg 5,4 Prozent arbeitslose Menschen, das sind 295 000. 43,6 Prozent davon haben keine Berufsausbildung.

Was tun die Tarifparteien für mehr Qualifizierung?

Wir haben da Versäumnisse, Gewerkschaften genauso wie die Arbeitgeber. Es gibt keine Weiterbildungskultur in Deutschland. Nochmal zurück zu den Arbeitslosen in Baden-Württemberg: 39 Prozent von ihnen sind 50 Jahre und älter. Das sind Leute, die eine Qualifikation haben, aber diese Qualifikation ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

Wie kann Weiterbildung besser organisiert werden?

So, wie wir ein System der Erstausbildung haben, brauchen wir ein System „lebenslanges Lernen“. Bislang beginnt man die Betroffenen erst zu qualifizieren, wenn sie arbeitslos sind. Das geht nicht mehr, denn die Qualifizierungsanforderungen an alle werden künftig noch höher. Vielleicht haben wir heute eine zu spezialisierte Ausbildung. Möglicherweise bräuchten wir eine Grundlagenausbildung und dann darauf aufbauend einen Prozess des lebenslangen Lernens, zum Beispiel in Weiterbildungsmodulen.

Der Flächentarifvertrag als Kern des Tarifsystems soll künftig flexibler und differenzierter werden. Wie kann das aussehen?

In Baden-Württemberg gibt es Betriebe, die außerordentlich gut verdienen. Der berühmteste Fall ist Porsche, wo der Gewinn in diesem Jahr um 40 Prozent steigt. Die Kollegen bei Porsche haben selbstverständlich andere Ansprüche an Tarifabschlüsse als Arbeitnehmer in weniger gut verdienenden Betrieben. Es gibt jetzt schon die Möglichkeiten, im Tarifvertrag unter bestimmten Bedingungen nach unten abzuweichen. Aber wir brauchen auch Spielräume nach oben, zum Beispiel für die Mitarbeiter bei Porsche.

Stoppt so etwas den Mitgliederschwund bei den Gewerkschaften?

Das, was wir zu bieten haben, muss für die Menschen attraktiv sein: Es geht nicht nur um Geld, es geht um Arbeitszeit und Qualifikation. 48 Prozent der neu geworbenen Mitglieder in Baden-Württemberg sind übrigens 25 Jahre und jünger.

Wie muss die IG Metall in einigen Jahren aussehen?

Sie muss ein Profil haben, in dessen Zentrum die Arbeit, die Gestaltung der Arbeit und die individuelle Entwicklung der Menschen steht. Der Einzelne muss größere Möglichkeiten erhalten. Im Zentrum müssen wir die Arbeit haben und dabei die Bildung neu entdecken. Schließlich muss die IG Metall auch politisch auf der Höhe der Zeit diskutieren.

Sie gelten als Modernisierer und der zweite Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Peters, als Traditionalist. Ist das eine zutreffende Etikettierung?

Ich kann mit solchen Zuordnungen relativ wenig anfangen.

Dann beschreiben Sie sich selbst.

Ich bin ein Mensch, der versucht, immer neu zu denken. Jedes Thema braucht in seiner Zeit eine neue Antwort. Deshalb schätze ich Reformen. Wenn Gewerkschaften, Institutionen oder Firmen nicht auf der Höhe der Zeit stehen, dann fliegen sie irgendwann raus.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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