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Wirtschaft: „Es ist doch kein Wunder, dass die Leute empört sind“

Gerhard Rupprecht, Chef der Allianz Lebensversicherung über die Belastungen für die Betriebsrentner und die Zukunft der Branche

Herr Rupprecht, ist die Krise der Lebensversicherer vorbei?

Ich weiß nicht, was Sie unter Krise verstehen.

Börsenverluste in Milliardenhöhe, die Pleite der Mannheimer Lebensversicherung, die sinkenden Gewinnbeteiligungen der Kunden …

Der Einbruch an den Aktienmärkten hatte uns zweifellos getroffen. Aber inzwischen haben sich die Börsen wieder erholt, und die Lebensversicherer haben ihre stillen Lasten – soweit vorhanden – weitgehend abgebaut. Die meisten Versicherer dürften jetzt bereits wieder Reserven aufgebaut haben. Wenn ich mir die heutige Situation unserer Branche anschaue, komme ich zum Ergebnis, dass die deutschen Lebensversicherer eine sehr schwierige Zeit erfolgreich gemeistert haben.

Kaufen Sie wieder Aktien?

Ja, Allianz Leben kauft wieder ausgewählte Aktien. Für ein langfristig investierendes Lebensversicherungsunternehmen sind Aktien eine wichtige Anlage. Wir treffen unsere Anlageentscheidungen nicht abhängig von den jeweiligen Launen an den Märkten, weil wir langfristig investieren. Das kann mal anders sein, wenn es so ein Jahrtausendereignis gibt wie den Börsencrash vor zwei Jahren.

Ein Jahrtausendereignis?

Finanzmathematisch gesehen, kommt ein solcher Crash nur alle 1000 Jahre einmal vor. Damals mussten wir natürlich auch reagieren und haben selektiv verkauft, um unser Risiko zu verringern.

Wie viel Kapital haben Sie in den Crashjahren abschreiben müssen, wie viel Geld haben Sie verloren?

Die Höhe der Abschreibungen sagt allein nichts aus. Sie müssen auch sehen, welche massiven Gewinne wir in den 90-er Jahren aus Aktien realisiert und an unsere Kunden weitergegeben haben. Wir hatten immer eine überdurchschnittlich hohe Aktienquote. Heute liegt sie bei 13 Prozent.

Wie viele Ihrer Verluste hat der Steuerzahler getragen?

Gar nichts.

Obwohl Sie Ihre Verluste mit Ihren Gewinnen verrechnen dürfen und das sogar rückwirkend bis zum Jahr 2001?

Sie meinen das vermeintliche Milliardengeschenk an die Versicherungswirtschaft. Das ist eine der größten Legenden, die ich bisher erlebt habe. Das genaue Gegenteil ist richtig: Im vergangenen Jahr gab es plötzlich bei der Unternehmensbesteuerung eine rückwirkende „Klarstellung", dass Verluste aus Aktienfonds steuerlich nicht mehr abzugsfähig sein sollten. Im Gesetz standen die Aktienfonds aber gar nicht drin.

Ja, und?

Versicherungsunternehmen sind traditionell stark in Aktienfonds engagiert und daher von der „Klarstellung" massiv betroffen. Bei der Allianz Leben werden wir jetzt ein Mehrfaches unseres Jahresüberschusses an Steuern zahlen müssen. Hätten wir im letzten Jahr gewusst, wie das Gesetz ausgelegt wird, hätten wir uns entsprechend in der Kapitalanlage verhalten können. Jetzt müssen wir plötzlich für die Jahre 2001 und 2002 Steuern nachzahlen. Von einem Steuergeschenk zu sprechen, ist daher wirklich abwegig.

Auch Ihre Kunden haben in den vergangenen zwei Jahren Abstriche machen müssen. Wann können sie wieder auf steigende Gewinnbeteiligungen hoffen?

Vergessen Sie nicht, dass wir unseren Kunden viele Jahre lang ständig steigende Überschussbeteiligungen gezahlt haben. Wir haben jahrelang mehr ausgeschüttet als wir in unseren Beispielrechnungen ausgewiesen hatten. Dass die Gewinnbeteiligungen jetzt gesunken sind, liegt an den niedrigen Zinsen an den Kapitalmärkten. Ob und wann die Überschussbeteiligungen wieder steigen, kann niemand sagen. Das hängt von den langfristigen Kapitalmarktzinsen ab und von der Frage, wie stabil die Aktienmärkte bleiben. Aber so lange die Inflation niedrig bleibt, fahren unsere Kunden auch mit der derzeitigen Realverzinsung durchaus gut.

Reicht Ihren Kunden das denn?

Ja, 2003 war für die gesamte Lebensversicherungsbranche ein ausgezeichnetes Geschäftsjahr mit einem Anstieg des Neugeschäfts um 17 Prozent, wenn man die Pensionskassen einrechnet. Wir bei der Allianz Leben haben diesen Wert sogar noch deutlich übertreffen können, das ist ein absoluter Rekord. Je unsicherer die Märkte, desto mehr greifen die Menschen auf Garantieprodukte zurück, bei denen ein Wertverlust ausgeschlossen ist. Davon haben wir als finanzstarkes Unternehmen profitiert. Wir haben unseren Marktanteil im vergangenen Jahr noch einmal kräftig ausgebaut.

Für viele Betriebsrentner hat sich die vermeintliche Sicherheit als Trugschluss erwiesen. Im Zuge der Gesundheitsreform müssen sie seit Jahresanfang doppelt so hohe Krankenkassenbeiträge zahlen wie vorher. Sollte die Regierung diese Belastung zurücknehmen?

Ja. Besonders problematisch ist, dass Betriebsrenten bei Auszahlung auch dann mit Krankenkassenbeiträgen belegt werden, wenn schon in der Einzahlungsphase solche gezahlt wurden. Sinnvoller wäre, die Krankenversicherungspflicht entweder ausschließlich bei Einzahlung oder aber bei Auszahlung vorzusehen. Es ist daher kein Wunder, dass die Leute jetzt empört und verunsichert sind.

Entwertet das die betriebliche Altersvorsorge?

Wenn es dabei bleibt: Ja, und das ist schade. Denn die Regierung hat mit ihrem Altersvermögensgesetz der betrieblichen Altersvorsorge einen kräftigen Schub gegeben. Wir haben im letzten Jahr einen wirklichen Boom erlebt. Die Pensionskasse ist unser Verkaufsschlager mit ungewöhnlichen Steigerungsraten. Überall in den Unternehmen sind die Mitarbeiter bereit, einen Teil ihres Gehaltes im Wege der Entgeltumwandlung in die betriebliche Altersvorsorge zu stecken. Wenn die Politik jetzt auf die Altersvorsorge zugreift, konterkariert das etwas, was sehr gut angelaufen ist und sehr gut gemacht war.

Was sollte die Regierung stattdessen tun, um die private Vorsorge zu stärken?

Die betriebliche Altersvorsorge hat bereits einen echten Aufschwung erlebt. Die Mitarbeiter haben jetzt einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass ihr Arbeitgeber ihnen eine betriebliche Vorsorge anbietet. Das hat sehr geholfen. 40 Prozent unseres gesamten Neugeschäfts ist im vergangenen Jahr auf die betriebliche Altersvorsorge entfallen. Aber die neuen Steuerpläne der Bundesregierung könnten dem ganzen einen Dämpfer verpassen. Die Regierung will die Pauschalbesteuerung der Direktversicherung ersatzlos abschaffen. Das ist eine Einschränkung und ein Signal in die falsche Richtung.

Und die Riester-Rente?

Die Riester-Rente ist ein Flop. Wir haben den Großteil unseres Geschäftes ganz am Anfang in den ersten drei Monaten gemacht. Seitdem gehen die Abschlüsse sukzessive zurück.

Woran liegt das?

Das Einstiegsniveau ist zu niedrig. Zehn Euro Eigenbeitrag im Monat und fünf Euro Zulage sind einfach zu wenig. Noch nicht einmal die Hälfte der Leute beantragt die staatliche Zulage. Das Verfahren und die Zulagen sind zu kompliziert.

Ist die Riester-Rente noch zu retten?

Ja, aber die Änderung muss so deutlich sein, dass das Produkt als etwas Neues empfunden wird. Wenn man an der alten Riester-Rente nur etwas herumdoktert, wird man sie nicht vermarkten können – weder politisch noch beim Kunden.

Muss man die Riester-Rente umbenennen in Ulla-Schmidt-Rente? Aber wahrscheinlich ginge das nach hinten los.

Vielleicht sollte man einen Namen wählen, der die Jahrzehnte und Jahrhunderte überdauert.

Bei der Kapitallebensversicherung will die Regierung die Steuerfreiheit der Erträge und den Sonderausgabenabzug für Neuverträge ab dem Jahr 2005 streichen. Kaufen die Kunden jetzt noch auf den letzten Drücker Policen mit den alten Steuervorteilen?

Nein, das ist noch kein Thema.

Oder glauben Sie, dass Sie die Steuerprivilegien noch verteidigen können?

Ich glaube, dass wir noch wesentliche Verbesserungen erreichen werden. Wenn es bei den bisher vorgeschlagenen Vorschriften bliebe, würde die Kapitallebensversicherung verglichen mit reinen Geldanlageprodukten massiv diskriminiert. Man kann nicht auf beiden Seiten, bei der Ein- und bei der Auszahlung, besteuern.

Und: Was wollen Sie opfern?

Wir wollen gar nichts opfern, weil kein Opfer sinnvoll wäre. Aber da vom Sonderausgabenabzug nur Selbstständige und Beamte profitieren, ist es für die Masse unserer Kunden wichtiger, dass die Steuerfreiheit der Erträge bleibt.

Wenn die Kunden die Gewinne künftig versteuern müssen, wäre das das Ende der Kapitallebensversicherung?

Nein. Denn wir garantieren den Versicherungsnehmern, dass sich ihr eingezahltes Kapital auf jeden Fall vermehrt. Außerdem können wir Kapitalanlage und Vorsorge – also zum Beispiel Hinterbliebenen- und Berufsunfähigkeitsschutz – miteinander verbinden. Das kann so kein anderes Finanzprodukt und reine Kapitalanlagen schon gar nicht.

Das Interview führte Heike Jahberg.

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