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Wirtschaft: „Es ist nicht Weihnachten“

Die Mehreinnahmen müssen in den Schuldenabbau fließen

Früher als sonst hat der Sommer in diesem Jahr seine Vorboten übers Land geschickt. Bei den meisten von uns hebt das die Stimmung merklich – erst recht, wenn noch ein derart robuster Konjunkturaufschwung hinzukommt, wie wir ihn seit dem Jahr 2000 nicht mehr gesehen haben. Allerdings: Kaum hat man sich an das Sommer-Sonne- Wohlgefühl gewöhnt, da sieht man sich auch schon – ziemlich abrupt – in die Vorweihnachtszeit mit ihren langen Wunschzetteln und -listen versetzt. Für manche scheint schon wieder Weihnachten zu sein, wenn man sich nur die mit viel Emphase, Verve und Fantasie geführte Diskussion zur Verwendung der „sprudelnden“ Steuermehreinnahmen ansieht. Diese Debatte ist in weiten Teilen irrational – und zwar aus finanz- wie aus gesellschaftspolitischer Perspektive.

Ja, die Steuerschätzer werden Ende dieser Woche alleine für den Bund Steuermehreinnahmen von gut 90 Milliarden Euro bis zum Jahr 2011 prognostizieren. Darüber freuen wir uns, und darauf können wir auch mal ein bisschen stolz sein. Realisten aber wissen: Von den rund 90 Milliarden Euro wird nicht viel übrig bleiben. Warum? Ganz einfach: Seit Mai 2006 haben sich nicht nur die Aussichten bei den Steuereinnahmen deutlich verbessert, sondern wir haben ja auch eine Reihe von Projekten beschlossen, die wir in den nächsten vier Jahren noch zu finanzieren haben. Wie jeder ehrliche Kaufmann müssen wir diese Ausgaben natürlich von den prognostizierten Mehreinnahmen abziehen. Das mag nicht sonderlich „sexy“ sein, aber das bewahrt uns vor einer – der wievielten eigentlich? – finanzpolitischen Fata Morgana. Fakt ist: Der Bund investiert in den nächsten vier Jahren 19 Milliarden Euro zusätzlich in die gesetzliche Krankenversicherung, die wir noch nicht finanziert haben. Wir haben Milliardenzahlungen aufgrund von EuGH-Urteilen zu leisten, die gegen uns – und damit gegen unseren Haushalt – ergangen sind. Zusammen mit zusätzlichen Belastungen im Bereich des Arbeitsmarktes von 20 Milliarden Euro und den Investitionen für die Unternehmensteuerreform von zwölf Milliarden Euro allein beim Bund schmelzen die sagenhaften 90 Milliarden Euro an Mehreinnahmen wie Eis in der Sommersonne zusammen.

Damit fangen die Probleme erst richtig an. Denn im Rahmen der Haushaltsaufstellung für die Jahre 2008 bis 2011 bin ich mit Mehrforderungen aus den Ministerien von fast 30 Milliarden Euro konfrontiert. Das hieße: Wir hätten – selbst in Zeiten einer boomenden Konjunktur! – kaum noch finanzielle Kraft, um unsere Staatsverschuldung abzubauen. In unseren Plänen sind dort aber jedes Jahr noch rund 20 Milliarden – in der Summe also 80 Milliarden Euro – an Neuverschuldung verplant, die es abzubauen gilt. Würden wir das nicht schaffen, wäre das ein Armutszeugnis für die gesamte politische Klasse.

Fakt ist: Die Staatsverschuldung von 1500 Milliarden Euro wächst weiter, wenn auch langsamer – in diesem Jahr um circa 19 Milliarden Euro. Die Zinsen von 40 Milliarden Euro, die alleine der Bund dafür pro Jahr aufbringen muss, machen den finanziellen und damit politischen Spielraum für uns, vor allem aber für die nachfolgenden Generationen immer enger.

Für mich gibt es keinen einzigen plausiblen Grund, warum der Staat sich unvernünftiger als jeder ökonomisch denkende Privathaushalt verhalten sollte. Jeder vernünftige private Bauherr wird zu allererst seinen Hypothekenkredit tilgen, um die Zinszahlungen an seine Bank zu minimieren, bevor er zusätzlichen Konsum betreibt. Deshalb kann es auf die Frage, wie wir die zu erwartenden Steuermehreinnahmen sinnvoll verwenden, nur eine Antwort geben. Sie lautet: Wir müssen endlich den Schuldenberg abbauen, der auf den Schultern unserer Kinder lastet. Wer jetzt das Gegenteil verlangt, der soll in zehn, zwanzig Jahren den Mut aufbringen, den jungen Menschen zu erklären, warum wir das selbst in einer Wachstumsphase nicht hinbekommen haben. Wie gesagt: Das wäre ein Armutszeugnis für die Politik. Den Kapitaldienst unserer Schulden müssen unsere Kinder und Enkelkinder schultern. Von Generationengerechtigkeit kann dann keine Rede sein.

Der Autor ist Bundesfinanzminister

Peer Steinbrück

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