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Wirtschaft: Es ist Zeit, Alarm zu schlagen

Hans Herbert von Arnim über die finanzpolitischen Versäumnisse der Bundesregierung

Mit der geplanten Nettokreditaufnahme von fast 30 Milliarden Euro im Bundeshaushalt setzt die Bundesregierung langfristig nicht nur die Stabilität des Euros, sondern auch die Handlungsfähigkeit der Politik aufs Spiel. Das Grundgesetz verbietet, mehr Geld durch Kredite aufzunehmen als für Investitionen ausgegeben wird. Für Investitionen sind aber nur etwa 24 Milliarden Euro vorgesehen. Ein Überschreiten der Investitionsgrenze erlaubt das Grundgesetz nur, falls die Kredite wirklich zur „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ erforderlich sind.

Dieser Ausnahmefall liegt für das kommende Jahr jedoch nicht vor. Die Bundesregierung geht selbst von einem Wirtschaftswachstum von etwa 1,5 Prozent aus. Übrigens liegen auch die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregel, die das Bundesverfassungsgericht verlangt, nicht vor: Die Regierung hätte die Gründe für die angebliche Gefährdung des Gleichgewichts detailliert darlegen und dabei auch die Aussagen des Sachverständigenrats und der Bundesbank heranziehen müssen. Das ist aber nicht geschehen.

Die Bundesregierung sucht die Verletzung dieser Vorgabe zwar pauschal mit der vorgezogenen dritten Stufe der Steuerreform zu rechtfertigen. Dadurch will sie, taktisch gewiss nicht ungeschickt, den Kritikern der zu hohen Kreditaufnahme den Schwarzen Peter zuspielen. Dieser Trick lässt auch Organisationen wie den Bund der Steuerzahler leiser werden. Doch die Regierung befindet sich hier im Widerspruch zur Aussage des Sachverständigenrats und der Bundesbank, „solide öffentliche Finanzen und ein hohes Wirtschaftswachstum (seien) keine Gegensätze“. Die Verfassungsmäßigkeit des Haushalts steht, wie der in Rechtsfragen sonst zurückhaltende Sachverständigenrat feststellt, „auf mehr als wackligen Füßen.“ Schließlich gäbe es ja auch andere Möglichkeiten, die Steuersenkung durchzuführen und gleichzeitig die Kreditaufnahme zu senken: nämlich weitergehende Schnitte bei den Subventionen, im Bereich des Sozialen und des öffentlichen Verbrauchs. Genau das wird seit langem auch von Bundesbank, Sachverständigenrat und von den Forschungsinstituten gefordert.

Genauso schlimm ist die Verletzung des Europäischen Stabilitätspakts. Danach darf die Kreditaufnahme nicht höher sein als drei Prozent des Sozialprodukts. Tatsächlich sind aber schon jetzt etwa vier Prozent geplant. Das Ignorieren der Grenze kann längerfristig unabsehbare Auswirkungen nicht nur auf die Stabilität des Euros haben. Die Verletzung geht auf Kosten der anderen Euro-Länder, die ihre Finanzen in Ordnung halten oder wie Finnland sogar Überschüsse erwirtschaften. Auch gegenüber den zehn neuen Mitgliedstaaten, die der EU bald beitreten werden und bei denen man noch streng auf der Beachtung der Drei-Prozent-Grenze bestanden hatte, wird die Glaubwürdigkeit Europas erschüttert. Selbst manche Bundesländer wollen nun nicht mehr päpstlicher sein als der Papst, zum Beispiel Rheinland-Pfalz, wo der Haushalt 2004 die verfassungsrechtliche Kreditgrenze ebenfalls verletzen wird.

Die Aufweichung des Pakts hat auch eine verfassungsrechtliche Seite. Im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Maastricht-Vertrag heißt es: „Diese Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes (also des Gesetzes, mit dem Deutschland den Euro übernommen hat). Sollte die Währungsunion die bei Eintritt in die dritte Stufe vorhandene Stabilität nicht kontinuierlich im Sinne des vereinbarten Stabilisierungsauftrags fortentwickeln können, so würde sie die vertragliche Konzeption verlassen.“

Der Eindruck, die Europäische Union meine es in Zukunft generell nicht mehr so ernst mit der Stabilität des Euro, wird übrigens auch durch den Verfassungsentwurf des Konvents bestätigt. Hier soll die Verpflichtung der EU als Ganzes auf Stabilität, die die bisherigen Verträge noch enthalten, entfallen.

Es ist Zeit, Alarm zu schlagen.

Der Verfasser ist Jurist und Volkswirt und lehrt Öffentliches Recht, Haushaltsrecht und Verfassungslehre an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer.

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