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Matthias Wissmann (62) ist seit Mitte 2007 Präsident des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Er war 1993 Bundesminister für Forschung und Technologie und von 1993 bis 1998 Bundesminister für Verkehr. Foto: dpa

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Wirtschaft: „Es ziehen dunkle Wolken auf“

Autopräsident Matthias Wissmann über die Aussichten für 2012 und Erwartungen an den EU-Krisengipfel.

Herr Wissmann, 2012 wollen die deutschen Autohersteller – wie schon im laufenden Jahr – im Inland gut 3,1 Millionen Neuwagen verkaufen. Vielleicht sogar etwas mehr. Ist diese Prognose nicht sehr gewagt angesichts weltweiter Rezessionsgefahren?

Nein, der Weltautomobilmarkt wird 2012 um vier Prozent auf etwa 68 Millionen Pkw wachsen, 2011 sind es gut 65 Millionen. Das Inland ist stabil. Allerdings wird sich der europäische Markt langsamer entwickeln, in Südeuropa wahrscheinlich zurückfallen. Wir haben also kein euphorisches Szenario vor Augen, aber auch keine Rezession. Denn die Schwächen auf dem eigenen Kontinent kann die deutsche Automobilindustrie durch Chancen auf anderen ausgleichen, zum Beispiel in den USA, China und Südamerika.

Wo sehen Sie das größte Risiko?

Dreh- und Angelpunkt ist die europäische Staatsschuldenkrise. Die Politik muss sie jetzt in den Griff bekommen.

Was erwarten Sie vom EU-Gipfel?

Wir brauchen ein automatisches Sanktionsregime, das aktiviert wird, wenn Euro-Länder Soliditätsregeln bei der Haushaltsführung verletzen. Zweitens benötigen wir klare Impulse zur glaubwürdigen Regulierung der Finanzmärkte. Das ist bisher nicht geschehen. Die Finanzmärkte müssen wieder Diener der Realwirtschaft werden – das ist ihre Aufgabe. Drittens dürfen Staatsschulden nicht vergemeinschaftet werden. Sonst stehen die einzelnen Staaten nicht mehr in der Verantwortung, vor der eigenen Haustür zu kehren. Europa muss seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Asien und den USA steigern – darum geht es.

Hören Sie Klagen von Autofirmen und Zulieferern, die Probleme bei der Kreditversorgung haben?

Nein, wir haben keine konkreten Hinweise, aber es ziehen durchaus dunkle Wolken auf. Wenn von den Banken erwartet wird, dass sie ihre Eigenkapitaldecke bis Mitte 2012 massiv stärken, darf dies auf keinen Fall dazu führen, dass die Kreditbasis für die Industrie verkürzt wird. Das würde die gesamte Volkswirtschaft schädigen. Gerade die Autoindustrie mit ihren hohen Investitionen ist auf eine günstige Finanzierung angewiesen.

Deutsche Hersteller verkaufen drei von vier Fahrzeugen im Ausland und tragen so zum hohen Exportüberschuss der deutschen Wirtschaft bei. Das gefällt vielen in Europa nicht. Fürchten Sie Sanktionen?

Die Wettbewerbsfähigkeit der Stärksten muss der Maßstab für die EU sein, nicht die Defizite der Schwächsten. Europa muss sich an den Erfolgreichen orientieren, denn nur sie können auch Solidarität üben – etwa mit südeuropäischen Ländern. Wir sehen mit Sorge, dass es in der EU Ansätze für eine Regulierung von Exportüberschüssen gibt. Gäbe es hier Sanktionen, würde Europa die Axt an die Wurzeln seiner Existenz legen.

2011 produzieren deutsche Hersteller mehr Autos im Ausland (sieben Millionen) als im Inland (5,9 Millionen). Drei neue Arbeitsplätze im Ausland erhalten einen im Inland, sagen Sie. Wird sich das Verhältnis zuungunsten Deutschlands entwickeln?

Wenn die Politik die Rahmenbedingungen verbessert, wird die deutsche Autoindustrie auch in Zukunft von der Globalisierung profitieren und eine stabile Beschäftigungsbasis im Inland haben. Ein Beispiel: Wir erwarten, dass unsere Handelspartner in den Schwellenländern, in Indien, in Lateinamerika, ihre Märkte nicht mit überhöhten Zöllen oder anderen Abgaben abschotten, sondern weiter öffnen – wie Europa das tut. Hier müssen EU-Kommission und Bundesregierung stärker zu Verfechtern des freien Welthandels werden.

China haben Sie nicht genannt.

China lebt selbst vom Export. Je mehr China in die Welthandelsorganisation WTO integriert wird, desto mehr wird sich auch das Land öffnen. Die größten Sorgen beim Thema Protektionismus bereiten uns derzeit Argentinien, Brasilien oder auch zum Beispiel die Türkei mit überhöhten Steuern auf bestimmte Produkte. Und: Russland will in die WTO, verhält sich aber keineswegs vorbildlich.

In China haben deutsche Hersteller einen Marktanteil von 20 Prozent und es werden weitere Milliarden investiert. Ist es nicht riskant, sich so an diesen Markt zu binden?

Wir machen uns nicht allein vom chinesischen Markt abhängig, das wäre ein strategischer Fehler. 2012 werden China, Westeuropa und die USA mit jeweils rund 13 Millionen verkauften Neuwagen in etwa das gleiche Niveau aufweisen. Als Autonation, die die effizientesten Fahrzeuge produziert, wollen wir in allen Märkten am Wachstum teilhaben. In China ist das Potenzial groß: Dort kommen auf 1000 Einwohner 30 Autos, in Deutschland sind es über 500.

Chinesische Firmen machen sich wegen der Schuldenkrise Sorgen und klagen über die schlechte Zahlungsmoral europäischer Kunden, auch aus dem Automobilbereich.

Aus unserer Branche kommt das nicht. Aber es zeigt, dass die Integration der Weltwirtschaft voranschreitet. Die Abhängigkeiten werden größer, kein Land ist mehr allein. Offenbar machen sich auch die Chinesen Gedanken, ob ihr Finanz- und Bankensystem robust genug ist, um sich nicht „infizieren“ zu lassen.

Nehmen Sie chinesische Autohersteller als Konkurrenten ernst?

Wir nehmen jeden Wettbewerber ernst. Auch wenn die chinesische Autoindustrie technisch-innovativ noch nicht so weit ist, um in Europa anzutreten – mittel- und langfristig müssen wir damit rechnen. Die Chinesen lernen schnell und sind unglaublich diszipliniert. Es wäre ein Fehler, sie zu unterschätzen. Derzeit holen vor allem die Koreaner auf, aber in einigen Jahren werden es auch die Chinesen sein.

Ein Vorsprung wird ihnen bei der Elektromobilität nachgesagt. Haben die Deutschen hier inzwischen aufgeholt?

Wir müssen auch 2012 so viel wie möglich tun, um in der Batterieforschung weiter voranzukommen. Das ist der archimedische Punkt bei der Entwicklung des Elektroautos. Unser Ziel bleibt, die leistungsfähigsten, langlebigsten und wirtschaftlichsten Batterien zu entwickeln.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

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