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Auf Englisch? Kommissar Oettinger spricht über diverse Energieerzeugungsstätten in Europa.

© AFP

EU-Energiekommissar: Günther Oettinger: Die Aktenmaus

Günther Oettinger, anfangs belächelt, hat sich als EU-Energiekommissar Respekt verschafft. Besprechungen mit Vertretern aller Abteilungen leitet er auf Englisch - und lässt das berühmte You-Tube-Video damit fast vergessen.

Es ist die Woche der Wahrheit für Günther Oettinger. Ein Jahr im Amt ist er zwar erst am kommenden Mittwoch, doch schon am heutigen Freitag, wenn sich beim EU-Gipfel die 27 Staats- und Regierungschefs am Vormittag für Energiefragen Zeit nehmen, schlägt seine Stunde. „Auf den Freitag bin ich schon gespannt“, gesteht er, „das ist schon eine Art Bewährungsprobe.“ Es ist schließlich sein Gipfel, der ihm Rückenwind und Rückendeckung geben soll. Und es soll auch ein bisschen Wiedergutmachung sein für den Spott, den er nach der Berufung nach Brüssel ertragen musste.

Besprechungen mit Vertretern aller Abteilungen leitet Oettinger auf Englisch. Das berühmte You-Tube-Video ist zumindest in Brüssel fast vergessen, obwohl für Sprachkurse keine Zeit war. „Oettinger geht unbefangen damit um“, sagt einer aus seinem Kabinett. Will heißen, dass er Deutsch spricht, wenn eine Übersetzung angeboten wird – und sonst eben Englisch, das viel besser geworden ist. Im zurückliegenden Jahr hat er sich durch Dutzende Fachdiskussionen in englischer Sprache gekämpft.

An Bord des Thalys, dem belgischen Pendant zu TGV und ICE, geht es mit gut 300 Sachen Richtung Paris. Oettingers Mitarbeiter haben ihm ein Informationspaket über die Gesprächspartner dort zusammengestellt. Wie diese Vorlagen auszusehen hätten, habe er seinen Beamten mühsam beibringen müssen, sagt der Politiker, der keine fertig gestanzten Statements, sondern die Interessenlage des Gegenübers kennen und Gesprächsanknüpfungspunkte will. Die Tochter des neuen französischen Wirtschaftsministers studiert in München, weshalb Oettinger ihn beim nächsten Treffen dort herumführen wird. „Ich bin kein Technokrat – gerade in der EU ist das diplomatische Gespür doch entscheidend.“

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In der dicken Aktenmappe vor ihm liegt dennoch das Geheimnis von Oettingers Erfolg begraben. Selbst Grüne und Rote loben des Schwaben Fachkenntnis. „Ihm kommt zugute, dass er eine Aktenmaus ist“, sagt beispielsweise die SPD-Europaabgeordnete Evelyne Gebhardt aus Künzelsau, „da kann ihn seine Generaldirektion nicht so leicht übers Ohr hauen.“ Und auch Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, die zwar rügt, dass Oettinger vor Greenpeace-Vertretern so und Kernkraftlobbyisten so rede, schwärmt fast von seiner Sachkunde.

Erstes Ziel in Paris ist La Défense, Europas größte Bürostadt. Hier haben sich die Energieriesen Electricité de France, GdF Suez, Areva und Total gläserne Hochhausdenkmäler gesetzt. Sie sind es vor allem, die den in der Theorie längst existierenden Energiebinnenmarkt in der Praxis verhindern. Diese Monopole müsse man „knacken“, hat der Energiekommissar angekündigt. Ob Zufall oder nicht – der Empfang bei Total ist nicht eben glamourös. An der Rezeption muss sich die Brüsseler Abordnung anmelden. In den 44. Stock gebracht wird sie auch nicht vom Vorstandschef Christophe de Margerie, sondern von einem seiner Mitarbeiter. Dass auch oben noch gewartet werden muss, geht Oettinger sichtlich gegen den Strich. „Ein selbstbewusster und sympathischer Typ“, lautet dennoch das Urteil nach dem Gespräch über Margerie.

Zurück nach Brüssel. Dort gilt er als „der Preuße“, wie er sagt, und „in Berlin bin ich der angepasste Brüsseler“. Um kurz vor acht fährt der Zug in der EU- Hauptstadt ein. Der Abend beginnt erst. In der baden-württembergischen Landesvertretung, Oettingers häufigster Anlaufstelle, warten schon Telekom-Chef René Obermann und rund hundert Gäste, die eine Ansprache zu intelligenten Stromnetzen hören wollen. Anschließend geht es, die Lebensgefährtin ist inzwischen auch dabei, hinunter in die Schwarzwaldstube. Dort wird aus dem gelegentlich steif wirkenden Schwaben der leutselige Geschichtenerzähler und politischer Spötter, der die Lacher auf seiner Seite hat. An diesem Abend jedoch geht es im Gegensatz zu vielen anderen Gelegenheiten nicht so lange, weil noch ein letzter Termin ansteht.

Die deutschen Unionsabgeordneten haben zu ihrem Jahresempfang geladen. Es ist Gelegenheit, noch einmal Bilanz zu ziehen, da das Treffen im Vorjahr eine seiner ersten Amtshandlungen war. „Damals hatte ich weder einen Stadtplan noch einen Wohnungsschlüssel“, sagt Oettinger, „inzwischen fühle ich mich wohl und bin halbwegs angekommen.“ Und weil Werner Langen, der Chef der Brüsseler Unionisten, Pfälzer ist, schiebt Oettinger, bevor er dann gegen Mitternacht nach Hause geht, gleich noch einen seiner Sprüche hinterher: „Früher war Ausland für mich Rheinland-Pfalz, heute ist es Moskau.“

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