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Wirtschaft: EU erlaubt Zuschüsse im Nahverkehr

Weiterhin keine Pflicht zur Ausschreibung – aber der Kostendruck zwingt immer mehr Länder und Städte dazu

Berlin (hop). Dem hoch subventionierten Nahverkehr in Deutschland bleibt der befürchtete Umbruch weitgehend erspart. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag entschieden, dass Zuschüsse, die von den Kommunen an Verkehrsbetriebe gezahlt werden, nicht generell als Beihilfen zu werten und daher auch nicht von Brüssel zu genehmigen sind. Außerdem bestehe kein Zwang zur Ausschreibung von Verkehrsleistungen. Der EuGH knüpfte die Zahlung von Zuschüssen jedoch an eine Reihe von Bedingungen. Sie seien nur zulässig, wenn die Höhe der Zuschüsse nicht willkürlich festgelegt würde, sondern dem öffentlichen Nutzen angemessen sei und nicht über den Kosten vergleichbarer Unternehmen liege.

Vor dem EuGH hatte die sachsenanhaltinische NVG Altmark GmbH geklagt. Sie sah sich bei der Vergabe von Buslinien im Kreis Stendal gegenüber ihrem Konkurrenten Altmark Trans benachteiligt. Ohne öffentliche Zuschüsse sei die Altmark Trans nicht überlebensfähig. Deshalb seien die Gelder unzulässige Beihilfen. Außerdem müssten die Busstrecken öffentlich ausgeschrieben werden. Dieser Argumentation folgte das Gericht zwar nicht, fällte aber auch keine Entscheidung darüber, ob die Vergabe in Stendal tatsächlich rechtens gewesen war. Das muss nun das Bundesverwaltungsgericht prüfen.

Das Bundesverkehrsministerium, der Deutsche Städtetag und auch viele Verkehrsbetriebe wie die Deutsche Bahn und die Berliner BVG begrüßten das Urteil. Enttäuscht zeigte sich dagegen der Deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK). „Das erhoffte mutige Plädoyer für mehr Wettbewerb im Bus- und Bahnverkehr ist ausgeblieben“, hieß es. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte im Vorfeld vor einem Chaos gewarnt, sollte das Gericht Zuschüsse in Frage stellen. Verbandssprecher Friedhelm Bihn sagte dem Tagesspiegel, ohne Zuschüsse wäre der öffentliche Nahverkehr als Mittel der Daseinsvorsorge (vergleiche Lexikon) und der Verkehrspolitik nicht zu halten.

Beim privaten Bahnunternehmen Connex rechnet man allerdings damit, dass es durch das Urteil mittelfristig zu mehr Ausschreibungen kommen wird. Denn oft sei unklar, wie sich die Höhe der Zuschüsse berechne und ob also die vom EuGH formulierten Bedingungen tatsächlich erfüllt würden. Zum Beispiel über den Ausgleich der Kosten für Schülerfahrkarten seien verdeckte Subventionen möglich. Viele Kommunen würden sich voraussichtlich durch Ausschreibungen gegen die zu erwartenden Klagen absichern.

Zurzeit kommt es noch oft zu freihändigen Vergabe von Aufträgen ohne öffentliche Ausschreibung, um zu starken Wettbewerb zu vermeiden. Denn die rund 5000 Verkehrsbetriebe gehören überwiegend den Kommunen selbst. Und diese Unternehmen dürfen sich auch nicht um Aufträge außerhalb ihrer Region bewerben. „Würde ein Betrieb nun bei einer Ausschreibung verlieren, wäre er vom Markt weg“, sagte Folkert Kiepe, Bau- und Verkehrsdezernent beim Deutschen Städtetag, dem Tagesspiegel. Die Fahrzeuge des kommunalen Betriebs könnte die Stadt dann vielleicht vermieten, aber an den Mitarbeitern wären die Konkurrenten kaum interessiert, sagte Kiepe. Deshalb würden Ausschreibungen oft keinen Sinn machen.

Im vergangenen Jahr wurden im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mehr als neun Milliarden Fahrgäste befördert. Diese Leistung lassen sich Bund, Länder und Kommunen Milliarden kosten. Allein der Bund überweist jährlich rund 8,5 Milliarden Euro an die Länder, damit sie Leistungen bei den Verkehrsbetrieben bestellen, aber auch die Infrastruktur ausbauen können. Bei den Städten und Gemeinden ist es wiederum gängige Praxis, dass Verluste der Verkehrsbetriebe zum Jahresende ausgeglichen werden. Laut VDV standen im Jahr 2001 den Kosten von rund elf Milliarden Euro Einnahmen von nur acht Milliarden Euro gegenüber.

Die Defizite lasten immer stärker auf den Kommunen. Deshalb übe zwar auch das aktuelle Urteil Druck auf den Markt aus, schätzt etwa Ulrich Homburg, Nahverkehrsvorstand bei der Bahn. Noch entscheidender sei aber die Knappheit der öffentlichen Mittel. Kiepe vom Städtetag sagte, den großzügigen Umgang mit Zuschüssen aus dem Stadtsäckel, wie er vor Jahren noch teilweise üblich war, könnten sich die Kommunen immer weniger leisten. Kiepe verwies auf die Fortschritte der vergangenen Jahre. So deckten die kommunalen Betriebe ihre Kosten mittlerweile im Durchschnitt zu 70 Prozent aus eigener Kraft. Mitte der 80er Jahre lag die Quote bei 53 Prozent.

Subventionsland Deutschland – in dieser Serie berichtet der Tagesspiegel über die milliardenschweren Wohltaten des Staates für Bürger und Wirtschaft. Morgen: Warum beim Kauf von Rollstühlen und Prothesen nur der halbe Mehrwertsteuersatz fällig wird.

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