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Wirtschaft: EU fördert die Verlagerung von Jobs

Ökonomen: Gelder fließen zwar indirekt – aber ärmere Regionen locken damit Unternehmen an

Berlin - Unternehmen, die ihre Produktion von Deutschland nach Osteuropa verlagern, erhalten dafür höchstwahrscheinlich doch EU-Fördermittel. Das sagten Ökonomen wie Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) und Alfred Steinherr vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin dem Tagesspiegel am Sonntag. Dies könnte zum Beispiel für das AEG-Werk in Nürnberg gelten, das geschlossen und in Polen wieder eröffnet werden soll. „Die Fördergelder der EU fließen vielleicht nicht immer auf direktem Weg“, sagte DIW-Experte Steinherr. „Aber die ärmeren Regionen bekommen Geld, und auf irgendeinem Weg fließt dieses Geld dann auch in Subventionen, mit denen man Unternehmen und Arbeitsplätze anlockt.“ Dem stimmt auch Ragnitz vom IWH zu: „Bei den Investitionszuschüssen sind oft EU-Gelder dabei, das ist auch in Ostdeutschland so.“

EU-Regionalkommissarin Danuta Hübner hatte erst vor zwei Tagen erklärt, dass eine Bezuschussung von Arbeitsplatzverlagerungen ausgeschlossen sei. In Polen sei kein EU-Geld an den AEG-Mutterkonzern Electrolux geflossen. Zuvor hatte Wirtschaftsminister Michael Glos wegen der AEG-Schließung die mögliche Förderung von Arbeitsplatzverlagerungen mit Geldern aus den Strukturfonds der EU kritisiert und einen entsprechenden Brief an Hübner geschrieben. Zusätzlich beschwerte er sich bei seinem österreichischen Kollegen Martin Bartenstein, der den EU-Ratsvorsitz innehat.

IG Metall-Chef Jürgen Peters geht nun noch einen Schritt weiter. Am Sonnabend forderte er eine „Verlagerungsabgabe“ für Unternehmen, die Deutschland den Rücken kehren. Wenn Firmen wie AEG in ein anderes Land gingen, müssten sie für die sozialen Folgen in Deutschland aufkommen, sagte Peters. Als andere Variante schlug der Gewerkschaftsvorsitzende vor, eine Verlagerung aus reinen Profitgründen wie einen Veräußerungsgewinn zu besteuern.

Glos hatte dagegen gefordert, dass bei Investitionsprojekten ab 25 Millionen Euro die Kommission prüft, ob Arbeitsplätze verlagert werden. Derzeit wird ab 50 Millionen Euro geprüft. Zudem solle das Mitgliedsland, das die Fördergelder nutzt, eine Analyse über den Nettoverlust von Arbeitsplätzen in der EU liefern. „Die Wünsche von Herrn Glos nach mehr Überprüfung führen zu mehr Bürokratie. Das widerspricht seinen Forderungen nach Bürokratieabbau“, sagte darauf die Sprecherin von Kommissarin Hübner.

Die europäische Regionalpolitik, die den ärmsten Regionen Fördermittel zur Verfügung stellt (siehe Kasten), muss bis zum Ende des Jahres ohnehin ein neues Regelwerk bekommen. Denn ab 2007 startet eine neue Finanzierungsperiode. Darüber kommt nun die Debatte mit den Forderungen von Michael Glos in Gang.

Ob die Wünsche, die der Wirtschaftsminister äußert, sinnvoll sind, ist auch unter Ökonomen umstritten. Sie kritisieren, dass die Politiker meist nur die nationale Brille aufhaben – und nicht die europäische. „Auch in Ostdeutschland nutzen wir die EU-Gelder, um Unternehmen anzulocken“, sagte Ragnitz vom IWH. „BMW wäre bestimmt nicht nach Leipzig gegangen ohne die großzügigen Zuschüsse, unter denen auch Geld aus Brüssel war.“ Die nationalen Subventionen seien zudem viel größer als die Gelder aus den EU-Töpfen, meinen die Ökonomen. Wenn Glos’ Kritik konsequent zu Ende gedacht werde, sagte DIW-Experte Steinherr, dann müsse man erstens die Beihilfen aller Mitgliedstaaten genauer unter die Lupe nehmen und zweitens die Regionalhilfen insgesamt abschmelzen, also auch in Deutschland. „Diese Debatte ist scheinheilig“, sagte Ragnitz.

Ohnehin sind die Subventionen den Wissenschaftlern zufolge lediglich das Sahnehäubchen für die Investitionsentscheidung der Unternehmen. „In der Slowakei etwa sind die Arbeiter gut qualifiziert und trotzdem günstiger als hier. Nur die Subventionen würden ein Unternehmen nicht anlocken“, sagt Steinherr.

Deshalb sollten nicht komplizierte Regeln eingeführt werden, um zu überprüfen, ob die Gelder eine Verlagerung von Arbeitsplätzen unterstützen. Das sei auch kaum möglich, meint Steinherr, weil das Geld eben auch indirekt in die jeweiligen Projekte fließe. Er fordert stattdessen den Ersatz der Fördermittel durch günstige Kredite. „Das wäre billiger und würde den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Geld fördern“, sagte er. Ragnitz dagegen ist der Meinung, dass EU-Gelder ohnehin nur „in Einzelfällen“ die Verlagerung von Arbeitsplätzen unterstützten.

Beide Ökonomen finden die Regionalpolitik aber grundsätzlich sinnvoll. Es sei für Deutschland ökonomisch attraktiver, von wohlhabenden Nachbarländern umgeben zu sein. „In einer Gemeinschaft den ärmeren Regionen zum Aufholen zu verhelfen ist richtig“, sagte Steinherr.

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Flora Wisdorff

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