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Wirtschaft: EU-Kommission überrascht mit neuem Stabilitätspakt

Künftig sollen auch die Gesamtschulden der Länder berücksichtigt werden – Willkür oder Verwässerung?

Berlin (fo). Die neuen Regeln zur Auslegung des Stabilitätspaktes in der EU stoßen auf Kritik. Wissenschaftler halten die geplante Berücksichtigung der staatlichen Gesamtverschuldung für überflüssig, EuropaParlamentarier bemängeln, dass die Vorschläge von EU-Währungskommissar Pedro Solbes völlig unerwartet gekommen und viel zu kompliziert seien, hieß es gestern im Anschluss an die Debatte im EU-Wirtschaftsausschuss.

Solbes und Kommissionspräsident Romano Prodi hatten zuvor angekündigt, sie wollten bei der Haushalts-Überwachung der Länder verstärkt die gesamtstaatliche Verschuldung ins Visier nehmen und bei dauerhaften Verstößen Strafverfahren einleiten. Nach den neuen EU-Regeln soll die Verschuldung 60 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht überschreiten. Bislang konzentrierte sich die Kommission auf das Defizitkriterium von drei Prozent. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) hatte sich wegen der steigenden Neuverschuldung in diesem Jahr bereits einen blauen Brief auf Brüssel eingehandelt. Auch im kommenden Haushaltsjahr ist unsicher, ob die Neuverschuldung unter drei Prozent gehalten werden kann. Eichel geht von 2,75 Prozent aus, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Steuer- und Sparbeschlüsse der Regierung umgesetzt werden.

Joachim Scheide, Finanzexperte am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, sagte dem Tagesspiegel, dass die bestehenden Regeln des Stabilitätspaktes völlig ausreichten, um die Haushaltsdisziplin in Europa zu kontrollieren. Auch für den Wissenschaftler kommt der Vorschlag, künftig die Gesamtverschuldung eines Landes als zweites Beurteilungskriterium aufzunehmen, völlig überraschend. Vor allem stelle sich jetzt die Frage, warum Länder mit mehr als drei Prozent Neuverschuldung aber mit weniger als 60 Prozent Gesamtverschuldung nun eine bessere Haushaltspolitik betrieben als Länder, deren Schulden bei 100 Prozent des Sozialprodukts liegen. Der Kieler Wissenschaftler befürchtet, das „wir in ein gefährliches Fahrwasser geraten, weil die Kriterien zur Beurteilung der Haushaltsdisziplin willkürlich ausgelegt werden können.“ Selbst Deutschland sei nun einer der ganz kritischen Fälle, weil die Gesamtverschuldung aktuell bei 59,5 Prozent liege. Italien, Belgien und Griechenland sitzen auf einem Schuldenberg, der höher ist als das Inlandsprodukt, Österreich (63,2 Prozent) liegt knapp über der Kommissions-Marke.

Bislang hat die Kommission Disziplinarverfahren gegen einzelne Länder nur bei zu hoher Neuverschuldung gestartet. Länder mit gesunden Staatsfinanzen – also unter 60 Prozent Gesamtverschuldung) sollen jetzt nach Auffassung der Kommission vorübergehend ihre Neuverschuldung zu Gunsten von Strukturreformen erhöhen können. Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) begrüßte die Vorschläge der Kommission.

Prodi, der das Drei-Prozent-Kriterium zuvor als „dumm“ abqualifiziert hatte, sagte, vier Jahre nach Einführung des Euro könne der Stabilitäts- und Wachstumspakt intelligenter und zukunftsgewandter umgesetzt werden. Der Pakt selbst bleibe unverändert. „Aber er wird offener interpretiert werden, um die wirtschaftliche Logik zu stärken, die Haushaltsentscheidungen zu Grunde liegt.“ Die Kommission will die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Frühjahrsgipfel am 21. März in Brüssel um Unterstützung der Vorschläge bitten.

Eichel begrüßte den Vorschlag der Kommission: „Ich finde es richtig, dass die Gesamtstaatsverschuldung in den Blick genommen wird.“ Das habe er auch immer gefordert. Es sei jedoch zu früh, um die Vorschläge im einzelnen zu bewerten: „Sie sind auf jeden Fall diskussionswürdig." Die Kommission will die EU-Staaten zudem zu einem frühzeitigem Defizitabbau bringen. Wenn Länder in Zeiten guten Wachstums ihre Staatsverschuldung weiter erhöhten statt senkten, werde dies zu Frühwarnungen führen, kündigte die Kommission an.

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